Internationales Forschungsteam entdeckt neue Ameisenart
Wissenschaftler scannen mit Hilfe von Mikrocomputertomografie rund 20 Millionen Jahre alten Bernstein.
Ein Team von Wissenschaftlern der Friedrich-Schiller-Universität Jena, der Universität Rennes in Frankreich, der Universität Gdansk in Polen sowie des Helmholtz-Zentrums Hereon in Geesthacht hat eine bisher unbekannte ausgestorbene Ameisenart entdeckt. Das Team hatte mit der Röntgenlichtquelle PETRA III am Deutschen Elektronen-Synchrotron (DESY) in Hamburg die entscheidenden fossilen Überreste von 13 individuellen Tieren untersucht und erkannt, dass sie keiner bekannten Art zugerechnet werden können. Die neue Art und Gattung erhält den Namen †Desyopone hereon gen. et sp. nov. Damit honorieren die Wissenschaftler die beiden beteiligten Forschungseinrichtungen DESY und Hereon, die mit modernen Bildgebungsverfahren erheblich zu diesem Fund beigetragen haben. Letztendlich war die Identifizierung der neuen Art und Gattung nur durch die Kombination von umfangreichen Phänotypendaten aus Scans und neueren Erkenntnissen aus Genomanalysen lebender Ameisen möglich. Über seine Entdeckung berichtet das Team im Forschungsmagazin „Insects“.
Ponerinae statt Aneuretinae
Durch erste anatomische Vergleiche gingen die Wissenschaftler davon aus, dass es sich bei den vorliegenden Tieren um eine Art der Aneuretinae handelt, einer nahezu ausgestorbenen Unterfamilie der Ameisen, die bisher nur durch Fossilien und durch eine lebende Art aus Sri Lanka bekannt ist. Doch dank der hochauflösenden, durch Synchrotron-Mikro-Computertomographie gewonnenen Bilder, mussten sie diese These revidieren: „Das komplexe Taillensegment und die großen aber rudimentären Mandibeln, die Mundwerkzeuge, sind uns eher von den Ponerinae – also den Urameisen – bekannt“, sagt Brendon Boudinot, der derzeit im Rahmen eines Humboldt-Forschungsstipendiums an der Universität Jena arbeitet. „Deshalb ordnen wir die neue Art und Gattung dieser Unterfamilie zu, auch wenn sie darin eine bisher einzigartige Gestalt aufweist, da die lange Taille und der ansonsten nicht eingeschnürte Hinterleib eher an die Aneuretinae erinnern.“
Die vorliegenden Forschungsergebnisse tragen darüber hinaus dazu bei, die Männchen der Ameisen stärker in den Fokus der Evolutionsforschung zu rücken. „Aufgrund ihrer so unterschiedlichen Körperform im Vergleich zu den Arbeiterinnen hat die Forschung sie lange Zeit vernachlässigt. Denn die fossilen Männchen werden schlicht zu oft übersehen, da sie nicht richtig zugeordnet werden können“, sagt der Ameisenexperte. „Unsere Ergebnisse aktualisieren nicht nur die Literatur zur Identifizierung männlicher Ameisen, sondern zeigen auch, dass wir durch das Verständnis männlich-spezifischer Merkmale, wie etwa der geschlechtsspezifischen Form des Unterkiefers, mehr über die evolutionären Muster weiblicher Ameisen erfahren können.“ Denn in der vorliegenden Arbeit haben die Forscher ein grundlegendes Muster erkannt, das bei allen Ameisen vorkommt, nämlich dass männliche und weibliche Mandibeln bei den meisten Arten demselben Entwicklungsmuster folgen, auch wenn sie sehr unterschiedlich aussehen.
Einzigartiger Bernstein
Auch die Datierung des Fundes stellte die Wissenschaftler vor einige Herausforderungen, den der Bernstein selbst ist ebenso einzigartig wie sein Innenleben. „Das Stück stammt aus dem einzigen Bernsteinvorkommen in Afrika, das fossile Organismen in Einschlüssen aufweist. Überhaupt gibt es nur wenige fossile Insekten von diesem Kontinent. Zwar wird der Bernstein in der Region schon seit langem von Einheimischen als Schmuck verwendet, seine wissenschaftliche Bedeutung offenbart sich den Forschern aber erst seit etwa zehn Jahren“, erklärt Vincent Perrichot von der Universität Rennes. „Das Exemplar bietet deshalb den derzeit einmaligen Einblick in ein uraltes Waldökosystem in Afrika.“ Es stamme aus dem frühen Miozän und ist 16 bis 23 Millionen Jahre alt, so der Experte. Seine komplizierte Datierung sei nur indirekt durch die Altersbestimmung der fossilen, im Bernstein eingeschlossenen Palynomorphen – also der Sporen und Pollen – möglich gewesen.
Moderne Methoden für den Blick in die ferne Vergangenheit
Forschungsergebnisse wie diese sind nur durch den Einsatz modernster Technik möglich. Da das Genmaterial von Fossilien nicht analysiert werden kann, sind genaue Daten und Beobachtungen zur Morphologie der Tiere besonders wichtig. Diese lassen sich umfassend durch hochauflösende Bildgebungsverfahren gewinnen – etwa durch die Mikro-Computertomographie (CT), bei der die Probe mit Röntgenstrahlen buchstäblich durchleuchtet wird. „Da die zu untersuchenden im Bernstein eingeschlossenen Ameisen sehr klein sind und bei der klassischen CT nur einen sehr schwachen Kontrast zeigen, haben wir die CT an unserer Messstation durchgeführt, die auf solche Mikro-Tomographie spezialisiert ist“, erklärt Jörg Hammel vom Helmholtz-Zentrum Hereon. „So erhielten die Forschenden einen Stapel von Bildern, die im Prinzip die untersuchte Probe scheibchenweise abbilden.“ Zusammengesetzt ergaben diese dann detaillierte dreidimensionale Abbildungen der inneren Struktur der Tiere, anhand derer sie die Anatomie genau nachvollziehen konnten. Nur so ließen sich die Details genau erkennen, die schließlich zur Bestimmung der neuen Art und Gattung führten.
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Dr. Brendon E. Boudinot
Institut für Zoologie und Evolutionsforschung der Universität Jena
Erbertstraße 1, 07743 Jena
E-Mail: boudinotb@gmail.com
Originalpublikation:
Brendon E. Boudinot, Adrian K. Richter, Jörg U. Hammel, Jacek Szwedo, Błażej Bojarski, Vincent Perrichot: „Genomic-phenomic reciprocal illumination: †Desyopone hereon gen. et sp. nov., an exceptional aneuretine-like fossil ant from Ethiopian amber (Hymenoptera: Formicidae: Ponerinae)“, Insects 2022, 13(9), 796; https://doi.org/10.3390/insects13090796
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