Pharmakonutrition ‒ Modernes Drug Design für Funktionsstudien
Bitter(geschmacks)rezeptor mit Gesundheitseffekt?
Erst seit etwa 15 Jahren ist bekannt, dass Menschen Bitteres mit Hilfe von 25 verschiedenen Rezeptorvarianten detektieren. Der TAS2R14 ist einer von ihnen. Im Gegensatz zu den meisten anderen Bitterrezeptoren, erkennt er eine große Bandbreite von Bitterstoffen.
Neben sekundären Pflanzeninhaltsstoffen wie Koffein zählen auch Arzneistoffe zu seinen Aktivatoren. Der Bitterrezeptor ist aber nicht nur für die Geschmackswahrnehmung relevant.
Aktuelle Befunde weisen darauf hin, dass er noch weitere physiologische Funktionen erfüllt, die für unsere Gesundheit bedeutsam sind. So findet er sich auf Lungen- und Hodenzellen und spielt eine Rolle bei der angeborenen Immunabwehr.
Alter Arzneistoff als Basis für modernes Drug Design
Um die vielfältigen Funktionen des TAS2R14 in den verschiedenen Organen und Geweben gezielt untersuchen zu können, sind u.a. hochwirksame (potente) Aktivatoren des Rezeptors notwendig. Mit Hilfe eines Struktur-basierten, computergestützten Modelling-Ansatzes ist es dem deutsch-israelischen Wissenschaftlerteam nun erstmals gelungen, drei solcher hochpotenten Substanzen zu synthetisieren.
Ausgangssubstanz für das Drug Design war der Arzneistoff Flufenaminsäure. Der altbekannte Wirkstoff zählt zu den nicht-steroidalen Antirheumatika und ist in Muskel- und Gelenksalben enthalten. Er wirkt entzündungshemmend und schmerzstillend indem er Enzyme blockiert, welche die Ausschüttung von Prostaglandinen fördern.
„Wir haben uns für diesen Wirkstoff als Basis für unsere Untersuchungen entschieden, da er den Rezeptor bereits in geringsten Konzentrationen stimuliert. Das heißt, etwa acht millionstel Gramm des Stoffs pro Liter reichen hierfür bereits aus“, erklärt Bioinformatikerin und Erstautorin Antonella Di Pizio.
Die neuen Derivate seien extrem potente Aktivatoren, wirksamer als der bekannte Arzneistoff und sollen künftig als Werkzeug bei Funktionsstudien zum Einsatz kommen, so die Forscherin weiter.
Neues Forschungsgebiet „Pharmakonutrition“ mit systembiologischem Ansatz
„Aufgrund der vielen neuen Befunde, begreifen wir heute Bitterstoffe nicht mehr nur als rein geschmacksgebende, sondern auch als medizinisch wirksame Nahrungskomponenten“, sagt Molekularbiologe Maik Behrens. „Ebenso sind heute Bitterrezeptoren nicht mehr nur als Sensoren zu sehen, die uns vor dem Verschlucken potentiell giftiger Substanzen warnen.“
Die Zusammenhänge zwischen Bitterstoffen, Bitterrezeptoren und dem menschlichen Organismus zu erforschen, erfordere einen neuen, weitgreifenden systembiologischen Ansatz, so der Biologe weiter. Das Leibniz-Institut verfolgt diesen, indem es molekulare Grundlagenforschung mit neuesten Methoden der Bioinformatik und Hochdurchsatztechnologien kombiniert.
Originalpublikation:
Di Pizio A, Waterloo LAW, Brox R, Löber S, Weikert D, Behrens M, Gmeiner P, Niv MY (2019) Cellular and Molecular Life Sciences, DOI: 10.1007/s00018-019-03194-2. Rational design of agonists for bitter taste receptor TAS2R14: from modeling to bench and back
Hintergrundinformationen:
Lesen Sie auch die Pressemitteilung: Bitterrezeptor liefert Basis für die Entwicklung neuartiger Arzneimittel-Tests
https://www.leibniz-lsb.de/presse-oeffentlichkeit/pressemitteilungen/pm-200718-p…
Zugehörige Originalpublikation: Reengineering the ligand sensitivity of the broadly tuned human bitter taste receptor TAS2R14. Nowak S, Di Pizio A, Levit A, Niv MY, Meyerhof W, Behrens M. Biochim Biophys Acta. 2018 Jul 12. pii: S0304-4165(18)30200-9. https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0304416518302009; https://doi.org/10.1016/j.bbagen.2018.07.009
Ergänzende Literatur:
Probing the binding pocket of the broadly tuned human bitter taste receptor TAS2R14 by chemical modification of cognate agonists. Karaman R, Nowak S, Di Pizio A, Kitaneh H, Abu-Jaish A, Meyerhof W, Niv MY, Behrens M. Chem Biol Drug Des. 2016 Jul; 88(1):66-75. doi: 10.1111/cbdd.12734.
