RNA-Grundbaustein erstmalig biokatalytisch hergestellt

Graphical representation of the structure of the enyzm YeiN.
(c) Martin Pfeiffer

Forschern von TU Graz und acib gelingt die erste enzymgetriebene biokatalytische Synthese von Nukleinsäure-Grundbausteinen. Das erleichtert die Entwicklung antiviraler Wirkstoffe und RNA-basierter Therapeutika.

Durch die COVID-19-Pandemie und die damit verbundene intensive Suche nach Therapeutika und Impfstoffen erfährt die chemische Substanzklasse der Nukleoside ein enorm verstärktes Interesse. Natürliche und synthetische Nukleoside haben eine antivirale Wirkung und können als Bausteine von Ribonukleinsäuren (RNA) fungieren. Eingebaut in RNA ergeben sich neuartige Wechselwirkungen innerhalb des Makromoleküls mit positiven Konsequenzen für die Stabilität und biologische Wirksamkeit.

In der medizinischen Chemie besonders gefragt ist die Molekülfamilie der Kohlenstoff-(C-)Nukleoside: Diese unterscheiden sich von den natürlich häufiger vorkommenden Stickstoff-(N-)Nukleosiden – den klassischen Bausteinen von RNA – durch die Art der Verknüpfung zwischen dem Zucker und der sogenannten Nukleinbase.

Anstelle einer Kohlenstoff-Stickstoff-Bindung haben C-Nukleoside eine Kohlenstoff-Kohlenstoff-Bindung. Diese ist biochemisch deutlich stabiler und verleiht Wirkstoffen eine höhere biologische Halbwertszeit. Erstmals ist es nun zwei Forschern von der TU Graz und des Kompetenzzentrums acib gelungen, C-Nukleoside mithilfe von Enzymen biokatalytisch herzustellen. Die konkreten Ergebnisse legen sie aktuell in Nature Communications vor.

Ja zum Enzym „YeiN“

Bernd Nidetzky, Leiter des Instituts für Biotechnologie und Bioprozesstechnik der TU Graz und gleichzeitig Wissenschaftlicher Leiter des Austrian Centre of Industrial Biotechnology (acib), sowie Martin Pfeiffer vom acib entdeckten und charakterisierten in einer Studie das Enzym „YeiN“, das die beiden Nukleosid-Bausteine Ribose-5-phosphate und Uracil mittels einer spezifischen Kohlenstoff-Bindung verknüpfen kann. Als weltweit erste Forscher zeigen sie damit ein Enzym, das ein geeigneter Biokatalysator ist für die Herstellung von C-Nukleosiden.

Effiziente und umweltschonende Herstellung

Die Grazer konnten mithilfe der katalytischen Kraft von „YeiN“ mehrere Derivate des wichtigen C-Nukleoids Pseudouridin herstellen. Sie konnten zudem zeigen, dass eines dieser Derivate in RNA eingebaut werden kann und damit eine Modifizierung der RNA ermöglicht. Das ist für die Herstellung von RNA-basierten Therapeutika besonders relevant, da der Einbau von Pseudouridin in die RNA die Stabilität und Halbwertszeit erhöht und damit die Effektivität therapeutischer RNA, wie zum Beispiel eines Impfstoffes, verbessert.

„In unserer Studie zeigen wir, dass Pseudouridin biokatalytisch hergestellt werden kann. Im Vergleich zur rein chemischen Synthese ist das ein weit effizienterer Weg, da weniger Reaktionsschritte und keine toxischen Chemikalien nötig sind. Die biokatalytische Herstellung von C-Nukleosiden ist also eine sehr starke, elegante Alternative zur klassischen chemischen Synthese und dieser in Sachen Effizienz sogar überlegen“, sagt Bernd Nidetzky. Aufbauend auf den in Nature Communications veröffentlichten Erkenntnissen kann nun an der Erweiterung des Substratspektrums von „YeiN“ geforscht werden. Das Ziel: die biokatalytische Synthese weiterer relevanter C-Nukleoside.

