Perfluorierte Chemikalien: Belastung wird unterschätzt
Per- und polyfluorierte Chemikalien, kurz PFAS, können schädlich für Mensch und Umwelt sein. Trotzdem werden sie in unzähligen Alltagsprodukten eingesetzt. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Helmholtz-Zentrums Hereon haben gemeinsam mit einem internationalen Wissenschaftlerteam Wasserproben aus deutschen und chinesischen Flüssen untersucht. Das Besondere: Mit einer neuen Methode konnten sie an Industriestandorten – neben den bekannten – nun auch rund 60 üblicherweise nicht analysierte Substanzen aus der Gruppe der PFAS nachweisen. Davon wurden acht Substanzen vorher noch nicht in der Umwelt beschrieben. Die Studie ist im Journal Environmental Science & Technology erschienen.
Per- und polyfluorierte Chemikalien, auch per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen genannt, besitzen zahlreiche Kohlenstoff-Fluor-Bindungen – die stärksten Bindungen in der organischen Chemie. Die Substanzen sind nicht nur außerordentlich stabil, sondern auch wasser-, fett- und schmutzabweisend – eine einzigartige Kombination. Seit den 1940er Jahren werden die PFAS in zahlreichen Alltagsprodukten eingesetzt: in Textilien, Kochgeschirr, Lebensmittelverpackungen, Kosmetika und Medizinprodukten. Daneben gibt es vielfältige industrielle Anwendungen, zum Beispiel bei der Herstellung von Fluorpolymeren wie Teflon oder Gore-Tex.
Die Eigenschaften, die PFAS so attraktiv für Produkte und Konsumgüter machen, sind aber gleichzeitig problematisch für Mensch und Umwelt. Bei der Herstellung, Weiterverarbeitung, Anwendung und bei der Entsorgung der Produkte werden PFAS in die Umwelt eingetragen, in entlegene Regionen transportiert sowie in Organismen oder der Nahrungskette angereichert. Die bekanntesten Vertreter der PFAS, Perfluoroktansulfonsäure (PFOS) und Perfluoroktansäure (PFOA), können die Wirkung von Impfungen vermindern, die Infektneigung erhöhen und zu erhöhten Cholesterinwerten führen. In einer Studie des Umweltbundesamts aus dem Jahr 2020 lag die PFOA-Konzentration in jeder fünften Blutprobe deutscher Kinder und Jugendlicher über dem HBM-I-Wert. Nur bei Unterschreitung dieses Wertes ist eine gesundheitliche Beeinträchtigung auszuschließen.
„Inzwischen sind PFOS und PFOA weltweit verboten, die Industrie nutzt dafür aber weitestgehend Ersatzstoffe. Diese sind für Mensch und Umwelt aber häufig genauso problematisch – wir sprechen von regrettable substitutes“, erklärt Dr. Hanna Joerss vom Hereon-Institut für Umweltchemie des Küstenraumes. Über klassische analytische Methoden konnten im Labor lange nur die Stoffe untersucht werden, deren Identität bekannt war und für die es Vergleichssubstanzen gab. Da die Industrie ihre Inhaltsstoffe aber selten offenlegt, standen Forschende meist vor dem Problem, dass sie nicht wussten, welche neuen PFAS nun im Umlauf sind.
Dark Matter, die große Unbekannte
„Bis vor Kurzem mussten wir im Vorfeld genau wissen, welche Stoffe wir nachweisen wollen“, sagt Joerss, Erst-Autorin der aktuellen Studie. „Wir haben nun eine neue Methode eingesetzt, die auch das sogenannte ‚Dark Matter‘, also die unbekannten Substanzen in den Proben, aufzeigt.“ Dafür hat das Team gemeinsam mit der Swedish University of Agricultural Sciences hochauflösende Massenspektrometer benutzt, mit denen sie Wasserproben aus deutschen und chinesischen Flüssen analysierten. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben in Kooperation mit dem Yantai Institute for Coastal Zone Research in China jeweils Proben vor und hinter den Abwassereinleitungen von PFAS-Erzeugern genommen.
Neuartige PFAS identifiziert
Ihr Ergebnis: „Wir haben 86 PFAS identifiziert – nur etwa 30 davon werden routinemäßig von darauf spezialisierten Laboren analysiert, acht haben wir erstmals in der Umwelt nachgewiesen“, erklärt Umweltchemikerin Joerss. „Unsere Methode zeigt klar: die Belastung von Mensch und Umwelt wird unterschätzt – wir haben bislang erst die Spitze des Eisbergs gesehen“. Im Fluss Xiaoqing und in der Alz konnten die Forschenden mit 63 und 59 PFAS die meisten Substanzen nachweisen. Dabei überwogen im Fluss Xiaoqing die inzwischen weltweit verbotene Substanz PFOA und üblicherweise nicht untersuchte PFAS wie chloriertes PFOA, das vermutlich als Nebenprodukt bei der PFOA-Produktion entsteht. Dagegen dominierten in den Alzproben Ersatzstoffe wie Hexafluorpropylenoxid-Dimersäure (HFPO-DA), 4,8-Dioxa-3H-Perfluornonansäure (ADONA) und das Abbauprodukt Perfluormethoxypropansäure (PFMOPrA), die auch zur Gruppe der PFAS gehören und einer genaueren Bewertung unterzogen werden sollten.
„Es ist ein Katz-und-Maus-Spiel zwischen Industrie, Wissenschaft und Regulierung: Die Industrie nutzt neue Substanzen, deren schädliche Auswirkungen wissenschaftlich nachgewiesen werden müssen, dann dauert es Jahre bis Jahrzehnte, bis die Stoffe reguliert werden“, sagt Joerss. Angesichts mehrerer tausend PFAS könnten immer wieder neue Ersatzstoffe eingesetzt werden. Deutschland und weitere Länder setzten sich im Rahmen des European Green Deals gerade dafür ein, dass die gesamte Gruppe der PFAS verboten werde. Die aktuelle Studie belegt, wie bedeutend dieser Umstand für die Umwelt ist.
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Dr. Hanna Joerss I Helmholtz-Zentrum Hereon I Institut für Umweltchemie des Küstenraumes
T: +49 (0) 4152 87-2353 I hanna.joerss@hereon.de I www.hereon.de
Originalpublikation:
https://doi.org/10.1021/acs.est.1c07987
Weitere Informationen:
https://www.hereon.de/institutes/coastal_environmental_chemistry/index.php.de
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