The bitter pill: clinical drugs that activate the human bitter taste receptor TAS2R14. Levit A, Nowak S, Peters M, Wiener A, Meyerhof W, Behrens M, Niv MY. FASEB J. 2014 Mar; 28(3):1181-97. doi: 10.1096/fj.13-242594.
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Das Leibniz-Institut für Lebensmittel-Systembiologie an der Technischen Universität München (Leibniz-LSB@TUM) besitzt ein neues, einzigartiges Forschungsprofil. Seine Wissenschaftler kombinieren Methoden der biomolekularen Grundlagenforschung mit Analysemethoden der Bioinformatik und analytischen Hochleistungstechnologien. Ihr Ziel ist es, die komplexen Inhaltsstoffprofile von Rohstoffen bis hin zu den finalen Lebensmittelprodukten zu entschlüsseln und deren Funktion als biologische Wirkmoleküle auf den Menschen aufzuklären. Basierend auf ihrer Forschung entwickelte Produkte sollen dazu beitragen, die Bevölkerung auch in Zukunft nachhaltig und ausreichend mit gesundheitsfördernden, wohlschmeckenden Lebensmitteln zu versorgen. Darüber hinaus sollen die neu gewonnenen wissenschaftlichen Erkenntnisse dazu dienen, personalisierte Ernährungskonzepte zu entwickeln, die zum Beispiel Menschen mit einer Nahrungsmittelunverträglichkeit helfen, ohne dass die Lebensqualität eingeschränkt und die Gesundheit gefährdet ist.
Das Leibniz-LSB@TUM ist ein Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft, die 95 selbständige Forschungseinrichtungen verbindet. Ihre Ausrichtung reicht von den Natur-, Ingenieur- und Umweltwissenschaften über die Wirtschafts-, Raum- und Sozialwissenschaften bis zu den Geisteswissenschaften. Leibniz-Institute widmen sich gesellschaftlich, ökonomisch und ökologisch relevanten Fragen. Sie betreiben erkenntnis- und anwendungsorientierte Forschung, auch in den übergreifenden Leibniz-Forschungsverbünden, sind oder unterhalten wissenschaftliche Infrastrukturen und bieten forschungsbasierte Dienstleistungen an. Die Leibniz-Gemeinschaft setzt Schwerpunkte im Wissenstransfer, vor allem mit den Leibniz-Forschungsmuseen. Sie berät und informiert Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Öffentlichkeit. Leibniz-Einrichtungen pflegen enge Kooperationen mit den Hochschulen – u.a. in Form der Leibniz-WissenschaftsCampi, mit der Industrie und anderen Partnern im In- und Ausland. Sie unterliegen einem transparenten und unabhängigen Begutachtungsverfahren. Aufgrund ihrer gesamtstaatlichen Bedeutung fördern Bund und Länder die Institute der Leibniz-Gemeinschaft gemeinsam. Die Leibniz-Institute beschäftigen rund 20.000 Personen, darunter 10.00 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Der Gesamtetat der Institute liegt bei mehr als 1,9 Milliarden Euro.
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Kurzprofil von Dr. Antonella Di Pizio: https://www.leibniz-lsb.de/institut/mitarbeiterinnen/kurzprofil-dr-antonella-di-…
Di Pizio A, Waterloo LAW, Brox R, Löber S, Weikert D, Behrens M, Gmeiner P, Niv MY (2019) Cellular and Molecular Life Sciences, DOI: 10.1007/s00018-019-03194-2. Rational design of agonists for bitter taste receptor TAS2R14: from modeling to bench and back
https://link.springer.com/article/10.1007/s00018-019-03194-2
https://www.leibniz-lsb.de/presse-oeffentlichkeit/pressemitteilungen/pm-20190701… Pressemitteilung auf der Seite des Leibniz-LSB@TUM
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