Menschliche Einflüsse verändern ein ozeanweites Naturgesetz

Das globale Größenklassen-Spektrum der gesamten Ozean-Biomasse zeigt die Gesamtzahl der Tiere (in den oberen 200 m des Ozeans), unterteilt in Größenklassen und Arten.
© Ian Hatton

Im Rahmen einer weltweiten Kooperation haben Umweltwissenschaftler erstmals in globalem Maßstab die gleichmäßige Verteilung der Meeresbiomasse auf verschiedene Größenklassen – von Bakterien bis zu Walen – untersucht. Durch Quantifizierung des Ausmaßes menschlicher Einflüsse auf dieses Ökosystem zeigt sich eine dramatische Verschiebung einer der bedeutendsten Größenordnungen der Natur.

Zurzeit treffen sich die politischen Entscheidungsträger in Glasgow zur 26. UN-Klimakonferenz, und vor wenigen Wochen fand die UN-Konferenz zur biologischen Vielfalt statt. Das weltweite Interesse an diesen internationalen Konferenzen unterstreicht den dringenden Handlungsbedarf, wenn es um die menschlichen Einflüsse auf das Klima und die biologische Vielfalt geht. Der Zusammenhang zur Biomasse, also der Gesamtmasse aller Organismen, und den anthropogenen Einflüssen auf sie ist jedoch noch weitgehend unerforscht, insbesondere im Zusammenhang mit den Ozeanen, die den größten Teil unseres Planeten bedecken.

Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Mathematik in den Naturwissenschaften (Deutschland), des Institut de Ciència i Tecnologia Ambientals (Spanien), der Queensland University of Technology (Australien), des Weizmann Institute of Science (Israel) und der McGill University (Kanada) haben aktuelle wissenschaftliche Daten in der Ozeanbeobachtung und Meta-Analysen genutzt, um aufzuzeigen, dass das menschliche Handeln bereits einen massiven Einfluss auf die größeren Arten im Ozean hat und eines der größten Muster des Lebens grundlegend verändert hat – ein Muster, das die gesamte biologische Vielfalt des Ozeans umfasst, von Bakterien bis zu Walen. Ihre aktuellen Forschungsergebnisse wurden in der aktuellen Ausgabe der Science Advances veröffentlicht.

Das Biomassespektrum, wobei die durchgezogene Regressionsgerade die Steigung unter „unberührten“ Bedingungen angibt und die gestrichelte Linie den Zustand 2020 darstellt. Die Biomasseverluste sind durch den schraffierten rosa Bereich gekennzeichnet.
© Ian Hatton

Messungen der Menge an Meeresplankton in den 1970er Jahren veranlassten die Forscher damals zu der Annahme, dass die Biomasse in allen Größenordnungen in etwa gleich groß ist: Bakterien sind zwar 23 Größenordnungen kleiner als ein Blauwal, aber sie sind auch 23 Größenordnungen zahlreicher. Diese Hypothese des Größenspektrums ist seither unbeanstandet geblieben, auch wenn sie nie in einem globalen Maßstab verifiziert wurde. Die Autoren nahmen sich vor, diese seit langem bestehende Hypothese zum ersten Mal für alle Meeresbewohner zu untersuchen. Sie verwendeten historische Rekonstruktionen und Modelle des marinen Ökosystems, um die Biomasse vor industriellen Aktivitäten (vor 1850) einzuschätzen, und verglichen diese Daten mit der heutigen Zeit. „Es war eine Herausforderung, diese Messungen über einen so großen Maßstab hinweg angemessen zu vergleichen“, erinnert sich der Alexander von Humboldt-Forschungsstipendiat Dr. Ian Hatton, Hauptautor der Studie. „Während kleine Wasserorganismen anhand von mehr als 200.000 weltweit gesammelten Wasserproben ermittelt werden, können größere Meereslebewesen ganze Ozeanbecken durchqueren und müssen mit vollkommen anderen Methoden erfasst werden.“

Ihr Vorgehen ermöglichte es den Forschenden, 12 Hauptgruppen von Wasserlebewesen über etwa 33000 1°-Gitterpunkte des gesamten Ozeans zu identifizieren. Die Auswertung der „unberührten“ Ozeanbedingungen (vor 1850) bestätigte im Wesentlichen die ursprüngliche Hypothese: Es gibt eine bemerkenswert konstante Biomasse von etwa 1 Gigatonne in jeder der 23 Größenklassen, die sich über eine Größenordnung erstrecken. Allerdings existieren in beiden Extrembereichen auch Abweichungen. Während Bakterien in den kalten und dunklen Teilen des Ozeans reichlich vorhanden sind, sind die größten Wale relativ selten, was eine Abgrenzung zur ursprünglichen Hypothese darstellt.

Im Gegensatz zu einem weitgehend konstanten Biomasse-Spektrum im unberührten Ozean ergab eine Untersuchung des Spektrums in der heutigen Zeit eine neue Perspektive auf die Auswirkungen des Menschen auf die Biomasse des Ozeans. Obwohl Fischerei und Walfang nur weniger als 3 Prozent des menschlichen Nahrungsbedarfs ausmachen, sind ihre Auswirkungen auf das Biomasse-Spektrum verheerend: Große Fische und Meeressäuger wie Delfine haben einen Verlust an Biomasse von 2 Gt (60 % Rückgang) erlitten, wobei die größten Wale eine beunruhigende Dezimierung von fast 90 % erfahren haben. Die Autoren schätzen, dass diese Verluste bereits jetzt die potenziellen Rückgänge der Biomasse selbst unter extremen Klimawandelszenarien übersteigen.

„Der Mensch ist zweifellos zum größten Raubtier des Meeresökosystems geworden, aber es scheint wahrscheinlich, dass wir das System weit mehr beeinflusst haben, als nur die größten Fische zu entfernen. Unser Gesamtverhalten in den letzten 200 Jahren hat möglicherweise bis zu zwei Größenordnungen mehr Energie entzogen als die eliminierten Fische“, so Dr. Hatton. Daraus lässt sich schließen, dass der Mensch nicht nur die größten Raubtiere im Meer ersetzt hat, sondern auch den Energiefluss im Meeresökosystem erheblich verändert hat. Die von den Wissenschaftlern vorgelegten Ergebnisse haben den bedeutenden Einfluss des Menschen auf die Verteilung der Biomasse über die verschiedenen Größenbereiche quantifiziert und verdeutlichen das Ausmaß, in dem anthropogene Aktivitäten das Leben auf globaler Ebene verändert haben.

Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Dr. Ian Hatton
mailto:i.a.hatton@gmail.com

Originalpublikation:

Ian A. Hatton, Ryan F. Heneghan, Yinon M. Bar-On, and Eric D. Galbraith
The global ocean size-spectrum from bacteria to whales
Science Advances • 10 Nov 2021 • Vol 7, Issue 46 •
DOI: 10.1126/sciadv.abh3732

https://www.mis.mpg.de/fileadmin/presse/2021-11-11-pressemeldung-Ocean-Biomass-Scaling.pdf

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Jana Gregor Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Max-Planck-Institut für Mathematik in den Naturwissenschaften (MPIMIS)

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