Moleküle nach Maß

Prof. Dr. Schinzer, Luca Lizzadro und Dr. Oliver Spieß mit dem Modell des Disorazol-Moleküls
Jana Dünnhaupt

Chemiker optimieren künstliche Herstellung krebshemmender Naturstoffe

Chemikern der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg ist es gelungen, mit einem hocheffektiven Verfahren den in der Natur vorkommenden Wirkstoff Disorazol nachzubauen. Das von – überall vorkommenden – sogenannten Myxobakterien produzierte Disorazol hemmt nachgewiesenermaßen erfolgreich die Teilung menschlicher und tierischer Zellen. Es ist aber in der Krebstherapie nicht einsetzbar, da es zu aktiv und unselektiv agiert, wodurch auch gesunde Zellen den Zelltod erleiden.

Die dem Chemikerteam Prof. Dieter Schinzer, Dr. Oliver Spieß und Luca Lizzadro gelungene künstliche Herstellung von Disorazol kann als Grundlage dienen, den Wirkmechanismus des Moleküls künftig so zu modulieren, dass er zielgerichtet Tumorzellen angreift und damit als Entwicklungskandidat in der Krebstherapie geprüft werden kann.

Die Herausforderung bei der Modulierung besteht darin, das Molekül so zu verändern, dass es zunächst an ein bestimmtes Protein andockt, einen Antikörper, und damit zielgerichtet zum Tumor geführt werden kann. Anschließend wird der Wirkstoff freigesetzt und hemmt dann selektiv die Teilung kranker Tumorzellen. Der Zelltod, die sogenannte Apoptose, kann dann künftig nur dort ablaufen, wo er angestrebt wird.

In der Chemie bezeichnet der Begriff Synthese den Vorgang, bei dem aus einzelnen Bausteinen eine neue Verbindung bzw. aus einfach gebauten Verbindungen ein komplexer neuer Stoff entsteht. Im Gegensatz zu einer Mischung können aus einer synthetisierten Verbindung die Ausgangsstoffe nicht wiedergewonnen werden.

Den Wissenschaftlern vom Lehrstuhl für Organische Chemie gelang es, innerhalb von weniger als 24 Monaten das Disorazol-Molekül synthetisch herzustellen. „Wir sind nicht die ersten, denen das gelungen ist, schon in früheren Versuchen konnte Disorazol synthetisiert werden“, so Luca Lizzadro, der das Verfahren maßgeblich im Rahmen seiner Doktorarbeit entwickelt hat. „Aber der Prozess war immer langwierig und komplex und die Ausbeute gering. Mit unserem Verfahren wurde der Synthese-Ansatz optimiert. Das macht eine hocheffiziente Herstellung mit einer großen Gesamtausbeute möglich“, ergänzt sein Doktorvater, Prof. Dr. Dieter Schinzer.

Der neue Syntheseansatz der Magdeburger Wissenschaftler war, durch robuste aufeinanderfolgende Reaktionen die einzelnen Molekülbausteine Schritt für Schritt aufzubauen und anschließend durch effiziente Verfahren zu einem Gesamtgerüst, einem Gesamtmolekül zu kuppeln. „Man versucht zuerst, durch eine theoretische Analyse das Zielmolekül in einfache Bausteine zu zerlegen“, erklärt der Chemiker Dieter Schinzer, die Vorgehensweise bei der Synthese.

„Das führt dann bis an den Punkt, an dem es um sehr simple Substanzen geht, die man oftmals sogar kaufen kann.“ Die eigentliche Herausforderung bestehe im zweiten Schritt allerdings darin, die Synthese, also den umgekehrten Weg von chemischen Reaktionen von den einzelnen Bausteinen hin zum Zielmolekül, dann wirklich im Labor durchzuführen. „Da die Bausteine immer komplexer werden, klappt es häufig nicht mehr mit theoretischen Vorhersagen, dann wird es kompliziert, da bestimmte Umwandlungen und Reaktionen von Molekülbausteinen, die man sich ausgedacht hat und die vielleicht auch in der Literatur beschrieben sind, einfach nicht funktionieren, da andere Teile im Molekül zerstört werden. Man braucht dann einen langen Atem.“ Alternativstrategien werden dann solange entwickelt, bis man endlich versteht, was im Einzelnen passiert.

Die bislang veröffentlichten drei anderen Synthesewege konnten nur sehr geringe Mengen des Naturstoffs erzeugen, so Schinzer, und eigneten sich daher wenig für eine breit angelegte biologische Testung dieser hoch aktiven Substanz und deren synthetischer Derivate.

Die Wissenschaftler haben die Synthese von Disorazol bereits beim Europäischen Patentamt angemeldet.

Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Prof. Dr. rer. nat. Dieter Schinzer, Institut für Chemie der Fakultät für Verfahrens- und Systemtechnik, Tel.: +49 0391 67-58673, E-Mail: dieter.schinzer@ovgu.de

http://www.uni-magdeburg.de/

Media Contact

Katharina Vorwerk Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Biowissenschaften Chemie

Der innovations-report bietet im Bereich der "Life Sciences" Berichte und Artikel über Anwendungen und wissenschaftliche Erkenntnisse der modernen Biologie, der Chemie und der Humanmedizin.

Unter anderem finden Sie Wissenswertes aus den Teilbereichen: Bakteriologie, Biochemie, Bionik, Bioinformatik, Biophysik, Biotechnologie, Genetik, Geobotanik, Humanbiologie, Meeresbiologie, Mikrobiologie, Molekularbiologie, Zellbiologie, Zoologie, Bioanorganische Chemie, Mikrochemie und Umweltchemie.

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

Muster mikrobieller Evolution im See Mendota, analysiert mit Metagenom-Daten und saisonalen Einblicken.

Ein endloser Kreislauf: Wie sich einige Bakterien mit den Jahreszeiten entwickeln

Die längste jemals gesammelte natürliche Metagenom-Zeitreihe mit Mikroben offenbart ein verblüffendes evolutionäres Muster, das sich wiederholt. Ein mikrobielles „Murmeltiertagsjahr“ im Lake Mendota Ähnlich wie Bill Murray im Film „Und täglich…

Mueller-Matrix-Polarimetrie-Technik zur Bewertung der Achillessehnenheilung.

Entdecken Sie bahnbrechende Forschung zur Regeneration der Achillessehne

Achillessehnenverletzungen sind häufig, aber aufgrund der Einschränkungen aktueller Bildgebungstechniken schwer während der Genesung zu überwachen. Forschende unter der Leitung von Associate Professor Zeng Nan von der International Graduate School in…

Echtzeit-Genetische Sequenzierung zur Überwachung neuer Pathogene und Infektionsvarianten

Warum Prävention besser ist als Heilung – Ein neuartiger Ansatz für den Umgang mit Infektionskrankheiten

Forscher haben eine neue Methode entwickelt, um ansteckendere Varianten von Viren oder Bakterien zu identifizieren, die sich unter Menschen auszubreiten beginnen – darunter Erreger von Grippe, COVID, Keuchhusten und Tuberkulose….