Korallen, die Algen spucken

Symbiotic sea anemone of the species Exaiptasia diaphana. Using this model system, cell biologists from Heidelberg University were able to demonstrate that intracellular symbioses between corals and microalgae of the dinoflagellate group depend on the ability of the algae to suppress the immune system of their host cell.
Credit: Natascha Bechtoldt / Uni Heidelberg

Eine alte Immunantwort reguliert die Entstehung von vorteilhaften Symbiosen.

Mikroalgen aus der Gruppe der Dinoflagellaten sind bekannt für ihre Fähigkeit, in anderen tierischen Zellen zu überleben. Auch mit Korallen gehen diese winzigen Einzeller seit Urzeiten wechselseitig vorteilhafte Beziehungen ein. Indem sie lebenswichtige Nährstoffe an ihre Wirte weitergeben, ermöglichen es Dinoflagellaten den Korallen etwa, auch in kargen Regionen zu gedeihen.

Ein Forschungsteam vom Centre for Organismal Studies (COS) der Universität Heidelberg hat nun herausgefunden, dass solche Symbiosen innerhalb der Zelle entscheidend von der Fähigkeit der Algen abhängen, das Immunsystem ihrer Wirtszelle zu unterdrücken und so die Beseitigung durch „Ausspucken“ zu vermeiden. Gleichzeitig fanden die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Hinweise darauf, dass es sich bei dieser Immunantwort um einen evolutionär alten Abwehrmechanismus handelt, der weiter verbreitet ist als bisher angenommen.

Bei diesem Mechanismus handelt es sich um die sogenannte Vomozytose. Entgegen bisheriger Annahmen werden von Korallen aufgenommene Mikroalgen nicht von der Zelle verdaut, wenn sie sich nicht als Symbionten – als Teil einer Symbiose – eignen, sondern im Rahmen der Vomozytose wieder „ausgespuckt“. Spezielle Dinoflagellaten sind in der Lage, diese Immunantwort ihrer Wirtszelle gezielt zu unterdrücken, um so in der Zelle zu verbleiben. Wie ihnen das gelingt, zeigt eine Studie, die unter der Leitung der Zellbiologin Prof. Dr. Annika Guse am COS durchgeführt wurde.

„Die Herausforderung für die Korallen besteht darin, zwischen nützlichen und potenziell schädlichen Mikroorganismen zu unterscheiden. Die Algen wiederum müssen die Immunantwort der Wirtszelle umgehen, eine intrazelluläre Nische etablieren, in der sie überleben können, und die eigenen Zellfunktionen so auf die ihres Wirtes abstimmen, dass Nährstoffe effizient ausgetauscht werden können“, erklärt die Wissenschaftlerin.

Bislang konnte für keine der gängigen Theorien, die diese Vorgänge zu erklären versuchen, ein experimenteller Beweis erbracht werden. Das Team um Prof. Guse hat nun anhand des Modellsystems Exaiptasia diaphana (Aiptasia) aus der Gattung der Seeanemonen nachvollzogen, wie die Immununterdrückung durch den Symbionten dazu beiträgt, dass die Wirtszelle geeignete Mikroalgen erkennt und langfristig aufnimmt. Die Larven der Seeanemone Aiptasia nehmen die Symbionten aus der Umwelt in gleicher Weise auf wie Korallenlarven. Außerdem eignen sich die Larven der auch als Glasrosen bekannten Seeanemonen aufgrund ihrer Größe und Transparenz hervorragend für hochauflösende Bildgebung und zellbiologische Untersuchungen.

Aus der Umwelt nimmt Aiptasia kontinuierlich unterschiedliche Partikel auf, ohne dabei zwischen geeigneten und ungeeigneten Teilchen oder Lebewesen zu unterscheiden. Nicht kompatible Partikel werden anschließend innerhalb eines bestimmten Zeitraums wieder „ausgespuckt“. Symbionten vermeiden diesen Vorgang der sogenannten Vomozytose, vermutlich indem sie die Signalwege der Toll-like-Rezeptoren (TLR) der Wirtszelle unterbrechen. Diese Rezeptoren spielen eine entscheidende Rolle bei der Aktivierung des zelleigenen Abwehrsystems und sorgen dafür, dass unerwünschte Eindringlinge erkannt und entfernt werden. Bei den meisten Tieren werden die Toll-like-Rezeptoren von dem Gen MyD88 gesteuert. „Wir konnten nachweisen, dass Algen-Symbionten MyD88 unterdrücken, um die Symbiose zu initiieren. So schaffen sie es, der Vomozytose zu entgehen“, erläutert Prof. Guse.

Gleichzeitig deuten die Erkenntnisse der Heidelberger Wissenschaftler darauf hin, dass es sich bei der Vomozytose um einen Mechanismus handelt, der weiter verbreitet ist als vermutet. Bislang wurde angenommen, dass das „Ausspucken“ von schädlichen Eindringlingen selbst initiiert wird, um den teilweise sehr spezialisierten Immunantworten der potenziellen Wirtszelle zu entkommen. Die Studie mit dem Aiptasia-Modell legt jedoch nahe, dass dieser Vorgang auch von der Wirtszelle ausgelöst werden kann. Die Forscherinnen und Forscher nehmen daher an, dass es sich bei der Vomozytose um einen evolutionär alten Abwehrmechanismus handelt, den sich Korallen oder Nesseltiere wie Aiptasia zunutze machen, um geeignete Symbionten zu selektieren. Prof. Guse: „Die Vermutung liegt nahe, dass die Vomozytose ein wichtiger Prozess ist, der überhaupt erst zur Entstehung des intrazellulären Lebenswandels der Korallen-Symbionten geführt hat.“

Die Ergebnisse der Studie wurden in der Fachzeitschrift „Nature Microbiology“ veröffentlicht. Finanziert wurden die Forschungsarbeiten unter anderem aus Mitteln des Horizon 2020-Programms der Europäischen Union und der Deutschen Forschungsgemeinschaft.

Kontakt:
Universität Heidelberg
Kommunikation und Marketing
Pressestelle, Telefon (06221) 54-2311
presse@rektorat.uni-heidelberg.de

Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Prof. Dr. Annika Guse
Centre for Organismal Studies
Telefon (06221) 54-6264
annika.guse@cos.uni-heidelberg.de

Originalpublikation:

M. R. Jacobovitz, S. Rupp, P. A. Voss, I. Maegele, S. G. Gornik, A. Guse: Dinoflagellate symbionts escape vomocytosis by host cell immune suppression. Nature Microbiology (29 April 2021), https://dx.doi.org/10.1038/s41564-021-00897-w

Weitere Informationen:

https://www.cos.uni-heidelberg.de/index.php/a.guse?l=

http://www.uni-heidelberg.de

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