Neue Protein-Inhibitoren eröffnen Ansatz für optimierte Therapiestrategie bei AML

Mikroskopische Darstellung der Mikrotubuli in unbehandelten (links) oder mit Bcr-TMP behandelten Zellen (rechts).
© 2022 Yusenko et al. Originally published in Cancers. https://doi.org/10.3390/cancers14010043

Transkriptionsfaktoren sind Proteine, die die Aktivität unserer Gene steuern. Diese Proteine können daher bei fehlerhafter Funktion zu Krankheiten, zum Beispiel zur Entstehung von Krebs, führen. Eines dieser Proteine namens „MYB“ spielt bei der akuten myeloischen Leukämie (AML) und möglicherweise anderen Leukämien eine bedeutende Rolle. AML ist eine der häufigsten Leukämien mit einer schlechten Prognose, besonders bei älteren Patienten.

Ein Forschungsteam der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster hat nun im Rahmen eines von der Wilhelm Sander-Stiftung geförderten Forschungsprojektes neue Erkenntnisse zum MYB-Protein und dessen Hemmung als möglichem therapeutischem Ansatzpunkt gewonnen.

Das Verständnis der Ursachen von Krebserkrankungen ist in den letzten Jahren dramatisch gewachsen. Neue, für die Entstehung von Tumoren verantwortliche Gene und Proteine wurden identifiziert und biologische Zusammenhänge charakterisiert. Die Transformation dieser Erkenntnisse in praktische Therapien zur Behandlung dieser Erkrankungen ist jedoch oft ein langwieriger Prozess.

Die Arbeitsgruppe um Prof. Dr. Karl-Heinz Klempnauer am Institut für Biochemie der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU) beschäftigt sich schon seit vielen Jahren mit dem MYB-Protein. Klempnauer war bereits 1984 als Postdoktorand im Labor des Nobelpreisträgers Michael Bishop an der University of California in San Francisco (UCSF), USA, auf dieses Protein gestoßen und hat seitdem viele Aspekte seiner Funktion untersucht. Unter anderem haben er und sein Forschungsteam einen Zusammenhang zwischen akuter myeloischer Leukämie (AML) und einer Überaktivität des Transkriptionsfaktors MYB entdeckt und daher die Hemmung des MYB-Proteins als mögliche therapeutische Strategie für AML in den Blick genommen.

So gelang es den Wissenschaftlern* um Karl-Heinz Klempnauer bereits vor einiger Zeit erstmals zu zeigen, dass bestimmte niedermolekulare Substanzen in der Lage sind, die Aktivität von MYB zu hemmen, indem sie dessen Zusammenspiel mit einem sogenannten Ko-Aktivator behindern. Ko-Aktivatoren sind Proteine, die die regulatorische Wirkung von Transkriptionsfaktoren auf ihre Zielgene verstärken. Die Hemmung des Zusammenspiels zwischen MYB und dessen Ko-Aktivator führt dazu, dass die Vermehrung von AML-Zellen blockiert wird. Die Arbeitsgruppe konnte somit erstmals nachweisen, dass die Hemmung der MYB-Aktivität durch einen Inhibitor die Vermehrung von AML-Zellen blockiert. In einem Mausmodell der AML führte dies zu einem deutlich längeren Überleben der Tiere nach Applikation eines solchen Hemmstoffs, verglichen mit den Tieren der unbehandelten Kontrollgruppe.

Ziel des Forschungsteams war es nun, im Rahmen des von der Wilhelm Sander-Stiftung geförderten Projektes weitere und effektivere MYB-Inhibitoren zu identifizieren. Zum einen konnten Klempnauer und Kollegen zeigen, dass sogenannte Histon-Deacetylase (HDAC)-Inhibitoren, chemische Verbindungen die bereits für die Therapie bestimmter Krebsarten eingesetzt werden, auch sehr wirksame MYB-Inhibitoren sind [1]. HDAC sind Enzyme, die u. a. Histone – dies sind wichtige Proteine, die für die „Verpackung“ der DNA im Zellkern zuständig sind – chemisch verändern. Sie regeln damit direkt die Genexpression, d. h. die Transkription von genetischer Information und sind auch an weiteren Prozessen, wie der Kontrolle des Zellzyklus und der Entwicklung des Organismus, beteiligt.

Zum anderen hat die Arbeitsgruppe zusammen mit Kooperationspartnern eine weitere bisher unbekannte Verbindung gefunden, die ähnlich effektiv wie die HDAC-Inhibitoren, die Aktivität des MYB-Proteins hemmt. Das Besondere bei dieser als „Bcr-TMP“ bezeichneten Verbindung ist, dass sie zusätzlich auch die Funktion der sogenannten Mikrotubuli hemmt. Mikrotubuli bilden ein Netzwerk von dynamisch auf- und abbaubaren, dünnen, fadenförmigen Zellstrukturen (Proteinfilamenten) innerhalb der Zelle, welches unter anderem für die Zellteilung benötigt wird. Inhibitoren, die dieses Netzwerk zerstören, sind schon länger bekannt und werden aufgrund ihrer Fähigkeit, die Zellteilung und damit die Vermehrung von Zellen zu hemmen, bereits seit vielen Jahren in der Krebstherapie eingesetzt. Das Besondere dieses neuen Inhibitors ist – so vermuten Klempnauer und Kollegen –, dass er in AML-Zellen gleichzeitig zwei unterschiedliche, für die Vermehrung der Zellen wichtige Prozesse attackiert: zum einen die Regulation von Genen durch den Transkriptionsfaktor MYB und zum anderen den Prozess der Zellteilung [2].

