Mikroorganismen schneller diagnostizieren – mit Hochdurchsatz-Sequenzierung

Next-Generation Sequencing am Fraunhofer IGB. Fraunhofer IGB

Schon in der Antike machte sich der Mensch zur Herstellung von Brot und Bier Mikroorganismen zunutze. Heutzutage werden komplexe Moleküle wie Vitamine und pharmazeutische Wirkstoffe, aber auch Plattformchemikalien wie Ethanol, Milch- oder Bernsteinsäure in großem Stil biotechnologisch mithilfe von molekularbiologisch optimierten Bakterien und Pilzen produziert, Tendenz steigend.

Gleichzeitig stellen krankheitserregende Bakterien und Pilze seit jeher eine Bedrohung für den Menschen dar. Mit dem Entstehen multiresistenter Keime, denen übliche Antibiotika nichts mehr anhaben, sind Infektionen derzeit auch in Europa wieder auf dem Vormarsch.

Dank rasanter Fortschritte in der Nukleinsäureanalytik kann mit den heute verfügbaren Hochdurchsatztechnologien, dem sogenannten Next-Generation Sequencing (NGS), das komplette Genom von Organismen innerhalb von nur wenigen Stunden sequenziert werden. Da jede Art, ob Mikrobe, Pflanze, Tier oder Mensch, ihr eigenes unverwechselbares Erbgut enthält, das in der Reihenfolge von vier Basen in den Nukleotiden der DNA festgelegt ist, liefert die Genomsequenz auch Hinweise auf die Identität des Organismus.

Das Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB setzt die »Sequenzierungstechnologien der nächsten Generation« für die Analyse von Genen und Genomen, auch ganzer mikrobieller Gemeinschaften, bei Fragestellungen in Medizin, Biotechnologie und Umwelt ein. Für den Pilz Pseudozyma aphidis wurde beispielsweise ein vollständiges Referenzgenom erstellt. Der Pilz produziert Biotenside, die für den Einsatz in Reinigungsmitteln oder Kosmetika interessant sind. Auch die Diagnose mikrobieller Keime in der Medizin will die Arbeitsgruppe um Dr. Kai Sohn mit NGS-Technologien erheblich beschleunigen.

Von DNA-Fragmenten zum vollständigen Genom

Das Genom des in der Biotechnologie vielfach eingesetzten Bakteriums Escherichia coli zählt 5,2 Millionen, das der Bäckerhefe etwa 12,2 Millionen Basenpaare. »Um eine solch umfassende Sequenz innerhalb nur weniger Stunden zu entschlüsseln, zerlegen wir die komplette DNA eines Mikroorganismus in Millionen zufälliger Bruchstücke mit einer Länge von mehreren tausend Basen, die dann vervielfältigt und anschließend gleichzeitig sequenziert werden«, erläutert der Biologe Dr. Christian Grumaz.

Da sich die Bruchstücke teilweise überlappen, können die Wissenschaftler die einzelnen Fragmente anschließend wieder zum gesamten Genom zusammensetzen. »Diese Genom-Assemblierung lässt sich aufgrund der gigantischen Datenmengen nur mithilfe mathematischer Modelle und Algorithmen am Rechner lösen«, ergänzt Bioinformatiker Philip Stevens.

Doch welche Abschnitte der DNA-Sequenz kodieren nun die relevanten Proteine, wo sitzen wichtige regulatorische Elemente, welche Abschnitte haben keine unmittelbar proteinkodierende Funktion? Gen-Annotation nennen die Experten den nächsten Schritt, in dem sie die entschlüsselten Sequenzen bekannten Genfunktionen zuordnen, wieder mithilfe der Bioinformatik.

»Zunächst suchen wir mithilfe von Algorithmen die Genomsequenz nach typischen Basenpaarfolgen ab, die beispielsweise Start- und Stoppsignale von Genen kennzeichnen. Die zwischen diesen Signalen gefundenen Gensequenzen gleichen wir dann in Gen-Datenbanken auf ähnliche Sequenzen ab. So können wir der Gensequenz eine bereits bekannte Funktion zuordnen«, erklärt Experte Stevens.

Transkriptomanalysen zeigen, welche Gene aktiv sind

Um herauszufinden, welche der Gene im Genom von Pseudozyma aphidis für die Synthese der begehrten Biotenside verantwortlich sind, zogen die Forscher experimentelle Transkriptomanalysen hinzu. Diese zeigen, welche Gene unter den gewählten Bedingungen auch tatsächlich aktiv sind, das heißt, welche Gene in welchem Maße abgelesen und in RNA, die Blaupause für das Protein, transkribiert werden.

