Neuer Wirkstoff gegen Parasiten
Forschende am Paul Scherrer Institut PSI haben eine chemische Verbindung identifiziert, die sich vermutlich als Wirkstoff gegen gleich mehrere einzellige Parasiten eignet. Dazu gehören die Erreger der Malaria sowie der Toxoplasmose. Angriffspunkt der vielversprechenden Substanz ist das Protein Tubulin: Es hilft Zellen dabei, sich zu teilen, und ist damit auch für die Vermehrung der Parasiten unentbehrlich. Die Studie erscheint heute im Journal EMBO Molecular Medicine.
Die Idee dahinter stammt aus der Tumorforschung: Indem man in Krebszellen den Eiweissstoff Tubulin blockiert, hindert man die Zellen daran, sich erfolgreich zu teilen – und damit auch daran, sich zu vermehren. Dieses Prinzip setzen Ärzte und Ärztinnen seit Langem erfolgreich bei einer Chemotherapie ein und verabreichen Patienten tubulinhemmende Substanzen.
Die PSI-Forschenden Natacha Gaillard und Ashwani Sharma vom Labor für Biomolekulare Forschung weiteten das Konzept jetzt auf einzellige Parasiten aus, darunter den Erreger der Malaria (Plasmodium sp.) und der Toxoplasmose (Toxoplasma gondii). Denn auch deren Zellen brauchen Tubulin für die Zellteilung. «Wenn dieses Protein nicht mehr so arbeitet, wie es soll, trifft das den Parasiten hart», sagt Forscher Ashwani Sharma. «Daher ist Tubulin ein guter Angriffspunkt für Medikamente. In der Tumorforschung ist das Protein dahingehend schon sehr lange bekannt, in der Parasitologie aber hat es bisher kaum Aufmerksamkeit bekommen.»
Die Erreger der Malaria und der Toxoplasmose zählen zu den Apicomplexa, einer Gruppe von einzelligen, zu den Eukaryonten zählenden Parasiten. Ihre Zellen besitzen einen echten Zellkern und sie durchlaufen sowohl geschlechtliche als auch ungeschlechtliche Phasen der Fortpflanzung. Apicomplexa nutzen den Menschen oder Tiere als Wirt oder Zwischenwirt. An den von ihnen hervorgerufenen Infektionskrankheiten erkranken jedes Jahr viele Millionen Menschen.
Auf der Suche nach Angriffspunkten
Alle Eukaryonten, von der Amöbe bis zum Menschen, stellen das Protein Tubulin her. In Gestalt von langen Filamenten durchspannt es als eine Art Gerüst die Zellen. Während der Zellteilung bildet sich daraus der sogenannte Spindelapparat, der die Chromosomen auseinanderzieht und sie so auf zwei Tochterzellen verteilt.
Von Lebewesen zu Lebewesen unterscheidet sich das Protein an einigen wenigen, aber unter Umständen wichtigen Stellen. Um Wirkstoffe gegen das spezifische Protein eukaryontischer einzelliger Parasiten zu finden und es zu blockieren, muss die genaue Struktur des Proteins bekannt sein.
Die PSI-Forschenden isolierten daher Tubulin aus den Zellen des Wimperntierchens Tetrahymena thermophila. «Sein Protein ist quasi identisch zu dem in Apicomplexa», erklärt Wissenschaftlerin Natacha Gaillard. «Und das erspart es uns, mit Malariaerregern im Labor arbeiten zu müssen.»
Mithilfe der Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS und der Elektronenmikroskopie entschlüsselten die Forschenden die molekulare Struktur des Proteins. Dann suchten sie eine chemische Verbindung, die das Protein hemmen kann. Eine Substanz-Datenbank lieferte fünf Kandidaten als potenzielle Wirkstoffe – im Labor bestätigte sich eine chemische Verbindung als wirksam. Die Forschenden tauften sie «Parabulin». «Sie hindert Tubulin daran, lange stabile Proteinfilamente auszubilden. So blockiert sie auch eine erfolgreiche Zellteilung», sagt Gaillard. Parabulin blockiert das Protein genau an der Stelle, an der im menschlichen Tubulin analog die Krebsmedikamente andocken.
Hoffnung auf zukünftiges Medikament
Die Kooperationspartner des PSI von der University of California im US-amerikanischen Irvine testeten die Verbindung an Toxoplasma gondii in menschlichen Zellen. Tatsächlich konnte sich der Parasit so gut wie nicht mehr vermehren. Auf die menschlichen Zellen hingegen hatte Parabulin quasi keine Wirkung. «Das ist ein gutes Zeichen: Die Substanz wirkt anscheinend ausschliesslich auf das Tubulin des Parasiten – eine Grundvoraussetzung, um es als Medikament gegen Infektionskrankheiten einsetzen zu können», erklärt Sharma.
Die Vermutung liegt nahe, dass Parabulin nicht nur gegen Toxoplasma gondii wirkt, sondern gegen alle Vertreter der Apicomplexa, inklusive dem Erreger der Malaria. Das PSI hat jetzt ein Patent eingereicht und plant, Parabulin weiter im Labor zu testen, um es später mithilfe der Pharmaindustrie zu einem Medikament weiterzuentwickeln.
Die Studie erscheint heute im Journal EMBO Molecular Medicine.
Text: Paul Scherrer Institut/Brigitte Osterath
Über das PSI
Das Paul Scherrer Institut PSI entwickelt, baut und betreibt grosse und komplexe Forschungsanlagen und stellt sie der nationalen und internationalen Forschungsgemeinde zur Verfügung. Eigene Forschungsschwerpunkte sind Materie und Material, Energie und Umwelt sowie Mensch und Gesundheit. Die Ausbildung von jungen Menschen ist ein zentrales Anliegen des PSI. Deshalb sind etwa ein Viertel unserer Mitarbeitenden Postdoktorierende, Doktorierende oder Lernende. Insgesamt beschäftigt das PSI 2100 Mitarbeitende, das damit das grösste Forschungsinstitut der Schweiz ist. Das Jahresbudget beträgt rund CHF 400 Mio. Das PSI ist Teil des ETH-Bereichs, dem auch die ETH Zürich und die ETH Lausanne angehören sowie die Forschungsinstitute Eawag, Empa und WSL.
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Dr. Natacha Gaillard
Labor für Biomolekulare Forschung
Paul Scherrer Institut, Forschungsstrasse 111, 5232 Villigen PSI, Schweiz
Telefon: +41 56 310 44 65, E-Mail: natacha.gaillard@psi.ch [Englisch, Französisch]
Dr. Ashwani Sharma
Labor für Biomolekulare Forschung
Paul Scherrer Institut, Forschungsstrasse 111, 5232 Villigen PSI, Schweiz
Telefon: +41 56 310 40 47, E-Mail: ashwani.sharma@psi.ch [Englisch]
Originalpublikation:
Inhibiting parasite proliferation using a rationally designed anti-tubulin agent
N. Gaillard, A. Sharma, I. Abbaali, T. Liu, F. Shilliday, A.D. Cook, V. Ehrhard, A.J. Roberts, C.A. Moores, N. Morrissette, M. Steinmetz
EMBO Molecular Medicine, 18. Oktober 2021 (online)
https://www.embopress.org/doi/full/10.15252/emmm.202013818
Weitere Informationen:
http://psi.ch/de/node/45951 – Darstellung der Mitteilung auf der Webseite des PSI und Bildmaterial
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