Mukoviszidose: bessere Diagnostik für seltene Erbkrankheit
Europäisches Gemeinschaftsprojekt „Stracyfic“ zur Verbesserung der Diagnostik der seltenen Erbkrankheit zystische Fibrose am 1. Juni 2023 gestartet. Das dreijährige Forschungsvorhaben unter Leitung der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) wird mit mehr als 1,3 Millionen Euro gefördert. Das Bundesministerium für Gesundheit übernimmt hierbei die Teilförderung in Höhe von 300.000 Euro für die Forschung an der UMG.
In Deutschland sind mehr als 8.000 Menschen von der unheilbaren Erbkrankheit zystische Fibrose, auch Mukoviszidose genannt, betroffen. Diese seltene Erkrankung betrifft weltweit eine von 2.500 Lebendgeburten und weist eine hohe Krankheitslast und Sterblichkeit auf. Bei diesem Krankheitsbild entsteht aufgrund eines genetischen Defekts unter anderem ein zäher Schleim in den Atemwegen, der zum Beispiel chronische Infektionen begünstigt, welche zu einem Versagen des Organs führen können. Zudem wird die Schweißproduktion durch diesen Kanal direkt beeinflusst, so dass eine besondere Sorte von Schweiß, der Angstschweiß, bei einer schweren Form der Erkrankung auch vollständig ausbleiben kann. Da man mittels lokaler Stimulation der Haut durch Substanzen genau diese Reaktion in einem definierten Hautbereich auslösen kann, bietet die Schweißbildung somit einen Ansatzpunkt, um die Schwere der Erkrankung frühzeitig und zuverlässig bestimmen zu können.
Forschende und Mediziner*innen aus Belgien, Deutschland, Frankreich und Italien unter Koordination von Dr. Manuel Nietert, Leiter der Arbeitsgruppe „Chemoinformatik und Bildanalyse“ im Institut für Medizinische Bioinformatik der Universitätsmedizin Göttingen (UMG), entwickeln jetzt in einem gemeinsamen Projekt eine bildbasierte Methode zur besseren Diagnose der zystischen Fibrose weiter. Ziel ist es, eine abgestimmte Handlungsanweisung zu entwickeln, wie die bildbasierte Methode im klinischen Alltag genutzt werden kann. Die Arbeiten setzen dabei auf einem bereits in der Forschung eingesetzten „Schweißtest“ auf und sollen dazu beitragen, die zystische Fibrose sowie deren Schweregrad schneller und zuverlässiger zu identifizieren. Ziel ist es, den Betroffenen gemäß ihres individuellen Krankheitsgrades früher helfen zu können und langfristig einen besseren Umgang mit der Erkrankung zu ermöglichen. Das am 1. Juni 2023 gestartete Forschungsvorhaben „Stratifizierung von Patient*innen basierend auf einer Standardisierung des bildbasierten Schweißtests für zystische Fibrose/Mukoviszidose zur Nutzung in der klinischen Routine“ (Stracyfic) wird über drei Jahre mit mehr als 1,3 Millionen Euro gefördert, von denen das Bundesministerium für Gesundheit die Teilförderung in Höhe von 300.000 Euro für die Forschung an der UMG übernimmt.
Für das Krankheitsbild der zystischen Fibrose ist ein genetischer Defekt verantwortlich, der die Veränderung eines Proteins, des „Cystic Fibrosis Transmembrane Conductance Regulator“ (CFTR) bewirkt. Bei diesem Protein handelt es sich um einen Kanal, der unter anderem in den Schleimhäuten und Schweißdrüsen vorkommt und den Salzgehalt außerhalb der Zellen reguliert. Speziell Chlorid-Ionen (Salze) werden über diesen Kanal transportiert. Den transportierten Chlorid-Ionen folgen Wassermoleküle, die eine hinreichende Benetzung der Schleimschicht bewirken. Wenn die Befeuchtung ausreichend ist, kann der Körper den Schleim dazu nutzen, Fremdkörper, unter anderem aus der Lunge, zu transportieren. Sind CFTR-Kanäle defekt, wie es bei der zystischen Fibrose der Fall ist, entsteht ein zäher Schleim, der sich beispielsweise in den Atemwegen ansammelt.
In den Schweißdrüsen hat der CFTR-Kanal eine etwas andere Funktion. Er dient nicht der Abgabe von Chlorid-Ionen in den Schweiß, sondern der Wiederaufnahme der Chlorid-Ionen aus dem Schweiß, um den Elektrolytverlust beim Schwitzen möglichst gering zu halten. Bei gesunden Menschen ist der Chlorid-Verlust über den Schweiß gering, da die CFTR-Kanäle intakt sind. Bei Patient*innen mit zystischer Fibrose hingegen ist der Salzhaushalt aufgrund defekter CFTR-Kanäle gestört. Je salziger der Schweiß, desto schwerer die Erkrankung.
