Lichtschalter für Enzyme
Ob Tiere, Pflanzen, Pilze, Bakterien oder Menschen: In nahezu allen lebenden Organismen arbeiten eisenhaltige Enzyme. In der menschlichen Leber übernimmt ein solches Enzym die Aufgabe einer Art biologischen Müllverbrennung:
Es oxidiert Schadstoffe, Medikamente oder körpereigene Stoffe, um sie über die Niere auszuscheiden. Zur Erfüllung seiner lebenswichtigen Aufgabe schaltet das Eisenatom im Innern des Enzyms ständig zwischen magnetischem und unmagnetischem Zustand hin- und her.
Einem internationalen Forschungsteam um Professor Rainer Herges vom Institut für Organische Chemie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) ist es nun gelungen, das erste, künstliche Eisen-Molekül herzustellen, dessen magnetischer Spin-Zustand über UV-Licht gezielt an- und ausgeschaltet werden kann.
Spin ist als Eigendrehimpuls von Teilchen eine ihrer zentralen Eigenschaften und stellt eine Möglichkeit dar, die Funktionen von Molekülen kontrolliert zu ändern. Solche Schalter könnten außerdem für eine Vielzahl von Anwendungen genutzt werden wie die Regelung weiterer enzymatischer Reaktionen, chemischer Katalysen oder die Umwandlung von Methan.
Die Ergebnisse des Forschungsteams erschienen kürzlich in der renommierten Zeitschrift Nature Communications.
„Enzyme, wie das eisenhaltige Cytochrom P450 in unserer Leber, arbeiten wie eigenständige molekulare Maschinen“, erklärt Rainer Herges, Professor für Organische Chemie und Sprecher des Kieler Sonderforschungsbereichs 677 „Funktion durch Schalten“. „Ihren biologischen Funktionen liegen Schaltprozesse zugrunde, die wir erforschen und möglichst kontrollieren wollen.“ In Zusammenarbeit mit Forschenden der Ruhr-Universität Bochum, des Max-Planck-Instituts für chemische Energiekonversion und dem National Institute for Interdisciplinary Science and Technology (NIIST) in Indien haben sie jetzt einen weiteren Schritt dahin getan: Nach dem Vorbild des Cytochroms P450 entwarfen sie ein eisenhaltiges Molekül, das sie per Licht zwischen verschiedenen magnetischen Zuständen hin- und herschalten können und auf diese Weise seine Eigenschaften verändern.
Molekulare Lichtschalter setzen Enzyme in Gang
In der Leber „wartet“ das Eisen-Enzym Cytochrom P450 auf Substratmoleküle wie zum Beispiel Schadstoffe, um sie unschädlich zu machen. In diesem Wartezustand ist das Enzym inaktiv und befindet sich in einem stabilen, sogenannten „low-spin“-Zustand, also einem niedrigen magnetischen Moment.
Sobald sich ein Schadstoff-Molekül annähert und vom Eisen-Enzym erkannt wird, dockt es am Enzym an. Das Enzym wechselt jetzt in den „high-spin“-Zustand mit einem hohen magnetischen Moment über.
In diesem Zustand kann sich zusätzlich zum Schadstoffmolekül auch Sauerstoff am Enzym anlagern. In einem mehrstufigen Prozess wird das Molekül mit Hilfe des Sauerstoffs umgewandelt und oxidiert. In unschädlicher Form verlässt es das Eisen-Enzym schließlich wieder. Das Enzym geht in die „low-spin“-Wartestellung zurück und ist für weitere Schadstoffmoleküle bereit.
„Dieser Wechsel zwischen den Spin-Zuständen wird durch eine Art ‚Lichtschalter‘ ausgelöst. Er aktiviert erst die Reaktionsbereitschaft des Enzyms“, beschreibt Herges den zentralen Mechanismus.
Bei ihrem jetzt erstellten Molekül lösen sie ihn durch die Bestrahlung mit Licht verschiedener Wellenlängen aus. Erst das gezielte An- und Ausschalten gewährleistet die Funktionsfähigkeit des Enzyms.
„Die Reaktionen im Innern des Enzyms sind sehr heftig. Wäre das Enzym dauerhaft in einem reaktionsbereiten Modus, würde es sich selbst zerstören.“
Eisenhaltige Enzyme wandeln auch Methan um
Eine mögliche Anwendung solch schaltbarer Eisenenzyme sehen die Forschenden in der Umwandlung von Methan in Methanol, um so flüssigen Treibstoff zu erhalten.
„Beim Fördern von Öl wird nicht genutztes Methangas frei, das von den Ölbohrunternehmen bewusst abgebrannt wird. Jährlich werden so rund 140 Milliarden Kubikmeter Methangas vernichtet, die man stattdessen in wertvollen Kraftstoff umwandeln könnte“, ist sich Herges sicher.
In einem technischen Prozess ist diese Umwandlung bereits möglich. Sie erfordert jedoch Temperaturen von über 400°C. Außerdem geht mehr als die Hälfte der Energie des Methans dabei verloren. Bakterien hingegen können Methan bei Raumtemperatur und praktisch ohne Energieverluste in Methanol umwandeln.
Dafür nutzen sie eisenhaltige Enzyme, sogenannte Methan-Monooxygenasen, deren Spin-Zustände ebenfalls schaltbar sind. Ließe sich darüber die Reaktionsfähigkeit der Eisenenzyme kontrollieren, wäre in Zukunft eine Umwandlung von Methan in Methanol in großem Maßstab denkbar. Künstliche eisenhaltige Moleküle, wie das von der Forschungsgruppe entwickelte, könnten dann zur effizienten Methanolgewinnung eingesetzt werden.
Bildmaterial steht zum Download bereit:
https://www.uni-kiel.de/fileadmin/user_upload/pressemitteilungen/2018/398-enzyme…
Bildunterschrift: Zusammen mit seinen Doktoranden Kim Steinborn (links) und Morten Peters hat Professor Rainer Herges (Mitte) ein eisenhaltiges Molekül entwickelt, dessen magnetische Eigenschaften sich per UV-Licht ändern lassen.
© Privat
https://www.uni-kiel.de/fileadmin/user_upload/pressemitteilungen/2018/398-enzyme…
Bildunterschrift: Im sogenannten „low-spin“-Modus ist das Enzym noch nicht reaktionsfreudig. Erst in den „high-spin“-Zustand geschaltet, wird es aktiv.
© Herges
Kontakt:
Julia Siekmann
Wissenschaftskommunikation
Forschungsschwerpunkt Kiel Nano Surface and Interface Science (KiNSIS)
Universität Kiel
Tel.: +49 (0)431 880 4855
E-Mail: jsiekmann@uv.uni-kiel.de
Web: https://www.kinsis.uni-kiel.de
Weitere Informationen:
https://www.sfb677.uni-kiel.de
Details, die nur Millionstel Millimeter groß sind: Damit beschäftigt sich der Forschungsschwerpunkt »Nanowissenschaften und Oberflächenforschung« (Kiel Nano, Surface and Interface Science – KiNSIS) an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU). Im Nanokosmos herrschen andere, quantenphysikalische, Gesetze als in der makroskopischen Welt. Durch eine intensive interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Physik, Chemie, Ingenieurwissenschaften und Life Sciences zielt der Schwerpunkt darauf ab, die Systeme in dieser Dimension zu verstehen und die Erkenntnisse anwendungsbezogen umzusetzen. Molekulare Maschinen, neuartige Sensoren, bionische Materialien, Quantencomputer, fortschrittliche Therapien und vieles mehr können daraus entstehen. Mehr Informationen auf https://www.kinsis.uni-kiel.de
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