Mikrobiologen enttarnen rätselhafte „Comammox“-Mikroben
Bislang wurde die Nitrifikation als Zusammenspiel zweier Prozesse angesehen, bei dem durch verschiedene Mikroorganismen zuerst Ammonium zu Nitrit und anschließend Nitrit zu Nitrat oxidiert wird. Diese funktionelle Trennung hat die Mikrobiologen seit 125 Jahren verwundert.
Seitdem sind sie auf der Suche nach dem Organismus, der die vollständige Oxidation des Ammoniums zum Nitrat in einer Zelle durchführt („Comammox“ = complete ammonia oxidizer). Ein internationales Forscherteam unter der Leitung von Michael Wagner und Holger Daims von der Universität Wien und Partnern aus Russland, Dänemark und Deutschland zeigten nun, dass Nitrit-Oxidierer der Gattung Nitrospira zur vollständigen Nitrifikation in der Lage sind und durch die Oxidation von Ammonium zu Nitrat in einem einzigen Organismus wachsen.
Die Bakterienkultur, mit der diese Entdeckung gelang, stammte aus einem 1200 m tiefen russischen Bohrloch zur Öl-Exploration. Völlig überraschend wurden funktionelle Schlüsselgene von diesen Comammox-Nitrospira in vielen Böden und Gewässern und in neuen Metagenomen von Kläranlagen und Brunnen zur Grundwasserförderung für die Trinkwasseraufbereitung nachgewiesen.
„Der Nachweis der Comammox-Nitrospira im Bereich der Trinkwasseraufbereitung zeigt deutlich die weite Ver-breitung dieser Bakterien in der Umwelt an“, erläutert Bernd Bendinger. Auch in der Trinkwasseraufbereitung müsste ein Umdenken erfolgen, denn Bakterien der Gattung Nitrospira könnten auch hier die wichtigsten Nitrifikanten sein“. Diese Entdeckung ändert grundlegend unser Bild von der Nitrifikation und wird voraussichtlich weitreichenden Einfluss auf zukünftige Forschung der Mikrobiologie des Stickstoffkreislaufes haben.
Die Wissenschaftler publizieren ihre Ergebnisse in „Nature“ nach Abstimmung gleichzeitig mit Kollegen von der Radboud University Nijmegen (Niederlande), die in einem Biofilter einer Fischzucht ebenfalls Comammox-Nitrospira identifiziert hatten.
Bernd Bendinger ist Gruppenleiter Mikrobiologie der DVGW-Forschungsstelle an der Technischen Universität Hamburg (TUHH), die dem Institut für Wasserressourcen und Wasserversorgung angegliedert ist und von Prof. Dr.-Ing. Mathias Ernst geleitet wird.
Die DVGW-Forschungsstelle führt mit einem interdisziplinä-ren Team praxisnahe Forschung und wissenschaftliche Beratung zur Optimierung und Problemlösung für die Trinkwasserversorgung durch. Die Themen reichen von der Wassergewinnung bis zur -verteilung. Forschungsschwerpunkte sind u.a. Mikrobiologie und Wasserchemie der Trinkaufbereitung und -verteilung, Biofilme, Membranverfahren und Energieeffizienz.
Publikation in Nature
„Complete Nitrification by Nitrospira Bacteria“: Holger Daims, Elena V. Lebede-va, Petra Pjevac, Ping Han, Craig Herbold, Mads Albertsen, Nico Jehmlich, Mar-ton Palatinszky, Julia Vierheilig, Alexandr Bulaev, Rasmus H. Kirkegaard, Martin von Bergen, Thomas Rattei, Bernd Bendinger, Per H. Nielsen, Michael Wagner; in Nature,
DOI: 10.1038/nature16461
Die Print-Versionen des Artikels erscheint in der Nature-Ausgabe 24.-31.12.2015.
Weitere Informationen
Dr. Bernd Bendinger
DVGW-Forschungsstelle TUHH
Am Schwarzenberg-Campus 3
21073 Hamburg
T +49 40 42878 3095
bendinger@tuhh.de
Prof. Dipl.-Biol. Dr. Michael Wagner
Assoz. Prof. Dipl.-Biol. Dr. Holger Daims
Department für Mikrobiologie und Ökosystemforschung
Universität Wien, 1090 Wien, Althanstraße 14
T +43-1-4277-76600/ 76604
wagner@microbial-ecology.net
daims@microbial-ecology.net
Media Contact
Weitere Informationen:
http://www.tuhh.deAlle Nachrichten aus der Kategorie: Biowissenschaften Chemie
Der innovations-report bietet im Bereich der "Life Sciences" Berichte und Artikel über Anwendungen und wissenschaftliche Erkenntnisse der modernen Biologie, der Chemie und der Humanmedizin.
Unter anderem finden Sie Wissenswertes aus den Teilbereichen: Bakteriologie, Biochemie, Bionik, Bioinformatik, Biophysik, Biotechnologie, Genetik, Geobotanik, Humanbiologie, Meeresbiologie, Mikrobiologie, Molekularbiologie, Zellbiologie, Zoologie, Bioanorganische Chemie, Mikrochemie und Umweltchemie.
Neueste Beiträge
Größte bisher bekannte magnetische Anisotropie eines Moleküls gemessen
An der Berliner Synchrotronstrahlungsquelle BESSY II ist es gelungen, die größte magnetische Anisotropie eines einzelnen Moleküls zu bestimmen, die jemals experimentell gemessen wurde. Je größer diese Anisotropie ist, desto besser…
Tsunami-Frühwarnsystem im Indischen Ozean
20 Jahre nach der Tsunami-Katastrophe… Dank des unter Federführung des GFZ von 2005 bis 2008 entwickelten Frühwarnsystems GITEWS ist heute nicht nur der Indische Ozean besser auf solche Naturgefahren vorbereitet….
Resistente Bakterien in der Ostsee
Greifswalder Publikation in npj Clean Water. Ein Forschungsteam des Helmholtz-Instituts für One Health (HIOH) hat die Verbreitung und Eigenschaften von antibiotikaresistenten Bakterien in der Ostsee untersucht. Die Ergebnisse ihrer Arbeit…