Mikrobiom entscheidend für Leber-Reparatur
Darmbakterien liefern wichtige Bausteine für Zellteilung.
Werden Teile der Leber entfernt, kann der Körper fehlendes Gewebe ersetzen. Ein Team der Technischen Universität München (TUM) hat jetzt herausgefunden, dass das Gelingen dieses Prozesses maßgeblich von den Bakterien im Darm abhängt. Die Ergebnisse der Studie könnten dazu beitragen, die Prognosen bei Leber-OPs bei Krebs und anderen Erkrankungen zu verbessern.
Anders als etwa das Herz hat die menschliche Leber eine erstaunliche Fähigkeit zur Regeneration. Die biologischen Mechanismen dahinter sind ein Beispiel dafür, welche Rolle die Bakterien in unserem Darm für Vorgänge in anderen Organen spielen. Das zeigen neue Forschungsergebnisse eines interdisziplinären Teams aus dem TUM-Universitätsklinikum rechts der Isar und der TUM School of Life Sciences.
Kurzkettige Fettsäuren spielen wesentliche Rolle
Das Mikrobiom eines gesunden Darms besteht aus einer Vielzahl von Bakterientypen. Diese spielen eine aktive Rolle für die Verdauung. Unter anderem zerlegen einige von ihnen Kohlenhydrate in sogenannte kurzkettige Fettsäuren. „Die Zellen der Leber benötigen diese Fettsäuren, um wachsen und sich teilen zu können“, sagt Studienleiter Prof. Klaus-Peter Janssen aus der Klinik und Poliklinik für Chirurgie des Klinikums rechts der Isar. „Wir konnten jetzt erstmals zeigen, dass Darmbakterien den Fettstoffwechsel in Leberzellen und damit deren Fähigkeit zur Regeneration beeinflussen.“
Antibiotika stoppen Leber-Regeneration
Prof. Janssen und sein Team erprobten an Mäusen, wie sich ein gestörtes Mikrobiom auf die Regeneration der Leber auswirkt. Bei Tieren, deren „Darmflora“ durch Antibiotika aus dem Gleichgewicht gebracht wurde, bildeten sich nahezu keine neuen Leberzellen. Ein Zusammenhang zwischen Antibiotika und gestörter Leber-Regeneration war bereits bekannt. Als Gründe wurden Klaus-Peter Janssen zufolge aber bislang eher Immunreaktionen des Körpers oder schädliche Nebenwirkungen der Antibiotika auf Leberzellen angenommen. Dass stattdessen ein Zusammenhang mit den Darmbakterien besteht, wurde erst durch die aktuelle Studie deutlich. Genau wie die Mäuse, die mit Antibiotika behandelt wurden, konnten auch Mäuse, denen schon bei der Geburt das Mikrobiom fehlte, keine neuen Leberzellen bilden.
Wachstum mit „Mikrobiom-Starter-Set“ aktiviert
„Antibiotika töten nicht alle Bakterien im Darm“, erläutert Anna Sichler, eine der beiden Erstautor:innen der Studie. „Durch die Medikamente ergibt sich aber eine neue Zusammensetzung des Mikrobioms: Die verbleibenden Bakterienarten produzieren deutlich weniger kurzkettige Fettsäuren.“ Einige Wochen nach einer Antibiotika-Behandlung regeneriert sich das Mikrobiom in der Regel. Die aktuelle Studie ergab, dass sich auch die Leber der mit Antibiotika behandelten Tiere schließlich erneuerte, allerdings mit deutlicher Verzögerung. Bei den Mäusen ohne Darmbakterien gab es gar keine selbständige Regeneration. Allerdings konnten die Forschenden die Leber-Regeneration anregen, indem sie den Tieren ein genau definiertes „Mikrobiom-Starter-Set“ verabreichten.
Versuche mit Organoiden und menschlichen Zellen
Das Team konnte anhand von Organoiden aus Mäusezellen – gewissermaßen Miniatur-Lebern in der Petrischale – zeigen, dass die kurzkettigen Fettsäuren ein entscheidendes Baumaterial für die Zellmembran der Leberzellen liefern. Waren diese nicht ausreichend vorhanden, weigerten sich die Zellen, zu wachsen und sich zu teilen. Vermehrten sich die Zellen dagegen, weil ausreichend Fettsäuren zur Verfügung standen, stellte das Team fest, dass ein Enzym mit der Bezeichnung SCD1 besonders aktiv war. „Wir haben die Prozesse danach auch mit menschlichen Leberzellen und an Gewebeproben untersucht“, sagt Yuhan Yin, ebenfalls Erstautor der Studie. „Auch bei Menschen ist SCD1 aktiv, wenn sich die Leber regeneriert.“
Mögliche Anwendungen vor und nach Operationen
„Es ist wichtig, im Blick zu behalten, dass die Rolle, die unsere Darmbakterien für den Körper spielen, sehr komplex und noch lange nicht vollständig verstanden ist“, sagt Klaus-Peter Janssen. Dementsprechend könne man aus den Forschungsergebnissen keine direkten Handlungsempfehlungen ableiten oder Medikamente entwickeln. „Allerdings könnte man anhand unserer Ergebnisse erforschen, welche Zusammensetzungen des Mikrobioms gute Voraussetzungen für eine Regeneration von Leberzellen bieten.“ Dann könne man anhand der Darmbakterien von Tumor-Patient:innen überprüfen, ob der Zeitpunkt für eine OP geeignet sei, oder ob es besser sein könne, zu warten, bis das Mikrobiom sich erholt habe. Unter Umständen könne man die Erholung auch durch eine bestimmte Ernährung positiv beeinflussen.
„Umgekehrt ist es vielleicht auch möglich, nach der Operation anhand des Mikrobioms, also anhand von Stuhlproben, darauf zu schließen, wie gut eine Leber regeneriert“, sagt Prof. Janssen. Weitere Studien des Teams werden sich mit dieser Fragestellung beschäftigen.
Weitere Informationen:
Die Forschungsarbeit entstand in Kooperation mit Prof. Bernhard Holzmann und Prof. Norbert Hüser (Klinik für Chirurgie der TUM) und mit Unterstützung des durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft geförderten Sonderforschungsbereichs „Microbiome Signatures“ (SFB 1371). Sprecher des SFB ist Dirk Haller, Professor für Ernährung und Immunologie an der TUM. https://www.sfb1371.tum.de
Erstautorin Anna Sichler wurde beim 21. Internationalen AEK Cancer Congress 2023 für einem Vortrag zum Thema des Artikels mit dem Young Investigators Award ausgezeichnet.
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Prof. Dr. Klaus-Peter Janssen
Technische Universität München
Klinikum rechts der Isar
Klinik und Poliklinik für Chirurgie
Tel: +49 89 4140 2066
klaus-peter.janssen@tum.de
https://www.chir.med.tum.de/
Originalpublikation:
Y. Yin, A. Sichler, J. Ecker, M. Laschinger, G. Liebisch, M. Höring, M. Basic, A. Bleich, X.-J. Zhang, L. Kübelsbeck, J. Plagge, E. Scherer, D. Wohlleber, J. Wang, Y. Wang, M. Steffani, P. Stupakov, Y. Gärtner, F. Lohöfer, C. Mogler, H. Friess, D. Hartmann, B. Holzmann, N. Hüser, K.-P. Janssen, „Gut microbiota promote liver regeneration through hepatic membrane phospholipid biosynthesis“, Journal of Hepatology (2023). DOI: 10.1016/j.jhep.2022.12.028.
https://www.journal-of-hepatology.eu/article/S0168-8278(23)00009-0/fulltext
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