Seidenspinner: Unterschiedliche Geruchswelten von Weibchen und Männchen
Weibchen der Falter nutzen ihren Geruchssinn vor allem zum Aufspüren der besten Wirtspflanzen für die Ablage ihrer Eier, eine wichtige Rolle spielt dabei die abschreckende Wirkung von Raupenkot.
Ein Forschungsteam des Max-Planck-Instituts für chemische Ökologie hat zusammen mit Kolleginnen und Kollegen der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg die Geruchswahrnehmung von weiblichen Seidenspinnern genauer untersucht. Mittels elektrophysiologischer Methoden fanden sie heraus, dass die Antenne, die bei männlichen Seidenspinnern auf das Aufspüren weiblicher Pheromone spezialisiert ist, bei den Weibchen besonders empfindlich auf den Duft von Seidenraupenkot reagiert.
Bestandteile dieses Duftes erwiesen sich als abschreckend für verpaarte Weibchen, die bei der Eiablage vermutlich Konkurrenz für den eigenen Nachwuchs meiden. Die verantwortlichen Geruchsnervenzellen befinden sich in haarähnlichen Strukturen, den Riechhaaren oder Sensillen. Bei den Männchen erfolgt die Erkennung von Pheromonen in einem langen Typ dieser Riechhaare, während Nervenzellen in den langen Riechhaaren der Weibchen auf den Geruch von Raupenkot reagieren. Den Duft des Maulbeerbaums, der einzigen Futterpflanze für Seidenraupen, nehmen Seidenspinnerweibchen mit Hilfe der Nervenzellen in halblangen Riechhaaren wahr (Proceedings of the Royal Society B: Biological Sciences, Januar 2024, doi: 10.1098/rspb.2023.2578).
Für weibliche Seidenspinner riecht die Welt anders als für Männchen
Beim Menschen ist der Geruchssinn von Männern und Frauen ähnlich entwickelt, auch wenn Frauen etwas mehr Geruchsneuronen und damit eine etwas feinere Nase haben. Im Großen und Ganzen nehmen sie aber die gleichen Gerüche wahr. Männliche Nachtfalter hingegen leben in einer völlig anderen Geruchswelt als ihre Weibchen. So ist beispielsweise die Antenne von männlichen Seidenspinnern, also deren „Nase“, stark auf die Erkennung von weiblichen Sexuallockstoffen spezialisiert, während die Weibchen ihre eigenen Pheromone gar nicht wahrnehmen können. Auf den Antennen gibt es Tausende von Riechhaaren oder Sensillen, die in morphologisch und funktionell unterschiedliche Gruppen eingeteilt werden können. Die am häufigsten vorkommenden Riechhaare beim Männchen sind lang und beherbergen zwei Nervenzellen. Eine davon ist auf die Aufgabe spezialisiert, Bombykol wahrzunehmen, das Sexualpheromon der Weibchen, die andere reagiert auf Bombykal, ein Bestandteil des Pheromons anderer Falterarten. Während Bombykol eine stark anziehende Wirkung auf Seidenspinnermännchen hat, wirkt Bombykal abschreckend.
„Da die Seidenspinnerweibchen ihr eigenes Pheromon nicht riechen können, wurde lange vermutet, dass ihre langen Riechhaare ebenfalls eine spezifische Funktion haben, die nur bei Weibchen zu finden ist. Die einzige Aufgabe eines Weibchens besteht eigentlich darin, nach der Paarung eine geeignete Pflanze für die Eiablage zu finden. Man hatte daher angenommen, dass die langen Riechhaare der Weibchen auf einen anlockenden Duft von Maulbeerbäumen spezialisiert sind. Diese Annahme wollten wir überprüfen“, sagt Sonja Bisch-Knaden, die in der Abteilung Evolutionäre Neuroethologie am Max-Planck-Institut für chemische Ökologie eine Projektgruppe leitet.
Lange Riechhaare der Seidenspinnerweibchen erkennen den Kot von Seidenraupen
Für die Studie waren elektrophysiologische Methoden, wie die Messung der Aktivität einzelner Riechhaare entscheidend. Dafür testeten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nicht nur viele verschiedene Einzeldüfte, sondern auch natürliche Duftmischungen, wie sie in den Blättern des Maulbeerbaums, dem Raupenkot, dem Körpergeruch von Faltern oder dem Mekonium, einer Flüssigkeit, die Falter beim Schlüpfen absondern, vorkommen. All diese Düfte spielen im Umfeld der Seidenspinner eine Rolle und wurde daher vorab gesammelt. Außerdem konnte das Forschungsteam die Expression von Geruchsrezeptoren den jeweiligen Riechhaartypen zuordnen.
„Überraschend war für uns, dass die Nervenzellen in den langen Riechhaaren der Seidenspinnerweibchen nicht wie erwartet auf die Wahrnehmung der Wirtspflanze spezialisiert sind, sondern dass eine der beiden Nervenzellen in langen Riechhaaren sehr empfindlich auf Duftstoffe wie Isovaleriansäure und Benzaldehyd reagiert. Die Wahrnehmung des Dufts der Maulbeerblätter selbst erfolgt durch Nervenzellen in halblangen Riechhaaren“, fasst Sonja Bisch-Knaden die Ergebnisse zusammen.
