Präklinische Forschung zu Nerventumoren
Schwannome sind Tumore des peripheren Nervensystems, die u.a. im Zusammenhang mit der Erbkrankheit Neurofibromatose Typ 2 auftreten. Die Forschungsgruppe um Prof. Dr. Helen Morrison vom Leibniz-Institut für Alternsforschung – Fritz-Lipmann-Institut (FLI) in Jena konnte kürzlich einen Wirkstoff identifizieren, der das Wachstum solcher Tumore hemmt und dabei auch die Nervenfunktionen verbessert. In einem neuen Projekt führt die Gruppe mit Partnern nun eine präklinische Studie durch. Diesen Schritt in Richtung therapeutischer Anwendung fördert das BMBF mit einer Summe von 1,45 Millionen Euro über 3 Jahre.
Ein Schwannom ist ein gutartiger Tumor im peripheren Nervensystem. Er geht von Schwannzellen aus, einem Zelltyp, der Nervenfasern umhüllt und diese in ihrer Funktion unterstützt. Infolge von Nervenschädigungen teilen sich Schwannzellen, um die Regeneration in ausreichender Zahl zu unterstützen. Wird die Zellteilung jedoch nicht zeitlich begrenzt, vermehren sich Schwannzellen unkontrolliert weiter und bilden Tumore.
Diese komprimieren durch ihr Wachstum Nervenzellen und verursachen so Fehlfunktionen wie Schmerzen und Lähmungserscheinungen. Schwannome treten häufig im Zusammenhang mit der Erbkrankheit Neurofibromatose Typ 2 (NF2) auf, in deren Verlauf es zu einem unkontrollierten Wachstum von Nerven- und Bindegewebe kommt, insbesondere im Bereich des achten Hirnnervs. Häufige Symptome sind folglich der Verlust von Hör- und Gleichgewichtssinn.
Prof. Dr. Helen Morrison und ihre Forschungsgruppe „Nervenregeneration“ am Leibniz-Institut für Alternsforschung – Fritz-Lipmann-Institut (FLI) in Jena untersuchen unter anderem die Rolle von Schwannzellen im peripheren Nervensystem. Dabei konnten sie ein Molekül identifizieren, das das Wachstum von Schwannomen hemmt. Das Protein Neuregulin 1 (Nrg1) kommt natürlich im Körper vor und bewirkt eine Differenzierung der Schwannzellen, auch nach erfolgter Regeneration.
Bei der Erbkrankheit NF2 und vermutlich weiteren Schwannomen, ist Nrg1 allerdings stark reduziert. Ohne dieses Stoppsignal differenzieren Schwannzellen jedoch nicht mehr, sondern teilen sich weiter und bilden Tumore. Die Behandlungsmöglichkeiten sind limitiert. Zumeist erfolgt eine chirurgische Entfernung, die jedoch oft den Nerv zusätzlich schädigt und eine hohe Rückfallrate zur Folge hat. Neue Ansätze sind dringend notwendig, um die Therapie und Lebensqualität von Patienten zu verbessern.
Dass Nrg1 das Wachstum von Schwannomen hemmt und die Nervenfunktion verbessert, konnte die Gruppe um Prof. Dr. Morrison bereits im Mausmodell zeigen. Ziel des aktuellen Projekts ist die Weiterentwicklung des Ansatzes für die klinische Anwendung. Vorherige Studien zu Herzerkrankungen stuften die Substanz bereits als sicher für die Verwendung beim Menschen ein. Nun konnte die Gruppe erfolgreich Fördermittel für eine präklinische, multi-zentrische Verbundstudie einwerben. Ab August 2020 unterstützt das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) das Vorhaben über 3 Jahre mit einer Summe von 1,45 Millionen Euro – rund 732.000 Euro davon gehen an das FLI.
Tierexperimentelle Studie nach Standards klinischer Patientenstudien
„Wir freuen uns sehr über diese Förderung und die damit vermittelte Bestätigung unserer Forschung“, sagt Prof. Morrison, die langjährige Erfahrung in der Erforschung der Erbkrankheit NF2 hat. „Zusammen mit unseren Partnern hoffen wir, zur Entwicklung eines Wirkstoffes beitragen und Betroffenen helfen zu können.“ Unter der Leitung von Prof. Morrison vom FLI sind außerdem Dr. Robert Fledrich und Dr. Ruth Stassart vom Universitätsklinikum Leipzig sowie Prof. Dr. Reinhard Bauer vom Institut für Molekulare Zellbiologie am Universitätsklinikum Jena beteiligt.
