Molekularer Tauschhandel unter Wasser
Korallen und Anemonen gehen Symbiosen mit Algen ein und tauschen Nährstoffe mit ihnen aus. Eine neue Studie zeigt, wie diese Partnerschaft auf zellulärer Ebene reguliert wird.
Nicht immer heißt es in der Natur „Fressen oder gefressen werden“. Es kann auch von Vorteil sein, wenn sich unterschiedliche Arten zusammentun und ihre Fähigkeiten vereinen. Nesseltiere wie Korallen oder Anemonen haben bereits vor 250 Millionen Jahren solche biologischen Kooperationen mit Algen aus der Gruppe der Dinoflagellaten gestartet. Dank dieser Symbiosen können sie gemeinsam in nährstoffarmen Gewässern gedeihen, in denen sie alleine keine Chance zum Überleben hätten. Korallen können auf diese Weise die strukturelle Grundlage für das artenreichste aller marinen Ökosysteme bilden. Sie bieten ihrem Dinoflagellaten-Symbionten Schutz vor Fressfeinden und anorganische Nährstoffe wie Stickstoff und Phosphor. Die Algen versorgen die Koralle im Gegenzug mit den Produkten ihrer Photosynthese: mit Kohlenhydraten, Protein und Fett.
Doch damit das funktioniert, muss dieser Tauschhandel exakt reguliert werden. Obwohl ein erfolgreicher Nährstoffaustausch entscheidend für die Gesundheit der Korallen und damit für das gesamte Ökosystem Korallenriff ist, sind die molekularen Mechanismen, welche die Kommunikation in dieser Partnerschaft regeln, noch weitgehend unbekannt. Eine neue Studie im Fachmagazin Current Biology zeigt nun, dass für den Stoffaustausch zwischen Alge und Koralle beziehungsweise Anemone ein evolutionär uralter Signalweg eine entscheidende Rolle spielt.
Gefressen, ohne verdaut zu werden
„Die meisten Korallenarten müssen in jeder Generation neue Dinoflagellaten-Symbionten aus ihrer Umwelt aufnehmen“, erklärt LMU-Biologin Professorin Annika Guse, die Hauptautorin der neuen Studie. Dazu würden die Symbionten zunächst wie Nahrung in die Gastralhöhle der Koralle und anschließend in die Zellen des Wirts aufgenommen. Um die Algen bildet sich dabei eine Art Blase, das sogenannte Symbiosom. Dieses ähnelt chemisch einem Lysosom – einem anderen Zellorganell, das bei der Verdauung eine zentrale Rolle spielt. „Der Unterschied zum Lysosom ist, dass die Dinoflagellaten im Symbiosom intakt bleiben“, sagt Guse. Der Wirt fresse also gewissermaßen seinen Symbionten, ohne ihn zu verdauen. „Wie die Algen das überleben, ist noch nicht genau erforscht.“ Im Inneren des Symbiosoms betreiben die Algen dann weiter Photosynthese und produzieren Nahrung, die sie mit ihrem Wirt teilen. Alle Nährstoffe und Kommunikationsvorgänge zwischen den Partnern müssen dabei die Hülle des Symbiosoms überwinden, die sowohl aus Membranen des Wirts, als auch des Symbionten besteht.