Standard-Schweißtest
Bei dem aktuell in der Diagnostik eingesetzten Schweißtest zum Nachweis der zystischen Fibrose wird die Haut am Unterarm der Patient*innen mit dem Wirkstoff Pilocarpin zum Schwitzen gebracht. Der Schweiß wird über einen Zeitraum von 30 Minuten gesammelt und der Chlorid-Gehalt gemessen.
Dieser Test ist ausreichend, um schwere Krankheitsfälle zu identifizieren. Denn es muss eine gewisse Menge an Chlorid-Ionen im Schweiß enthalten sein, um eine zuverlässige Aussage treffen zu können. Ist die zystische Fibrose nicht allzu stark ausgeprägt und weniger Chlorid-Ionen sind im Schweiß enthalten, nimmt die Messgenauigkeit ab. Eine eindeutige Diagnosestellung ist nur noch bedingt möglich.
Das neue Testverfahren
Das neue Testverfahren bietet auch bei milderen Formen der Erkrankung eine eindeutige Diagnose. Im Gegensatz zur Standardmethode wird die Haut nicht durch Pilocarpin, sondern mit Hilfe eines speziellen Substanzcocktails zur Schweißproduktion angeregt. Der Vorteil: Bei dieser Art der Stimulation wird ausschließlich Angst- und Aufregungsschweiß gebildet. Im Gegensatz zur Schweißbildung durch Pilocarpin-Stimulation erfolgt hier die Bildung von Angst- und Aufregungsschweiß allein über die CFTR-Kanäle. Das heißt, die Schweißbildung steht in direktem Zusammenhang mit der Funktionalität der CFTR-Kanäle. Zudem wird nicht der Chlorid-Ionen-Gehalt im Schweiß gemessen, sondern die Geschwindigkeit der Schweißproduktion. „Dieses Vorgehen ist bereits seit einigen Jahren etabliert, jedoch dauerte die Testauswertung relativ lange und konnte daher nicht in die Routine übernommen werden. Verschiedene Anleitungen zur Stimulation und auch zur anschließenden Mengenbestimmung wurden an verschiedenen Standorten auf der Welt individuell aufgebaut. Unser Projekt bringt diese Erfahrungen unserer europäischen Partner*innen zur Stimulation der Hautreaktion mit der automatisierten Aufzeichnung und Auswertung mittels spezialisierter Hard- und Software zusammen. Wir wollen den Angst- und Aufregungsschweiß gezielt auf der Haut des Unterarms auslösen. Hierzu werden wir im Verlauf des Vorhabens viele Messungen bei gesunden und unterschiedlich schwer erkrankten Personen durchführen. Anschließend vergleichen wir die Messergebnisse, um die verschiedenen Schweregrade der zystischen Fibrose zuverlässig zuzuordnen. Bei einer schwächeren Form der Erkrankung erwarten wir eine schnellere Schweißproduktion, da noch viele CFTR-Kanäle intakt sind, und bei stärker Betroffenen eine langsamere bis sogar ausbleibende Schweißproduktion, da hier viele CFTR-Kanäle defekt sind. Nachdem die Schweißproduktion ausgelöst wurde, werden wir mit Hilfe eines speziellen Mikroskops Bildserien von dem Hautareal aufnehmen und die Bildung der Schweißblasen dokumentieren.“ Die Software zur automatischen Auswerten der Bilder („Automated Bubble Sweat Test Diagnostic Tool“, AutoBuSTeD) benötigt nur wenige Minuten für die Auswertung beziehungsweise die Feststellung des Schweregrades der Erkrankung. Das notwendige Equipment wurde bereits in Vorprojekten von Nietert in Kooperation mit Dr. Sophia Pallenberg, wissenschaftliche Mitarbeitern in der Klinik für Pädiatrische Pneumologie, Allergologie und Neonatologie der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH), entwickelt und soll den verbesserten Schweißtest reif für die Anwendung in der klinischen Routine machen.
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Universitätsmedizin Göttingen, Georg-August-Universität
Institut für Medizinische Bioinformatik
Dr. Manuel Nietert, Telefon 0551 / 39-61789
Goldschmidtstr. 1, 37077 Göttingen
manuel.nietert@med.uni-goettingen.de
Weitere Informationen:
https://bioinformatics.umg.eu/research/projects/stracyfic/ – UMG-Projektseite
https://owncloud.gwdg.de/index.php/s/upevMyTnw2Ml37g – Pitch-Video
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