Minimalausstattung für den Mikroorganismus

Bioingenieure von der University of California, San Diego, definieren in Zusammenarbeit mit einem Wissenschaftler der Universität Tübingen in einer neuen Studie die essentielle Menge an Genen und Funktionen, die eine Bakterienzelle zum Leben benötigt.

Diese Arbeit eröffnet neue Ansätze in der Zellingenieurstechnik an Escherichia coli (E. coli) und anderen Mikroorganismen, da sie die grundlegende Frage beantwortet, welche Minimalausstattung bakterielle Zellen zum Überleben brauchen. Die Ergebnisse wurden nun in der Fachzeitschrift „Proceedings of the National Academy of Sciences“ (PNAS) veröffentlicht.

Die Wissenschaftler im Labor von Bernhard O. Palsson, dem Galetti-Professor für Bioingenieurwesen der University of California, San Diego, fanden „den kleinsten gemeinsamen Nenner, den Mikroben benötigen, um funktionieren zu können“, wie Palsson sagt.

„Falls der Zelle eines der Gene von dieser Liste fehlt, so kann sie weder funktionieren noch überleben.“ Gearbeitet wurde mit umfangreichen Rechensimulationen, für die Dr. Andreas Dräger vom Zentrum für Bioinformatik der Universität Tübingen Strategien zur eindeutigen Darstellung der Rechenmodelle entwickelt und die Software-Entwicklung betreut hat.

Nach Angaben der Forscher helfen die neuen Ergebnisse, an gentechnische Arbeiten anders als bisher heranzugehen. Werden Mikroben gentechnisch verändert, um wertvolle Substanzen in größeren Mengen herzustellen, so müssen Wissenschaftler in den genetischen Gesamtaufbau der Zellen eingreifen.

Dabei veränderten sie zuweilen auch essentielle Gene der Zelle und deren Funktionen, was zu einer „kranken“ Zelle mit Defekten führte. Mit dem neuen Wissen haben die Bioingenieure eine Liste der minimalen essentiellen Komponenten, die sie erhalten müssen, und können dann zusätzliche Bauanleitungen für die Produktion weiterer Substanzen hinzufügen.

Die Wissenschaftler nennen die überlebenswichtigen Gene und Funktionen das „Paläom“ – in Anspielung auf die angestammte Ausstattung des minimalen mikrobiellen Lebens. Bei anderen Ansätzen, so berichtet Palsson, haben Forscher versucht, das Paläom zu definieren, indem Genomsequenzen verschiedener Organismen verglichen wurden und dabei der Genbestand herausgefiltert wurde, der überall zu finden ist.

„Dies definiert aber lediglich das minimale Genom. Unsere Definition des Paläoms ist deutlich umfassender“, erklärt er. Es handele sich um eine auf der Systembiologie basierende Definition, die neben der minimalen Genmenge auch die minimale Menge von Funktionen, Reaktionen und Prozessen einbezieht, die für den Aufbau der Zelle benötigt werden.

Diese Definition des Paläoms basiert auf Rechenmodellen des zellulären Wachstums von E.-coli-Bakterien unter verschiedenen Voraussetzungen. Die Forscher simulierten das Wachstum eines gut erforschten E.-coli-Stammes unter 333 verschiedenen Bedingungen, bei denen sie unter anderem die Hauptnahrungsquellen für die von der Bakterienzelle benötigten Stoffe wie Kohlenstoff, Stickstoff, Phosphor und Schwefel virtuell wechselten.

Das Team beobachtete, welche Menge von Genen unter allen verschiedenen Wachstumsbedingungen stets aktiv war, und konstruierte daraus das Paläom. Insgesamt identifizierte die Autorengruppe 356 solcher Gene. Dabei wirkte der Bioinformatiker Andreas Dräger bei der Erstellung eines austauschbaren Rechenmodells mit, das den gängigen Standards entspricht und die Analyse großer Datenmengen ermöglicht.

„Mit diesem Paläom konnten ein weiterer E.-coli-Stamm sowie drei andere Mikroorganismen ebenfalls arbeiten“, sagt der Erstautor der Studie Laurence Yang aus der Arbeitsgruppe von Palsson. „Wir hoffen, dieses Paläom als Anfangswerkzeug nutzen zu können, um Wachstumsmodelle für weitere Organismen zu erstellen.“ Diese könnten wiederum als Basis dienen, wenn die Organismen in der Gentechnik genutzt werden sollen.

Originalpublikation:
Laurence Yang, Justin Tan, Edward J. O’Brien, Jonathan M. Monk, Donghyuk Kim, Howard J. Li, Pep Charusanti, Ali Ebrahim, Colton J. Lloyd, James T. Yurkovich, Bin Du, Alex Thomas, Andreas Dräger und Bernhard O. Palsson: Systems biology definition of the core proteome of metabolism and expression is consistent with high-throughput data. Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS), Online-Veröffentlichung, 10. August 2015, DOI: 10.1073/pnas.1501384112

Kontakt:
Dr. Andreas Dräger
Universität Tübingen
Zentrum für Bioinformatik Tübingen
andreas.draeger[at]uni-tuebingen.de

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Dr. Karl Guido Rijkhoek idw - Informationsdienst Wissenschaft

Weitere Informationen:

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