»Auf diese Weise konnten wir ein Cluster aus fünf nebeneinander liegenden Genen identifizieren, das die Information für die Synthese der Biotenside enthält«, resümiert Grumaz. Der Pilz produziert eine einzigartige Kombination vier verschiedener Biotensidvarianten, die sich für jeweils unterschiedliche Einsatzgebiete in der Kosmetik oder als Reinigungsmittel eignen.

Erst dieses Wissen liefert die Grundlage, um die Gene für drei Varianten zugunsten einer höheren Ausbeute an nur einer Variante auszuschalten – Voraussetzung für den wirtschaftlichen Einsatz als Biotensidproduzent. Zudem gelang es dem Forscherteam, mit der RNA-Sequenzierung die rein computergestützte Genvorhersage noch deutlich zu verbessern: Während sie 56 Prozent der Gene verifizierten, konnten sie über 20 Prozent signifikant korrigieren – und darüber hinaus 567 neue, am Rechner nicht erfasste Gene erkennen.

Nicht kultivierbare Organismen und mikrobielle Gemeinschaften analysieren

Die neuen NGS-Technologien sind nicht nur schnell. »Durch die direkte Sequenzierung einer Probe mit Mikroorganismen entfällt der aufwendige Schritt der Kultivierung im Labor«, beschreibt Gruppenleiter Sohn einen weiteren Vorteil. »So können selbst solche Mikroorganismen identifiziert werden, deren natürliche Wachstumsbedingungen wir experimentell nur unzureichend nachstellen können.« Beispiel für eine solche, dazu extrem heterogene, mikrobielle Gemeinschaft mit bis zu hunderten unterschiedlicher Bakterien sind Biogasanlagen.

Obschon die Biogasproduktion ein seit langem eingesetztes Verfahren ist, sind die beteiligten Mikroorganismen und ihre Reaktionswege noch weitgehend unbekannt. »Mittels bioinformatischer Methoden konnten wir über 200 am Biogasprozess beteiligte Arten identifizieren und gleichzeitig auch deren Anteile an der gesamten Biozönose bestimmen«, sagt Grumaz. So kann der Gesamtprozess besser verstanden und im Sinne höherer Biogasausbeuten gezielt gesteuert werden. Dies kann es landwirtschaftlichen Betreibern ermöglichen, den erneuerbaren Energieträger Biogas auch ohne staatliche Zuschüsse konkurrenzfähig zu konventioneller Energie zu machen.
Diagnostik von Infektionen

Ein weiteres vielversprechendes Einsatzgebiet für die Hochdurchsatzsequenzierung von Mikroorganismen ist die Diagnostik. Die Zahl von Patienten, die sich bei medizinischen Behandlungen eine bakterielle Infektion zuzieht, wächst stetig. Allein in Deutschland sterben Tausende daran, weil sie mit einem antibiotikaresistenten Keim infiziert sind. Die herkömmliche Labordiagnostik, bei der die Keime aus Blutproben der Patienten im Labor vermehrt werden, benötigt mehrere Tage bis ein Ergebnis vorliegt.

»Mit Hochdurchsatzsequenzierungstechnologien könnten die Ärzte dagegen innerhalb von 30 Stunden feststellen, ob ein Patient mit einem multiresistenten Erreger infiziert ist«, erläutert Sohn. »Und anhand der Anzahl der Genomfragmente können wir mit unserer Expertise sogar erkennen, welche Erreger sich im Patienten bereits stark vermehrt haben.«

Dies ermöglicht dem Arzt, sofort gezielte Therapiemaßnahmen in die Wege zu leiten, anstatt wertvolle Zeit mit einer vielfach falschen Medikation verstreichen zu lassen. Zurzeit wird die Technologie am Fraunhofer IGB noch optimiert, damit die Diagnosen dem behandelten Arzt sogar in weniger als 24 Stunden vorliegen.

Um die Infektionsdiagnostik weiterzuentwickeln und auszubauen, hat das Wissenschaftlerteam am IGB bereits erste große Kliniken mit ins Boot geholt. Denn auch andere bedeutsame Krankheitserreger wie Viren und Parasiten können mit der Sequenzierung sicher, zuverlässig und schnell diagnostiziert werden.

Das Fraunhofer IGB stellt seine Entwicklungen zur Hochdurchsatzsequenzierung von Mikroorganismen erstmals auf der Biotechnica vom 6.–8. Oktober 2015 in Hannover am Fraunhofer-Gemeinschaftsstand (Halle 9, Stand C34) vor.

http://www.igb.fraunhofer.de/de/presse-medien/presseinformationen/2015/mikroorga…

Media Contact

Dr. Claudia Vorbeck Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB

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