Klinische und genomische Merkmale der nicht-tuberkulösen Mykobakterien in Europa

Age density plot (A), maximum-likelihood phylogenetic tree of first isolates from single patients (n = 184), based on 30,345 distinct alignment patterns, (B), and overall clinical characteristics (C) of patients from Frankfurt University Hospital. IP—isolated pulmonary manifestation, IE—isolated extra-pulmonary manifestation, diss.—disseminated disease, NA—not applicable, n—no, y—yes
(c) Wetzstein, N., Diricks, M., Anton, T.B. et al. Clinical and genomic features of Mycobacterium avium complex: a multi-national European study. Genome Med 16, 86 (2024). https://doi.org/10.1186/s13073-024-01359-8

Eine multinationale europäische Studie liefert erstmals umfassende klinische und genomische Daten des Mycobacterium avium-Komplexes aus Kontinentaleuropa. Die Daten schlüsseln die Populationsstruktur dieser Erregergruppe auf und zeigen, dass Plasmide eine wichtige Rolle bei der Evolution und möglicherweise auch bei der Resistenz und Virulenz dieser Bakterien spielen.

Wenn von Mykobakterien die Rede ist, denkt man in der Regel an Mycobacterium tuberculosis, den Erreger der Tuberkulose. In der Natur kommen jedoch über 200 verschiedene Bakterien dieser Gattung vor. Um sie von den Tuberkuloseerregern zu unterscheiden, werden sie als nicht-tuberkulöse Mykobakterien (NTM) bezeichnet. Die häufigste Gruppe von NTM, die in Europa klinisch relevante Krankheiten verursacht, ist der so genannte Mycobacterium avium-Komplex (MAC). Bei den meisten Menschen verursachen diese Bakterien keine Krankheiten, bei immungeschwächten oder älteren Menschen, aber auch bei Kindern, können diese NTM schwere Lungeninfektionen und Lymphknotenentzündungen verursachen.

Im Gegensatz zu der Tuberkulose, bei der die Zahlen in Deutschland in den letzten Jahren rückläufig sind, nimmt die Zahl der durch NTM hervor­gerufenen Erkrankungen seit den letzten zwei Jahrzehnten stetig zu. Besonders in den Fokus gelangt sind diese Erreger durch ein Ausbruchsgeschehen im Zusammenhang mit Geräten, die bei Herz-Operationen eingesetzt wurden. Durch verunreinigte Geräte kam es so zu einer Übertragung der Mykobakterien, die zu lebensbedrohlichen Entzündungen führten.

Bisher ist nur wenig über die genetische Zusammensetzung, die krankheitsauslösende Wirkung und die Übertragungswege bei den Erregern des Mycobacterium avium-Komplexes bekannt. In dieser Studie, die nun in der Fachzeitschrift Genome Medicine veröffentlicht wurde, liefern die Forschenden nun erstmals eine umfassende genomische und klinsche Daten für den Mycobacterium avium-Komplex aus Deutschland und Kontinentaleuropa. Mittels Sequenzierung des gesamten Genoms, dem sogenannten Whole Genome Sequencing (WGS), wurden insgesamt 610 Isolate von 465 Patienten aus Deutschland, der Schweiz und Frankreich untersucht.

Die Forschenden konnten zeigen, dass M. avium in diesen Ländern die an der häufigsten isolierten Art aus dem MAC-Komplex ist, gefolgt von M. intracellulare subsp. chimaera und M. intracellulare subsp. intracellulare. Darüber hinaus wurden auf der Grundlage von Sequenzierungsdaten potenziell neue Arten identifiziert. Im Gegensatz zum Ausbruchsstamm aus den Herzoperationsgeräten war die Isolierung von M. intracellulare subsp. chimaera aus dieser Studienpopulation weniger wahrscheinlich mit einer klinisch relevanten Erkrankung verbunden.

„Die Strukturanalyse der Populationen ergab viele Cluster eng verwandter Isolate, was auf Übertragungsereignisse hinweist. Wir glauben jedoch, dass eine Ausbreitung von Mensch zu Mensch recht unwahrscheinlich ist und dass der Kontakt mit Umweltquellen der wahrscheinlichere Übertragungsweg ist“, so Dr. ir. Margo Diricks und PD Dr. med. Nils Wetzstein, Autoren der Studie aus dem Forschungszentrum Borstel, dem Leibniz-Lungenzentrum und dem Universitätsklinikum Frankfurt.

Die Studie zeigt auch das Vorhandensein von Plasmiden bei einem großen Teil der MAC-Isolate in Europa, insbesondere bei M. intracellulare subsp. chimaera, was auf eine bedeutende Evolutionsgeschichte und Bedeutung bei diesen Bakterien hinweist. Plasmide sind ringförmige DNA-Strukturen, die in vielen Bakterien vorkommen, bei Mycobacterium tuberculosis jedoch nicht vorhanden sind. Sie können sich unabhängig voneinander in der Zelle vermehren und können eine Rolle bei der Übertragung von Virulenzfaktoren und Resistenzgenen spielen.

Die Autoren schlagen vor, dass künftige Studien vorrangig die vorherrschenden Übertragungswege für MAC untersuchen und die mögliche Rolle von NTM-Plasmiden bei der Verbreitung von Virulenz und Resistenz erforschen sollten.

Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Dr. ir. Margo Diricks
Forschungsgruppe “Molekulare und Experimentelle Mykobakteriologie”
Forschungszentrum Borstel, Leibniz Lungenzentrum
Parkallee 1, 23845 Borstel
Mail: mdiricks@fz-borstel.de

PD Dr. Nils Wetzstein
Universitätsklinikum Frankfurt Medizinische Klinik II Abt. Infektiologie
Theodor-Stern-Kai 7
60596 Frankfurt am Main
Mail: nils.wetzstein@kgu.de

Originalpublikation:

Wetzstein, N., Diricks, M., Anton, T.B. et al. Clinical and genomic features of Mycobacterium avium complex: a multi-national European study. Genome Med 16, 86 (2024). https://doi.org/10.1186/s13073-024-01359-8

Weitere Informationen:

NTMscope, ein Forschungsprojekt zur Untersuchung von Infektionen, die durch nichttuberkulöse Mykobakterien (NTM) verursacht werden: http://www.ntmscope.org

http://www.fz-borstel.de

Media Contact

Britta Weller Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Forschungszentrum Borstel, Leibniz Lungenzentrum

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