RUB-Chemiker wagen einen Blick in die Frühphase der Evolution
Auf der Suche nach den Ursprüngen des Lebens hat ein amerikanisch-deutsches Forscherteam mit Prof. Dr. Günter von Kiedrowski (Organische Chemie I der RUB) nun Hinweise dafür gefunden, dass Ribozyme, also RNA-Moleküle mit Enzymfunktion, sich von selbst zu größeren Einheiten zusammenlagern können. Die Forscher nennen diesen Prozess „anabolische Autokatalyse“. Der umgekehrte Prozess, die Zerlegung eines größeren in mehrere kleinere Moleküle („katabolische Autokatalyse“) war bekannt.
Die Arbeit vervollständigt die Vorstellung der Wissenschaft von einer RNA-Welt, die unserer heutigen Biochemie mit DNA als genetischer Legislative, RNA als Judikative und Proteinen als Exekutiven der Zelle, vorausgegangen sein könnte. Die Studie ist als „hot paper“ in der Zeitschrift „Angewandte Chemie“ erschienen. Ein Kommentar finde sich in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift „Nature Chemical Biology“.
Komplizierte Gewaltenteilung in der Zelle
Unsere heutige Biochemie basiert auf der Gewaltenteilung zwischen DNA als genetischer Legislative, RNA als Judikative, und Proteinen als Exekutive in der Zelle. War dies immer schon so? „Die strukturelle und dynamische Komplexität dieser Gewaltenteilung ist so enorm, dass man annehmen muss, das Leben habe sich aus einer früheren, archaischen Form von Biochemie entwickelt“, meint Prof. von Kiedrowski. „Vieles deutet darauf hin, dass unserer heutigen Biochemie eine RNA-Welt vorausging, in der RNA zugleich Legislative und Exekutive war.“ Die Entdeckung von Ribozymen (RNA als Enzym) durch Cech und Altman (Chemie Nobelpreis 1987) belegt die Rolle von RNA als Exekutive. Seit der Jahrtausendwende wissen wir, dass sogar das Ribosom im Kern seiner Aktivität ein Ribozym ist.
Lücken – bis heute nicht geschlossen
Wenn RNA auch Legislative ist, muss es enzymfreie Wege zur Selbstreplikation von Nucleinsäuren wie RNA geben. Zwar kennt man diese seit 1986 für kurze Nucleinsäurestränge. Aber die aus der chemischen Selbstreplikation von kurzen Sequenzen gezogenen Schlüsse lassen sich nur sehr eingeschränkt auf die Replikation längerer Stränge übertragen. Der alternative Weg, nämlich durch Evolution im Reagenzglas ein Ribozym zu finden, welches als verknüpfende Polymerase wirkt, konnte diese Lücke bis heute ebenfalls noch nicht schließen: Stets war das Ribozym um mindestens eine Größenordnung länger als der Strang, von dem eine Kopie hergestellt werden sollte.
Schablone und Katalysator zugleich
Selbstreplikation lässt sich im Sinne einer „genetischen Autokatalyse“ verstehen: Ein Replikator muss gleichzeitig als informationsgebendes Templat (Schablone) und als Katalysator seiner eigenen Synthese (Autokatalysator) wirken – auf diese Weise kann es bei kurzen Strängen zum autokatalytischen Wachstum kommen. Das amerikanisch-deutsche Team hat nun Hinweise darauf gefunden, dass bei Ribozymen mit Ligaseaktivität selbstbeschleunigendes Wachstum auch durch „anabolische Autokatalyse“ entstehen kann. Unter anabolischer Autokatalyse verstehen die Autoren die Selbstfabrikation eines größeren Moleküls aus kleineren Untereinheiten.
Zuerst noch Bauchschmerzen …
Für den Nachweis der Selbstfabrikation synthetisierte das Team vier Untereinheiten eines Ribozyms, die sich spontan zu einem nichtkovalenten Komplex zusammenlagern. Dieser „trans Komplex“ entsteht, weil seine Bausteine die Information mitbringen, die für die geordnete Zusammenlagerung per Basenpaarung erforderlich ist. Das Ribozym selbst kann aus diesem Komplex durch kovalente Verknüpfung der Strangenden dieser Bausteine entstehen, hierzu ist allerdings ein Katalysator erforderlich. Die Autoren fanden, dass das Ribozym als Reaktionsprodukt eine erkennbar bessere katalytische Wirkung entfaltet als der trans-Komplex oder die zwischenzeitlich entstehenden Ribozym-Vorstufen. „Das gesamte Reaktionsnetzwerk ist allerdings sehr komplex, Seine dynamische Modellierung und die Anpassung der kinetischen Daten an das Modell ließen sich nur durch Vereinfachungen vornehmen, deren Legitimität mir anfangs Bauchschmerzen bereitet haben“ sagt Günter von Kiedrowski. „Erst durch Zusammenziehung aller Fakten entstand ein konsistentes Bild.“
Wurzeln der Darwin'schen Evolution
Sollte sich anabolische Autokatalyse auch bei anderen Ribozymen finden lassen, so wirft das ein neues Bild auf die Frühphase der Evolution in einer RNA-Welt. Gelingt es nämlich, die chemische Selbstreplikation der Ribozym-Bausteine an die Ribozym-Selbstfabrikation zu koppeln, so wäre ein langgesuchtes Bindeglied gefunden, das zu den Wurzeln einer Evolvierbarkeit im Darwin'schen Sinne führen könnte. Für von Kiedrowski ist das Auffinden dieser Wurzeln die zentrale Herausforderung an die Systemchemie.
Titelaufnahmen
Eric J. Hayden, Günter von Kiedrowski, Niles Lehman: Systems Chemistry on Ribozyme Self-Construction: Evidence for Anabolic Autocatalysis in a Recombination Network. In: Angewandte Chemie, Volume 120 Issue 44, Pages 8552 – 8556, DOI: 10.1002/ange.200802177, http://www3.interscience.wiley.com/cgi-bin/fulltext/121402340/HTMLSTART
Kommentar „An autocatalytic network for ribozyme self-construction“ von Burckhard Seelig in: Nature Chemical Biology, November 2008, Volume 4 No 11, pp654-655
Weitere Informationen
Prof. Dr. Günter von Kiedrowski, Lehrstuhl für Organische Chemie I, Fakultät für Chemie und Biochemie der Ruhr-Universität Bochum, 44780 Bochum, Tel. 0234/32-23218, E-Mail: kiedro@rub.de
Redaktion: Meike Drießen
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