Isovaleriansäure und Benzaldehyd sind Duftkomponenten von Seidenraupenkot. Mit Hilfe eines einfachen Y-Maze-Tests mit einem Eingangsarm, der sich in zwei Seitenarme aufteilt, durch die entweder ein Duft oder reine Luft (Kontrolle) eingeleitet wird, konnte das Forschungsteam ein Verhalten bei den bewegungsarmen Weibchen auslösen, das Anziehung oder Abneigung zum Ausdruck brachte. Große Unterschiede wurden beim Vergleich zwischen jungfräulichen und verpaarten Weibchen deutlich. So konnten die Forschenden zeigen, dass die mit Raupenkot assoziierten Düfte bei jungfräulichen Weibchen keine spezifische Reaktion auslösten, während sie auf verpaarte Weibchen abschreckend wirkten. Vermutlich helfen Kotgerüche den Weibchen, bei der Eiablage Maulbeerbäume zu meiden, die bereits von vielen Raupen besetzt sind.
Auf der Suche nach dem männlichen Seidenspinner-Pheromon
Das Pheromon weiblicher Seidenspinner, Bombykol, wurde bereits 1959 chemisch charakterisiert – als erstes Insektenpheromon überhaupt. Bislang ist es Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern nicht gelungen, ein männliches Pendant zu identifizieren. Die aktuelle Studie liefert zwar Hinweise, aber keine Antworten auf die Frage nach einem männlichen Pheromon. „Die zweite Nervenzelle in den langen Riechhaaren der Weibchen reagiert hochspezifisch auf (+)-Linalool, ein Duft, der bereits in anderen Schmetterlingsarten als Bestandteil des männlichen Pheromons nachgewiesen wurde. Allerdings konnten wir im Körpergeruch von Seidenspinnermännchen kein Linalool finden, und (+)-Linalool allein wirkte in Verhaltensversuchen auf Seidenspinnerweibchen weder anziehend noch abstoßend“, sagt Sonja Bisch-Knaden.
Besonderheiten bei der Geruchswahrnehmung von Seidenspinnern
Bei der Untersuchung der molekularen Grundlagen der Geruchswahrnehmung in Seidenspinnerweibchen fiel den Forschenden eine Besonderheit bei der räumlichen Organisation der Geruchsrezeptoren auf. Es gibt zwei Familien von Geruchsrezeptoren: die evolutionär älteren ionotropen Rezeptoren (IRs), die hauptsächlich Säuren erkennen, und die olfaktorischen Rezeptoren (ORs), die ein breites Spektrum an chemisch unterschiedlichen Verbindungen erkennen. Aufgrund von Studien an der Modellfliege Drosophila melanogaster ging man lange davon aus, dass Nervenzellen, die IRs oder ORs exprimieren, in der Regel in verschiedenen Riechhaartypen vorkommen, und dass IRs nie in langen Riechhaaren vorkommen. Beim Seidenspinner jedoch finden sich sowohl ein IR-Ko-Rezeptor für das Aufspüren von Säuren als auch der obligate OR-Ko-Rezeptor in denselben Nervenzellen, die sich in langen Riechhaaren befinden. Diese Ko-Expression von IRs und ORs erweitert die chemische Bandbreite der Geruchsnervenzellen. Gerüche, die von beiden Rezeptortypen erkannt werden, werden gemeinsam verarbeitet und weitergeleitet, was für die eindeutige Erkennung von ökologisch wichtigen Geruchsmischungen von Vorteil sein könnte. „Es ist erstaunlich, dass die Erforschung des Geruchssinnes von Insekten immer wieder überraschende Ergebnisse zu Tage fördert. Unsere Studie zeigt, dass es wichtig ist, nicht nur an einem Modell zu forschen“, sagt der Leiter der Abteilung Evolutionäre Neuroethologie Bill Hansson.
Die Ko-Expression der beiden beider Rezeptortypen fanden die Forschenden auch in den langen Riechhaaren der Seidenspinnermännchen, weshalb sie davon ausgehen, dass die Wahrnehmung von Säuren auch bei männlichen Seidenspinnern eine bedeutende ökologische Rolle spielen könnte. Dies sollen jetzt weitere Untersuchungen klären.
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Dr. Sonja Bisch-Knaden, Max-Planck-Institut für chemische Ökologie, Hans-Knöll-Straße 8, 07745 Jena, Tel. +49 3641 57-1444, E-Mail sbisch-knaden@ice.mpg.de
Originalpublikation:
Schuh, E., Cassau, S., Ismaieel, A. R., Stieger, R., Krieger, J., Hansson, B. S., Sachse, S., Bisch-Knaden, S., (2024). Females smell differently: characteristics and significance of the most common olfactory sensilla of female silkmoths. Proceedings of the Royal Society B: Biological Sciences, doi: 10.1098/rspb.2023.2578
https://doi.org/10.1098/rspb.2023.2578
Weitere Informationen:
https://www.ice.mpg.de/287615/lepidopteran-neuroethology Neuroethologie von Schmetterlingen
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