Pilz macht Pflanzenschutz ökologischer

Linda Muskat hofft, dass ihr umweltfreundliches Insektizid bald für den Markt freigegeben wird.
(c) K. Starodubskij/FH Bielefeld

Erst anlocken, dann töten…

Für ihre Doktorarbeit entwickelte Linda Muskat ein Insektenschutzmittel aus Pilzen. Ihre Dissertation schloss die 31-jährige mit der höchsten Auszeichnung „Summa cum laude“ ab.
(c) K. Starodubskij/FH Bielefeld

Summa cum laude für Promotion einer FH-Forscherin: Sie ist kreativ, gut im Netzwerken und verfügt über eine Expertise auf ihrem Fachgebiet, die nur wenige junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben. Ko-betreut von der Fachhochschule Bielefeld, hat Linda Muskat eine Doktorarbeit mit enormem Potenzial vorgelegt. Ihr Thema: Wie sind Pflanzenschutzmittel konzipiert, die vollständig biologisch abbaubar sind? Ihr bester Freund dabei: ein Pilz namens Pandora.

Pilze sind faszinierende und geheimnisvolle Wesen. Weder Pflanze noch Tier, dennoch mit Pflanzen- wie Tierreich aufs Engste verwoben. Ständig entdecken Mykologen – so heißen Pilzforscher in der Fachsprache – irgendwo auf der Welt etwas Neues.

„Die Grundlagenforschung dazu ist superspannend“, sagt Dr. Linda Muskat, Biologin im Bielefelder Institut für Angewandte Materialforschung (BIfAM) an der Fachhochschule (FH) Bielefeld. „Aber am meisten begeistern mich Pilze, wenn man sie nutzen kann.“ Einige Pilze eignen sich etwa für die Herstellung von Verpackungsmaterialien und Möbeln. Andere können lebensrettende Medikamentenwirkstoffe produzieren und noch einiges mehr. „Der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt, und die Möglichkeiten sind fantastisch.“

Eine Doktorarbeit mit Auszeichnung und vier „Poster Awards“ auf Fachkonferenzen

Mit einem Pilz, der wissenschaftlich noch gar nicht beschrieben ist, geht Muskat zum Beispiel gegen Insekten vor, die bakterielle Pflanzenkrankheiten übertragen können, beispielsweise die Apfeltriebsucht, die von Blattflöhen übertragen wird und in Apfelplantagen mit verheerenden Auswirkungen grassieren kann. Davon handelt ihre Doktorarbeit, die die 31-Jährige kürzlich mit Auszeichnung verteidigt hat. „Summa cum laude“, mehr geht nicht. Bereits im Vorfeld hatten ihre Forschungsergebnisse in der Fachwelt für Aufsehen gesorgt: Linda Muskat veröffentlichte fünf Manuskripte, meldete zwei Patente an, stellte ihre Arbeit auf mehreren internationalen Tagungen vor und kassierte dabei vier „Poster Awards“. Das sind Preise, die Jurys auf Konferenzen für besonders herausragende Präsentationen verleihen.

Die Leidenschaft für „pilzliches“ und pflanzliches Leben ist bei den Muskats
Familientradition. „Mein Großvater war promovierter Biologe mit dem Schwerpunkt Mykologie“, erzählt die gebürtige Rüdesheimerin. „Und auch meine Eltern haben ‚grüne Berufe‘.“ Der Vater: gelernter Winzer, später Forscher auf dem Gebiet Weinbau und Bodenkunde. Die Mutter: Gärtnerin und studierte Landschaftsarchitektin. „Ich wurde als Kind exzessiv durch botanische Gärten geschleppt“, sagt Linda Muskat und lacht. „Und natürlich war ich auch immer mit im häuslichen Weinberg.“ Den bewirtschaftet der Vater ökologisch und verkauft die Trauben an befreundete Winzer, die daraus den klassischen Rheingauer Riesling und einen Cabernet Blanc gewinnen. „Da wird natürlich am Mittagstisch schon mal über das neueste Pflanzenschutzmittel diskutiert.“

Die FH Bielefeld hatte eine Promotionsstelle, die haargenau passte

Ein Biologiestudium war für Linda Muskat also quasi unausweichlich, und die Uni Mainz bot die passenden Anknüpfungspunkte an Weinbau und Mikrobiologie. „Meine Bachelor- und meine Masterarbeit habe ich dann über rebenpathogene Pilze geschrieben“, sagt sie. „Und auf der Suche nach einer Promotionsstelle bin ich schließlich auf die Ausschreibung der ‚Arbeitsgruppe Fermentation und Formulierung von Zellen und Wirkstoffen‘ am BIfAM an der FH gestoßen. Diese AG ist weltweit führend auf ihrem Gebiet, und die Stelle war einfach wie für mich gemacht.“
Formulierung – das bedeutet die Überführung eines Wirkstoffes in eine anwendbare Form. Beim Spezialgebiet von Linda Muskat ist der Wirkstoff ein Pandora-Pilz. Der Name ist ein wenig Programm, denn diese Spezies ist dafür bekannt, dass sie wahrhaft Unheil über bestimmte Insekten bringt und diese schnell und vor allem gezielt tötet. Damit die Insekten die Pilzsporen willig aufnehmen, ist jedoch ein zweiter Wirkstoff nötig – ein Lockmittel, das Apfelbäume selber gerne produzieren. „Diese Kombination aus insektenpathogenen Mikroorganismen und verhaltensmanipulierenden Botenstoffen ist einer der Clous meiner Arbeit“, sagt Linda Muskat. „Man spricht hier auch von einer Attract-and-kill-Strategie.“