Zell-Zoll zwischen Symbiont und Wirt
Offenbar nutzen die Symbiosepartner dazu den sogenannten mTOR-Signalweg (Mechanistic Target of the Rapamycin), der in allen Eukaryoten den zellulären Stoffwechsel in Abhängigkeit von Umweltfaktoren wie der Verfügbarkeit von Nährstoffen reguliert. Dass er auch bei Nahrungssymbiosen zum Einsatz kommt, ist für andere Arten bereits belegt. „Verschiedene Insektenwirte nutzen die mTOR-Signalübertragung für ihre bakteriellen Endosymbionten und auch bei Leguminosen und ihren Pilzpartnern ist der Signalweg nachgewiesen“, sagt Guse. Die Forscher vermuteten daher, dass mTOR auch an der Partnerschaft zwischen Nesseltieren und Dinoflagellaten beteiligt sein könnte. „Wir konnten nachweisen, dass endosymbiontische Korallen den mTOR-Signalweg nutzen, um von Symbionten stammende Nährstoffe in den Wirtsstoffwechsel zu integrieren.“ Alle wichtigen Komponenten von mTOR seien sowohl in Anemonen und Korallen vorhanden. Annika Guse und ihre Kollegen untersuchten, wie stark der Signalweg in verschiedenen Entwicklungsstadien von Anemonen der Gattung Aiptasia durch das Vorhandensein von Algenpartnern aus der Familie der Symbiodiniaceae aktiviert wird. Zusätzlich testeten sie, wie sich eine Hemmung der mTOR-Signalübertragung auf die Funktionsfähigkeit der Symbiose auswirkt. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass die mTOR-Signalübertragung durch die Symbiose aktiviert wird und eine Störung des Signalwegs die Symbiose sowohl auf zellulärer als auch auf organismischer Ebene beeinträchtigt“, erklärt Guse. „Außerdem konnten wir mithilfe eines spezifischen Antikörpers zeigen, dass mTOR an den Membranen des Symbiosoms lokalisiert ist.“
Uralter Signalweg umfunktioniert
Die Biologen schließen aus ihren Ergebnissen, dass mTOR von großer Bedeutung bei der Integration von Nährstoffen in den Stoffwechsel des Wirts und für die Stabilität der Symbiose spielt. Da ein Großteil der Energie, die symbiotische Nesseltiere verbrauchen, von ihren Symbiosepartnern stamme, sei es plausibel, dass der hochkonservierte mTOR-Signalweg letztlich für eine effiziente Nährstofferkennung in der Symbiose genutzt wurde. Guse und ihr Team schlagen daher ein Modell vor, bei dem die von den Algen freigesetzten Nährstoffe die mTOR-Signalübertragung im Symbiosom und im Wirtsgewebe aktivieren – analog zur Erkennung von Nährstoffen aus äußeren Nahrungsquellen.
Vermutlich war die Aktivierung der mTOR-Signalübertragung auch ein wichtiger Schritt in der Evolution dieser Symbiose, um das Überleben der Algen innerhalb ihrer Wirtszellen zu ermöglichen. „Die mTOR-Aktivität steuert die sogenannte Autophagie, eine evolutionär sehr alte Immunreaktion, die beim Eindringen von Krankheitserregern in den Wirt ausgelöst wird und zur Vernichtung des Eindringlings führt“, erklärt die Biologin. Deswegen hätten einige Krankheitserreger wie auch die bakteriellen Endosymbionten mancher Insekten Mechanismen entwickelt, um die Beseitigung durch Autophagie zu umgehen.
Frühe Symbionten könnten von einem Nesseltier aufgenommen und in dessen Zellen aufgenommen worden sein. Anstatt ausgestoßen oder zerstört zu werden, wurden diese Symbionten jedoch beibehalten, da sie die Wirtszelle mit Nährstoffen versorgten, die mTOR-Signale aktivierten und so die Autophagie stoppten. „Wir beginnen gerade erst zu verstehen, wie das komplexe Wechselspiel zwischen Wirt und Alge funktioniert und sich in einer Jahrmillionen währenden Koevolution entwickelt hat“, meint Guse.
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Prof. Dr. Annika Guse
Fakultät für Biologie
Ludwig-Maximilians-Universität München
Telefon: +49 89 2180 74218
E-Mail: annika.guse@biologie.uni-muenchen.de
Website: https://guselab.de/
Originalpublikation:
Philipp A. Voss, Sebastian G. Gornik, Marie R. Jacobovitz, Sebastian Rupp, Melanie Dörr, Ira Maegele, Annika Guse
Host nutrient sensing is mediated by mTOR signaling in cnidarian-dinoflagellate symbiosis,
Current Biology, 2023
https://doi.org/10.1016/j.cub.2023.07.038
https://www.lmu.de/de/newsroom/newsuebersicht/news/molekularer-tauschhandel-unter-wasser.html
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