Die zukünftige Charakterisierung dieser neuen Inhibitoren und ihrer Wirkung auf MYB wird – so hoffen die Wissenschaftler – zu neuen Erkenntnissen und Ansätzen in der Therapie der AML führen.

Die vielversprechenden Forschungsergebnisse der Münsteraner Forschungsgruppe wurden in zwei kürzlich erschienenen renommierten Fachzeitschriften veröffentlicht.

* Die in diesem Text verwendeten Genderbegriffe vertreten alle Geschlechtsformen.

Wilhelm Sander-Stiftung: Partner innovativer Krebsforschung

Die Wilhelm Sander-Stiftung hat das Forschungsprojekt mit rund 100.000 Euro unterstützt. Stiftungszweck ist die Förderung der medizinischen Forschung, insbesondere von Projekten im Rahmen der Krebsbekämpfung. Seit Gründung der Stiftung wurden insgesamt über 250 Millionen Euro für die Forschungsförderung in Deutschland und der Schweiz ausbezahlt. Damit ist die Wilhelm Sander-Stiftung eine der bedeutendsten privaten Forschungsstiftungen im deutschen Raum. Sie ging aus dem Nachlass des gleichnamigen Unternehmers hervor, der 1973 verstorben ist.

Kontakt:

Henrike Boden
Wilhelm Sander-Stiftung
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit & Stiftungskommunikation
Tel.: +49 (0) 89 544187-0
Fax: +49 (0) 89 544187-20
E-Mail: boden@sanst.de

Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Prof. Dr. Karl-Heinz Klempnauer
Institut für Biochemie
Westfälische Wilhelms-Universität Münster
Corrensstr. 36
48149 Münster
Tel.: +49 (0) 251 83-33203
Fax: +49 (0) 251 83-33206
E-Mail: klempna@uni-muenster.de
https://www.uni-muenster.de/Chemie.bc/en/forschung/klempnauer/index.html

Originalpublikation:

1. Yusenko, M.V., Klempnauer, K.-H. (2022). Characterization of the MYB-inhibitory potential of the Pan-HDAC inhibitor LAQ824. BBA Advances 2, 100034.
https://doi.org/10.1016/j.bbadva.2021.100034

2. Yusenko, M.V., Biyanee, A., Frank, D., Köhler, L.H.F., Andersson, M.K., Khandanpour, C., Schobert, R., Stenman, G., Biersack, B., Klempnauer, K.-H. (2022). Bcr-TMP, a Novel Nanomolar-Active Compound That Exhibits Both MYB- and Microtubule-Inhibitory Activity. Cancers (Basel) 14, 43.
https://doi.org/10.3390/cancers14010043

Weitere Informationen:

https://www.wilhelm-sander-stiftung.de/

Media Contact

Henrike Boden Presse- und Öffentlichkeitsarbeit & Stiftungskommunikation
Wilhelm Sander-Stiftung

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Biowissenschaften Chemie

Der innovations-report bietet im Bereich der "Life Sciences" Berichte und Artikel über Anwendungen und wissenschaftliche Erkenntnisse der modernen Biologie, der Chemie und der Humanmedizin.

Unter anderem finden Sie Wissenswertes aus den Teilbereichen: Bakteriologie, Biochemie, Bionik, Bioinformatik, Biophysik, Biotechnologie, Genetik, Geobotanik, Humanbiologie, Meeresbiologie, Mikrobiologie, Molekularbiologie, Zellbiologie, Zoologie, Bioanorganische Chemie, Mikrochemie und Umweltchemie.

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

Größte bisher bekannte magnetische Anisotropie eines Moleküls gemessen

An der Berliner Synchrotronstrahlungsquelle BESSY II ist es gelungen, die größte magnetische Anisotropie eines einzelnen Moleküls zu bestimmen, die jemals experimentell gemessen wurde. Je größer diese Anisotropie ist, desto besser…

Tsunami-Frühwarnsystem im Indischen Ozean

20 Jahre nach der Tsunami-Katastrophe… Dank des unter Federführung des GFZ von 2005 bis 2008 entwickelten Frühwarnsystems GITEWS ist heute nicht nur der Indische Ozean besser auf solche Naturgefahren vorbereitet….

Resistente Bakterien in der Ostsee

Greifswalder Publikation in npj Clean Water. Ein Forschungsteam des Helmholtz-Instituts für One Health (HIOH) hat die Verbreitung und Eigenschaften von antibiotikaresistenten Bakterien in der Ostsee untersucht. Die Ergebnisse ihrer Arbeit…