Hoffen auf Fördergelder durch den „Green Deal“ der EU

Die tödliche – und dabei umweltfreundliche – Mischung aus dem Bielefelder Labor braucht allerdings eine Trägersubstanz, damit sie in der Apfelplantage ihre Wirkung voll entfalten kann. „Das ist bei uns ein fettbasierendes Gel, das so besondere Eigenschaften hat, dass wir gleich ein Patent darauf angemeldet haben“, sagt Muskat. Das sogenannte Oleo-Gel klebt hervorragend auf Blättern, setzt den Lockstoff verlangsamt und sogar temperaturgesteuert frei. „Insekten sind ja meist umso aktiver, je wärmer es ist“, erklärt Muskat. Biologisch abbaubar ist das Oleo-Gel außerdem.
Dass all das tatsächlich funktioniert, wurde im Feldversuch nachgewiesen. „Unser Projektpartner, das Julius Kühn-Institut, hat da ganze Arbeit geleistet“, so Linda Muskat. Aber damit daraus ein marktreifes Pflanzenschutzmittel wird, muss sich ein weiterer Projektpartner der Sache annehmen. „Die Zulassung ist eine große Hürde“, erklärt Muskat. Daher hofft sie nicht zuletzt auf Unterstützung vonseiten der Politik. „Die EU hat im Rahmen ihres ‚Green Deals‘ ja beschlossen, den Pestizideinsatz bis 2030 um 50 Prozent zu reduzieren. Ich erwarte daher eigentlich, dass Registrierungsprozesse in Zukunft einfacher werden und auch mehr Fördergelder fließen.“

„Das Best-Case-Szenario für eine Fachhochschul-Promotion“

Linda Muskat denkt viel über die praktische Anwendbarkeit ihrer Forschungsarbeit nach – und setzt enthusiastisch alle dafür nötigen Hebel in Bewegung. „Sie ist eine ausgezeichnete Netzwerkerin“, sagt Prof. Dr. Anant Patel, Vizepräsident für Forschung und Entwicklung der FH Bielefeld. Patel leitet die AG Fermentation und Formulierung von Zellen und Wirkstoffen und hat Muskats Dissertation betreut, zusammen mit seinem Kollegen Prof. Dr. Michael Rostás von der Georg-August-Universität Göttingen.
„Es ist wirklich das Best-Case-Szenario für eine Fachhochschul-Promotion“, freut sich Patel. „Dr. Muskat hat nicht nur eine hohe wissenschaftliche Expertise auf ihrem Fachgebiet, sondern verfolgt darüber hinaus einen systemischen, breiteren Ansatz, der typisch ist für die Forschung an Hochschulen für Angewandte Wissenschaften. Ihre Neugier, Kreativität und Selbstständigkeit finde ich beeindruckend, und sie hat ein Gefühl dafür, wie Wissenschaft funktioniert. So ist es ihr zum Beispiel gelungen, noch in der Promotionsphase Drittmittel einzuwerben. Das schaffen nicht viele.“

„Ich möchte gerne selbst entscheiden, wozu ich forschen will“

Auch persönlich hat die Doktorarbeit Linda Muskat verändert. „Man lernt dabei viel über sich“, sagt sie. „Ich bin zum Beispiel inzwischen viel gelassener in Stresssituationen. Und ich habe gelernt, dass nicht alles klappt, was man plant. Wenn ein Versuch misslingt, gehe ich entspannter damit um – das gehört in der Wissenschaft eben dazu.“

Kreativ sein, Neues denken und schaffen – das treibt Linda Muskat auf ihrem Karriereweg weiter an. In fünf bis zehn Jahren möchte sie Professorin sein. „Das habe ich mir so überlegt“, sagt sie. „Mir gefällt es einfach, mit Studierenden zu arbeiten, und möchte gerne selbst entscheiden, wozu ich forschen will.“

… und auch am Wochenende muss der Pilz gefüttert werden

Wenn es im Labor viel zu tun gibt, schaut Muskat nicht auf Uhr oder Wochentag. „Ich empfinde das ja gar nicht als Arbeit, ich mache das wirklich gerne“, sagt sie. „Und ein Pilz ist wie ein Haustier. Um das muss man sich halt auch am Wochenende kümmern.“ Den Kolben schütteln, in dem sich die Kultur befindet. Proben nehmen und analysieren. Und natürlich füttern. „Mein Pandora-Pilz mag besonders gerne Magermilch und Eigelb. Er ist ein echter Feinschmecker.“

Weitere Informationen:

https://www.fh-bielefeld.de/presse/pressemitteilungen/erst-anlocken-dann-toeten-…

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Dr. Lars Kruse Ressort Hochschulkommunikation
Fachhochschule Bielefeld

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