Programmierter Zelltod von Tumorzellen durch synthetische RNA-Moleküle
Entschlüsselung des Mechanismus ermöglicht optimierte Wirkstoffe zur Tumorbekämpfung.
Für Körperzellen ist es überlebenswichtig, dass sie das Eindringen von Viren erkennen, um sich vor ihnen zu schützen. Im Gegensatz zur menschlichen Zelle, deren Erbsubstanz aus Desoxyribonukleinsäure (DNA) besteht, ist der Informationsträger bei Viren oft die Ribonukleinsäure (RNA). Allerdings nutzt auch die menschliche Zelle RNA, etwa bei der Produktion von Proteinen. Daher ist es entscheidend zu erkennen, ob es sich um eigene oder „feindliche“ RNA handelt.
Ein wichtiges Merkmal, wie sich virale von körpereigener RNA unterscheidet, ist eine sog. 5‘-Triphosphat Gruppe an einem Ende der viralen RNA. Dieser Unterschied führt zu einer Aktivierung von Immunrezeptoren im Zellinneren, insbesondere den RIG-I-like Helikasen, wodurch zwei wichtige antivirale Mechanismen aktiviert werden. Einerseits kommt es zur Produktion von Alarmsignalen (Zytokinen), die den Organismus auf die Virusinfektion aufmerksam machen und zur Aktivierung des Immunsystems führen, wodurch zytotoxische T-Zellen die befallenen Körperzellen attackieren und eliminieren können. Andererseits kann die Zelle ihren eigenen Tod auslösen (Apoptose), um die weitere Vermehrung des Virus zu verhindern und benachbarte Zellen zu schützen. Die Apoptose erfüllt generell eine wichtige biologische Funktion im menschlichen Körper und spielt beispielsweise bei der Entwicklung des Gehirns eine zentrale Rolle, bei der Verjüngung von Schleimhautgewebe oder der Entsorgung entarteter Zellen.
Die Rezeptoren (sog. pattern recognition receptors), die nach Erkennung der viralen Nukleinsäure zur Produktion von Zytokinen führen, sind seit mehr als zehn Jahren bekannt und die intrazellulären Signalwege, die sie auslösen, gut charakterisiert. Die Mechanismen hingegen, die zur Auslösung von Zelltod führen, sind weniger genau beschrieben.
Perspektiven für die Krebsmedizin
In unserer Arbeit zeigen wir, dass die Signalwege, die zur Produktion von Alarmsignalen über RIG-I führen, von denen, die zum Zelltod führen, molekular unterschieden werden können. Wir identifizieren die Enzyme Oligoadenylatsynthetase 1 (OAS1) und Ribonuclease L (RNase L) als zentrale Faktoren in der Auslösung von Zelltod durch virale RNA. OAS1 bindet die 5‘-Triphosphat-RNA und aktiviert RNase L, wodurch es über gezielte Änderungen der Balance von pro- und anti-apoptotischen Faktoren zur Auslösung von programmiertem Zelltod (Apoptose) kommt. Die beiden Mechanismen kann man sich auch in der Immuntherapie von Tumorerkrankungen zu Nutze machen, indem eine virale Infektion in Tumorzellen durch synthetische RNAs imitiert wird.
Die neuen Erkenntnisse ermöglichen also einen tieferen Einblick in die verschiedenen intrazellulären Phasen der antiviralen Immunantwort und bieten ein Erklärungsmodell, wie die Zelle zwischen antiviralen Überlebensstrategien und programmiertem Zelltod abwägen kann. Zudem ermöglichen sie das Design von optimierter 5‘-Triphosphat-RNA, die effektiver als bisherige Wirkstoff-Kandidaten Tumorzelltod auslöst und die Bekämpfung von Tumoren durch das Immunsystem ermöglicht. Synthetische 5‘-Triphosphat-RNA wird derzeit in klinischen Studien zur Behandlung von soliden Tumoren erprobt. Erste Zelltod-optimierte 5‘-Triphosphat-RNAs, die den neu erkannten Mechanismus ausnutzen, werden derzeit in präklinischen Modellen getestet.
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Dr. rer. nat. Lars König
Abteilung für Klinische Pharmakologie
LMU Klinikum München
Campus Innenstadt
Tel: +49 89 4400-57322
E-Mail: lars.koenig@med.uni-muenchen.de
Originalpublikation:
https://immunology.sciencemag.org/content/6/61/eabe2550
Weitere Informationen:
https://www.lmu-klinikum.de/aktuelles/pressemitteilungen/programmierter-zelltod-…
Media Contact
Alle Nachrichten aus der Kategorie: Biowissenschaften Chemie
Der innovations-report bietet im Bereich der "Life Sciences" Berichte und Artikel über Anwendungen und wissenschaftliche Erkenntnisse der modernen Biologie, der Chemie und der Humanmedizin.
Unter anderem finden Sie Wissenswertes aus den Teilbereichen: Bakteriologie, Biochemie, Bionik, Bioinformatik, Biophysik, Biotechnologie, Genetik, Geobotanik, Humanbiologie, Meeresbiologie, Mikrobiologie, Molekularbiologie, Zellbiologie, Zoologie, Bioanorganische Chemie, Mikrochemie und Umweltchemie.
Neueste Beiträge
Größte bisher bekannte magnetische Anisotropie eines Moleküls gemessen
An der Berliner Synchrotronstrahlungsquelle BESSY II ist es gelungen, die größte magnetische Anisotropie eines einzelnen Moleküls zu bestimmen, die jemals experimentell gemessen wurde. Je größer diese Anisotropie ist, desto besser…
Tsunami-Frühwarnsystem im Indischen Ozean
20 Jahre nach der Tsunami-Katastrophe… Dank des unter Federführung des GFZ von 2005 bis 2008 entwickelten Frühwarnsystems GITEWS ist heute nicht nur der Indische Ozean besser auf solche Naturgefahren vorbereitet….
Resistente Bakterien in der Ostsee
Greifswalder Publikation in npj Clean Water. Ein Forschungsteam des Helmholtz-Instituts für One Health (HIOH) hat die Verbreitung und Eigenschaften von antibiotikaresistenten Bakterien in der Ostsee untersucht. Die Ergebnisse ihrer Arbeit…