Neuartig ist, dass die Experimente sich an Standards klinischer Patientenstudien orientieren: Registrierte, parallele Versuche mit Studienprotokoll werden in den drei Zentren randomisiert, verblindet und unabhängig durchgeführt; das Studiendesign sowie die statistische Auswertung der Daten erfolgt(e) unabhängig durch das Team um Prof. Dr. André Scherag vom Institut für Medizinische Statistik, Informatik und Datenwissenschaften des Universitätsklinikums Jenas. Diese Maßnahmen erhöhen die Aussagekraft der Studie enorm.
Zusätzlich unterstützt wird der Verbund durch eine geförderte Mitgliedschaft in der „TMF – Technologie- und Methodenplattform für die vernetzte medizinische Forschung e.V.“, die für einen breiten Austausch mit methodischen Experten im Bereich medizinischer Verbundforschung sorgen wird (z.B. Datenmanagement). Allen Projekten der aktuellen BMBF Förderlinie steht außerdem das Projekt „DECIDE“ der Charité beratend zur Seite. „Wir freuen uns auf die Zusammenarbeit mit den verschiedenen Experten, um entsprechende Standards auf unsere präklinische Studie anzuwenden“, sagt Prof. Dr. Morrison.
Die neue BMBF Förderlinie zu präklinischen Studien fördert innovative Forschungsvorhaben, um wichtige Erkenntnisse der Grundlagenforschung schnell in geeignete Therapien zu überführen. Diese Grundidee verfolgt auch das Förderprogramm SPARK@FLI in Jena, im Rahmen dessen das Projekt zuvor unterstützt wurde. Dr. Sonja Schätzlein, die SPARK@FLI leitet, sieht die aktuelle Förderung als Erfolg: „Ich freue mich zu sehen, dass SPARK durch finanzielle Unterstützung, Beratung und Vermittlung von Mentoring-Partnern aus der Industrie dazu beigetragen hat, das Projekt bis zu diesem wichtigen Schritt in Richtung einer anwendungsbezogenen Therapie zu bringen.“
Das Projekt mit dem Förderkennzeichen 01KC2003A wird gefördert durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF).
Kontakt
Magdalena Voll
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Tel.: 03641-656373, E-Mail: presse@leibniz-fli.de
Hintergrundinformation
Das Leibniz-Institut für Alternsforschung – Fritz-Lipmann-Institut (FLI) in Jena widmet sich seit 2004 der biomedizinischen Alternsforschung. Rund 350 Mitarbeiter aus ca. 40 Nationen forschen zu molekularen Mechanismen von Alternsprozessen und alternsbedingten Krankheiten. Näheres unter http://www.leibniz-fli.de.
Die Leibniz-Gemeinschaft verbindet 96 eigenständige Forschungseinrichtungen. Ihre Ausrichtung reicht von den Natur-, Ingenieur- und Umweltwissenschaften über die Wirtschafts-, Raum- und Sozialwissenschaften bis zu den Geisteswissenschaften. Leibniz-Institute widmen sich gesellschaftlich, ökonomisch und ökologisch relevanten Fragen. Sie betreiben erkenntnis- und anwendungsorientierte Forschung, auch in den übergreifenden Leibniz-Forschungsverbünden, sind oder unterhalten wissenschaftliche Infrastrukturen und bieten forschungsbasierte Dienstleistungen an. Die Leibniz-Gemeinschaft setzt Schwerpunkte im Wissenstransfer, vor allem mit den Leibniz-Forschungsmuseen. Sie berät und informiert Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Öffentlichkeit. Leibniz-Einrichtungen pflegen enge Kooperationen mit den Hochschulen – in Form der Leibniz-WissenschaftsCampi, mit der Industrie und anderen Partnern im In- und Ausland. Die Leibniz-Institute unterliegen einem transparenten und unabhängigen Begutachtungsverfahren. Aufgrund ihrer gesamtstaatlichen Bedeutung fördern Bund und Länder die Institute der Leibniz-Gemeinschaft gemeinsam. Die Leibniz-Institute beschäftigen rund 20.000 Personen, darunter 10.000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Das Finanzvolumen liegt bei 1,9 Milliarden Euro. (http://www.leibniz-gemeinschaft.de).
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