Krankheitserregende Bakterien per Anhalter durch Nord- und Ostsee?

Wasserprobe aus der Nordsee mit verschiedenen Vibrionen-Spezies Foto: Alfred-Wegener-Institut / A. Wichels

Mit steigender Wassertemperatur nimmt die Wahrscheinlichkeit zu, dass in Nord- und Ostsee potentiell krankheitserregende Bakterien auftreten. AWI-Wissenschaftler haben jetzt nachgewiesen, dass eine Gruppe dieser Bakterien, sogenannte Vibrionen, auch auf Mikroplastikpartikeln leben können. Sie wollen zukünftig die Rolle der Partikel für die Anreicherung und mögliche Verbreitung dieser Bakterien genauer untersuchen.

Sommerliche Hitzewellen können dazu führen, dass sich krankheitserregende Bakterien in Nord- und Ostsee stark vermehren. In den vergangenen Jahren waren darunter auch Bakterien der Gattung Vibrio, die Durchfallerkrankungen oder schwere Entzündungen hervorrufen können.

„Vibrionen sind Klimawandel-Gewinner, weil ihre Anzahl bei hohen Temperaturen in die Höhe schnellt“, sagt Dr. Gunnar Gerdts, Mikrobiologe am Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) auf Helgoland.

Die Bakterien sind in gemäßigten Sommern nur vereinzelt im Meerwasser nachweisbar, können sich aber bei Hitzewellen explosionsartig vermehren, wenn die Wassertemperatur 22 Grad Celsius übersteigt. Gerade in küstennahen Gebieten der Ostsee kam es in der Vergangenheit bei solchen Hitzewellen immer wieder zu Krankheits- und auch Todesfällen, hervorgerufen durch das Bakterium Vibrio vulnificus.

Gerdts und sein Team haben Proben aus dem Meer genommen und untersucht, ob die Bakterien auch von einem neuen Lebensraum profitieren, der sogenannten „Plastisphäre“. In Biofilmen auf der Oberfläche von Plastikpartikeln leben Bakterien, Pilze und Kleinstalgen, die in einer Schleimschicht wachsen. Sie sind beispielsweise bekannt als Grundlage für den Bewuchs auf Schiffsrümpfen.

Die Zusammensetzung dieser Biofilme variiert dabei abhängig von der Beschaffenheit der Oberfläche und den Lebewesen im umgebenden Wasser. Aufgrund von Gensequenzierungen lag die Vermutung nahe, dass auch Vibrionen Teil dieser Lebensgemeinschaft sein könnten.

Jetzt ist es den Helgoländer Mikrobiologen erstmalig gelungen, lebende, potentiell humanpathogene Vibrio-Spezies in Biofilmen auf Mikroplastikpartikeln nachzuweisen. „Das zeigt das Potential auf, dass die Krankheitserreger möglicherweise auf den Partikeln hitchhiken, sich also per Anhalter innerhalb eines Ökosystems verteilen und auch darüber hinaus verbreiten können“, ordnet Gunnar Gerdts die aktuellen Forschungsergebnisse ein.

Für ihre Studie, die jetzt online in der Fachzeitschrift Marine Environmental Research publiziert wurde, hatten die AWI-Wissenschaftler mit dem Forschungsschiff Heincke an 62 Stationen in Nord- und Ostsee Wasserproben genommen. Zusätzlich nutzten sie einen sogenannten Neuston-Katamaran (Foto), mit dessen Hilfe sie Mikroplastikpartikel direkt unterhalb der Wasseroberfläche abfischten und im Labor weiter untersuchten. Insgesamt hatten die Wissenschaftler 185 Partikel gesammelt. Davon wurden auf 19 Plastikpartikeln Vibrionen nachgewiesen, welche auch überwiegend in den Wasserproben an denselben Stationen vorhanden waren.

Die gute Nachricht: Im Rahmen ihrer Untersuchungen stießen die Helgoländer AWI-Forscher nicht auf krankheitserregende Genotypen. Mikrobiologe Gunnar Gerdts tauscht sich zu diesem Thema auch mit Behörden aus. „An der Nord- und Ostseeküste untersuchen die Landesuntersuchungsämter bereits exemplarisch Wasserproben hinsichtlich Vibrio-Spezies. Sollte sich in der Zukunft zeigen, dass mit Vibrionen „aufgeladene“ Mikroplastikpartikel regelmäßig vorkommen, gibt das Anlass zur Sorge, da Biofilme allgemein höhere Bakterien-Dichten aufweisen als das Freiwasser“, berichtet der AWI-Forscher.

Die in der Studie verwendete Untersuchungsmethode lässt übrigens derzeit keine Rückschlüsse darauf zu, ob sich Vibrionen an den Plastikpartikeln anhäufen. In dem genutzten Kulturansatz konnten die Wissenschaftler ausschließlich nachweisen, ob Vibrionen im Wasser oder an Mikroplastikpartikeln leben oder nicht. „In Zukunft wollen wir daher die Anzahl der Vibrionen auf den Plastikpartikeln zusätzlich mittels der sogenannten quantitativen Polymerase-Kettenreaktion bestimmen, die dann auch quantitative Vergleiche ermöglicht“, nennt Gunnar Gerdts die nächsten Forschungsziele.

Hintergrund:
Bei Vibrionen unterscheidet man neben Arten auch Genotypen, deren krankheitserregendes Potential unterschiedlich ist. Die in der Studie nachgewiesenen Genotypen wiesen aber nicht die Virulenzgene auf, wie sie z.B. in pandemischen Genotypen, wie z.B. Vibrio cholerae El-Tor, einem der Cholera-Erreger, vorhanden sind. Gleichwohl können aber auch solche nicht „klassisch virulenten“ Vibrionen durchaus zu ernsthaften Erkrankungen führen, wenn der Gesundheitszustand des infizierten Menschen eine Vorschädigung aufweist (z.B. Diabetes).

Originalstudie:
Inga V. Kirstein, Sidika Kirmizi, Antje Wichels, Alexa Garin-Fernandez, Rene Erler, Martin Löder, Gunnar Gerdts: Dangerous hitchhikers? Evidence for potentially pathogenic Vibrio spp. on microplastic particles. Marine Environmental Research (Volume 120, September 2016, Pages 1–8) http://dx.doi.org/10.1016/j.marenvres.2016.07.004

Hinweise für Redaktionen:
Ihre Ansprechpartner am Alfred-Wegener-Institut sind Dr. Gunnar Gerdts, Tel. 04725 819-3245 (E-Mail: Gunnar.Gerdts(at)awi.de) sowie Dr. Folke Mehrtens in der AWI-Pressestelle, Tel. 0471 4831-2007 (E-Mail: Folke.Mehrtens(at)awi.de). Druckbare Fotos finden Sie auf unserer Webseite unter: http://www.awi.de/nc/ueber-uns/service/presse.html

Das Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) forscht in der Arktis, Antarktis und den Ozeanen der gemäßigten sowie hohen Breiten. Es koordiniert die Polarforschung in Deutschland und stellt wichtige Infrastruktur wie den Forschungseisbrecher Polarstern und Stationen in der Arktis und Antarktis für die internationale Wissenschaft zur Verfügung. Das Alfred-Wegener-Institut ist eines der 18 Forschungszentren der Helmholtz-Gemeinschaft, der größten Wissenschaftsorganisation Deutschlands.

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Ralf Röchert idw - Informationsdienst Wissenschaft

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