Proteinfabriken bei der Arbeit
Detaillierte Struktur von Ribosomen in Nervenzellen aufgeklärt
Die fein regulierte Proteinproduktion der Zelle findet an den Ribosomen statt. Welche Regulatoren steuern diese Abläufe in bestimmten Geweben und auf welche Weise? Das hat jetzt ein Forschungsteam der Charité – Universitätsmedizin Berlin anhand der detaillierten Struktur des Ribosomenkomplexes untersucht. Auf diese Weise konnte das Team einen neuen Regulationsfaktor für die Entwicklung des Gehirns identifizieren, wie jetzt im Fachmagazin Molecular Cell* beschrieben ist.
Eine fein ausbalancierte Herstellung von Proteinen – die sogenannte Proteostase – ist vor allem für Nervenzellen von großer Bedeutung. Eine irreguläre Proteinproduktion ist daher ein Kennzeichen vieler Erkrankungen des Gehirns. Insbesondere die frühe Entwicklung der komplexen Großhirnrinde – des Neocortex – erfordert eine örtlich und zeitlich genau regulierte Produktion von Proteinen, insbesondere von Membranproteinen, die bei Zellkontakten und der Verknüpfung von Nervenzellen durch Synapsen eine wichtige Rolle spielen.
Das Ribosom steht als molekulare Proteinfabrik im Mittelpunkt dieser Steuerung. Verschiedene Faktoren regulieren während der Entwicklung die spezifische Proteinproduktion in unterschiedlichen Geweben und zu bestimmten Zeitpunkten. Das dynamische Zusammenspiel der verschiedenen Faktoren am Ribosom ist weitgehend unverstanden. Einer Forschungsgruppe der Charité ist es nun jedoch gelungen, die Proteinproduktion an den Ribosomen im Gehirn nachzuverfolgen.
„Erstmals konnten wir die Ribosomenstruktur im Gehirn mit nahezu atomarer Auflösung in Aktion darstellen“, sagt Prof. Dr. Christian Spahn, Direktor des Instituts für Medizinische Physik und Biophysik an der Charité. „Die Gesamtstruktur des Ribosoms wurde zwar bereits in anderen Geweben oder anderen Organismen aufgeklärt, nur auf diese Weise konnten wir jedoch Ebp1 als neuen zentralen Faktor identifizieren, der die Ribosomenfunktion und die Herstellung bestimmter Proteine während der Hirnentwicklung kontrolliert.“
Das Regulatorprotein Ebp1 – das ErbB3-Bindeprotein 1 – kontaktiert das Ribosom an dessen Tunnelausgang, wo ein neu entstehendes Protein das Ribosom verlässt. Auf diese Weise beeinflusst der Regulator insbesondere die Produktion von Membranproteinen, die für Zellkontakte von Bedeutung sind, und hält damit die neuronale Proteostase aufrecht.
In einem multidisziplinären Projekt verbanden die Forschenden Strukturbiologie mit Neurowissenschaften und kombinierten Kryo-Elektronenmikroskopie (Kryo-EM) als zentrale Technik mit Massenspektrometrie, RNA-Sequenzierung und genetischen Methoden. Mithilfe der Kryo-EM-Technik lassen sich Proteinstrukturen – insbesondere große Anordnungen mehrerer Moleküle – bei sehr niedrigen Temperaturen unter nahezu physiologischen Bedingungen bestimmen.
Der Neurowissenschaftler Dr. Dr. Matthew L. Kraushar vom Max-Planck-Institut für molekulare Genetik (MPIMG) in Berlin, Erstautor der Publikation und zuvor Wissenschaftler im Labor von Prof. Spahn, erklärt: „Uns war es so möglich, die Molekülarchitektur des Ribosoms hochaufgelöst und so zu betrachten, wie sie in den Nervenzellen vorliegt. Dabei konnten wir Schnappschüsse von verschiedenen Funktionsmechanismen des Ribosoms einfangen.“
„Die Proteinproduktion der verschiedenen Zelltypen im Gehirn ist präzise reguliert, kleine Veränderungen können zu folgenschweren Konsequenzen wie neurodegenerativen Erkrankungen und Entwicklungsstörungen führen. Mit unseren Erkenntnissen zur Rolle der Ribosomen während der normalen Hirnentwicklung können wir zukünftig auch die krankhaften Veränderungen des Gehirns besser verstehen“, sagt Prof. Spahn. Als nächstes wollen die Forschenden durch groß angelegte Analysen genau verstehen, wie das Ribosom während der Entwicklung des Gehirns die Produktion der verschiedenen benötigten Proteine kontrolliert.
*Kraushar ML et al. Protein synthesis in the developing neocortex at near-atomic resolution reveals Ebp1-mediated neuronal proteostasis at the 60S tunnel exit. Mol Cell. 2020 Dec 22. doi: 10.1016/j.molcel.2020.11.037
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Prof. Dr. Christian Spahn
Direktor des Instituts für Medizinische Physik und Biophysik
Charité – Universitätsmedizin Berlin
t: +49 30 450 524 131
E-Mail: christian.spahn@charite.de
Originalpublikation:
https://doi.org/10.1016/j.molcel.2020.11.037
Weitere Informationen:
https://biophysik.charite.de/ Institut für Medizinische Physik und Biophysik
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