RNA-Impfstoffe

Seit wenigen Tagen laufen in Großbritannien die ersten flächendeckenden Impfungen gegen COVID-19 mit RNA-Impfstoffen. Diese völlig neuartigen Impfstoffe enthalten Erbinformationen des Erregers und bringen Zellen dazu, ein Virusprotein zu erzeugen, das anschließend dem Immunsystem präsentiert wird. Die darauffolgende Immunreaktion schützt den Körper vor einer tatsächlichen Virusinfektion. Ist man bereits mit dem Virus infiziert, können antivirale Medikamente eine Virusvermehrung verhindern.

Der C-Nukleosid-basierte Wirkstoff Remdesivir hat diese notwendigen antiviralen Eigenschaften und wirkt gegen eine Reihe von RNA-Viren, darunter Corona- und Ebolaviren. Der Wirkstoff hat in der EU eine bedingte Zulassung zur Behandlung von COVID-19-Erkrankten erhalten. Die biokatalytische Herstellung von C-Nukleosiden könnte diesem Hoffnungsträger sowie RNA-Impfstoffen auf Basis von C-Nukleosiden weiteren Rückenwind verschaffen.

Diese Arbeit ist an der TU Graz im Field of Expertise „Human & Biotechnology“ (https://www.tugraz.at/forschung/forschungsschwerpunkte-5-fields-of-expertise/hum…) verankert, einem von fünf Schwerpunktfeldern der TU Graz. Die Arbeit entspringt einer Kooperation zwischen TU Graz und acib und wurde vom Wissenschaftsfonds FWF gefördert.

Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Bernd NIDETZKY
Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr.techn.
TU Graz | Institut für Biotechnologie und Bioprozesstechnik
Tel.: +43 316 873 8400
bernd.nidetzky@tugraz.at
http://www.tugraz.at

Martin PFEIFFER
Dipl.-Ing. BSc
Austrian Centre of Industrial Biotechnology (acib) GmbH
Tel.: +43 6642173787
martin.pfeiffer@tugraz.at
http://www.acib.at

Originalpublikation:

Martin Pfeiffer, Bernd Nidetzky: Reverse C-glycosidase reaction provides C-nucleotide building blocks of xenobiotic nucleic acids. Nature Communications, December 2020. DOI: 10.1038/s41467-020-20035-0. https://www.fwf.ac.at/en/about-the-fwf/corporate-policy

http://www.tugraz.at

Media Contact

Susanne Eigner Kommunikation und Marketing
Technische Universität Graz

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Biowissenschaften Chemie

Der innovations-report bietet im Bereich der "Life Sciences" Berichte und Artikel über Anwendungen und wissenschaftliche Erkenntnisse der modernen Biologie, der Chemie und der Humanmedizin.

Unter anderem finden Sie Wissenswertes aus den Teilbereichen: Bakteriologie, Biochemie, Bionik, Bioinformatik, Biophysik, Biotechnologie, Genetik, Geobotanik, Humanbiologie, Meeresbiologie, Mikrobiologie, Molekularbiologie, Zellbiologie, Zoologie, Bioanorganische Chemie, Mikrochemie und Umweltchemie.

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

Größte bisher bekannte magnetische Anisotropie eines Moleküls gemessen

An der Berliner Synchrotronstrahlungsquelle BESSY II ist es gelungen, die größte magnetische Anisotropie eines einzelnen Moleküls zu bestimmen, die jemals experimentell gemessen wurde. Je größer diese Anisotropie ist, desto besser…

Tsunami-Frühwarnsystem im Indischen Ozean

20 Jahre nach der Tsunami-Katastrophe… Dank des unter Federführung des GFZ von 2005 bis 2008 entwickelten Frühwarnsystems GITEWS ist heute nicht nur der Indische Ozean besser auf solche Naturgefahren vorbereitet….

Resistente Bakterien in der Ostsee

Greifswalder Publikation in npj Clean Water. Ein Forschungsteam des Helmholtz-Instituts für One Health (HIOH) hat die Verbreitung und Eigenschaften von antibiotikaresistenten Bakterien in der Ostsee untersucht. Die Ergebnisse ihrer Arbeit…