Selen schützt Nervenzellen im Gehirn

Zusammenfassung der Ergebnisse. Quelle: Ingold et al., Cell, 2017

Vor genau 200 Jahren entdeckte der schwedische Wissenschaftler Jöns Jacob Berzelius das Spurenelement Selen, das er nach der Mondgöttin Selene benannte. Neben seiner industriellen Anwendung (chemische Industrie, Herstellung von Halbleitern und Tonern), ist es auch ein essenzielles Spurenelement und somit überlebenswichtig für den Menschen, viele Tiere und manche Bakterien. Warum das so ist, konnte nun ein Team um Dr. Marcus Conrad, Gruppenleiter am Institut für Entwicklungsgenetik (IDG) des Helmholtz Zentrums München, zum ersten Mal zeigen.

Wissenschaftlicher ‚Beifang‘ löst Jahrzehnte altes Rätsel

Die Wissenschaftler beschäftigen sich seit Jahren mit einer als Ferroptose bekannten Form des Zelltods. In diesem Zusammenhang spielt das Enzym GPX4 eine wichtige Rolle, das normalerweise Selen in Form der Aminosäure Selenocystein enthält.*

„Um die Rolle von GPX4 besser zu beschreiben, hatten wir Mausmodelle etabliert und untersucht, bei denen das Enzym verändert war“, erklärt Studienleiter Conrad. „Dabei fiel uns vor allem eines auf, bei dem GPX4 nicht mit Selen, sondern mit Schwefel gebildet wird.“ Den Wissenschaftlern zufolge war dieses Modell aufgrund neurologischer Komplikationen nicht länger als drei Wochen lebensfähig.

Auf der Suche nach den Ursachen stießen die Forscher auf bestimmte Nervenzellen im Gehirn, die ohne selenhaltiges GPX4 fehlten. „In weiteren Untersuchungen konnten wir zeigen, dass diese Nervenzellen während der Entwicklung durch Ferroptose zugrunde gegangen waren, wenn kein selenhaltiges GPX4 vorlag“, so Erstautorin Irina Ingold vom IDG.

Weiterhin konnten die Wissenschaftler zeigen, dass die Ferroptose vor allem durch starken oxidativen Stress ausgelöst wird, wie er durch hohe Stoffwechselaktivität und bei der Signalübertragung in Nervenzellen typisch ist. „Unsere Studie belegt zum ersten Mal, dass Selen ein essenzieller Faktor für die postnatale Entwicklung eines ganz bestimmten Typs von Nervenzellen ist“, ordnet IDG-Wissenschaftler Dr. José Pedro Friedmann Angeli die Ergebnisse ein. „Selenhaltiges GPX4 schützt die Nervenzellen vor oxidativem Stress und dem dadurch bedingten Absterben.“

Damit erklärt die Studie, warum Selenoenzyme in manchen Organismen wie den Säugern essenziell sind, wohingegen sie bei anderen Organismen wie Pilzen und höhere Pflanzen entbehrlich sind. Künftig will Studienleiter Marcus Conrad mit seinem Team untersuchen, wie und wo genau in der Zelle die Ferroptose ausgelöst wird. Langfristig gehe es ihm darum, die Rolle der Ferroptose bei verschiedenen Erkrankungen zu verstehen, um derzeit noch nicht oder nur schwer therapierbare Erkrankungen wie Krebs oder Neurodegeneration lindern zu können.

Weitere Informationen

* GPX4 steht für das Enzym Glutathionperoxidase 4, eines von 25 Selenoproteinen im Menschen. Im Enzym ist das Selen ein integraler Bestandteil der 21. Aminosäure Selenocystein. Das Enzym scheint bei der Ferroptose eine entscheidende Rolle. Bei letzterer handelt es sich um den Zerfall von Zellen (griechisch ptosis: der Fall) in Abhängigkeit von Eisen (lateinisch Ferrum). Bisher ist die Ferroptose noch unvollständig verstanden, aber die Wichtigkeit des zellulären Suizids hat sich beispielsweise durch die weitaus besser erforschte Apoptose bereits eindrucksvoll bestätigt.

Hintergrund:
Weitere Partner innerhalb des Helmholtz Zentrums München, mit denen die Publikation umgesetzt wurde, sind Dr. Hans Zischka (Institut für Toxikologie), Dr. Martin Jastroch (Institut für Diabetes und Adipositas), Prof. Dr. Axel Walch und Dr. Michaela Aichler (Abteilung Analytische Pathologie). Die Doktorandinnen Irina Ingold und Katalin Buday sind Teilnehmerinnen der Helmholtz Graduate School Environmental Health, kurz HELENA.

Original-Publikation:
Ingold, I. et al. (2017): Selenium utilization by GPX4 is required to prevent hydroperoxide-induced ferroptosis. Cell, DOI: 10.1016/j.cell.2017.11.048

Das Helmholtz Zentrum München verfolgt als Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt das Ziel, personalisierte Medizin für die Diagnose, Therapie und Prävention weit verbreiteter Volkskrankheiten wie Diabetes mellitus und Lungenerkrankungen zu entwickeln. Dafür untersucht es das Zusammenwirken von Genetik, Umweltfaktoren und Lebensstil. Der Hauptsitz des Zentrums liegt in Neuherberg im Norden Münchens. Das Helmholtz Zentrum München beschäftigt rund 2.300 Mitarbeiter und ist Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft, der 18 naturwissenschaftlich-technische und medizinisch-biologische Forschungszentren mit rund 37.000 Beschäftigten angehören. http://www.helmholtz-muenchen.de

Durch eine steigende Lebenserwartung nehmen sowohl altersbedingte, als auch soziologische und umweltbedingte Einflüsse auf die Gene zu. Diese Veränderungen des genetischen Materials untersucht das Institut für Entwicklungsgenetik (IDG). Im Forschungsbereich Mouse Genetics werden genetische Tiermodelle zur Erforschung verschiedener Erkrankungen entwickelt. Diese Modelle werden im Disease Modelling analysiert, um Genfunktionen und Zellprozesse zu identifizieren und den Einfluss von Umwelt und Alterungsprozessen zu bewerten. Ein Schwerpunkt liegt dabei in der Untersuchung neurologischer und psychiatrischer Krankheiten. http://www.helmholtz-muenchen.de/idg

Ansprechpartner für die Medien:
Abteilung Kommunikation, Helmholtz Zentrum München – Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt (GmbH), Ingolstädter Landstr. 1, 85764 Neuherberg – Tel. +49 89 3187 2238 – Fax: +49 89 3187 3324 – E-Mail: presse@helmholtz-muenchen.de

Fachlicher Ansprechpartner:
Dr. Marcus Conrad, Helmholtz Zentrum München – Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt (GmbH), Institut für Entwicklungsgenetik, Ingolstädter Landstr. 1, 85764 Neuherberg – Tel. +49 89 3187 4608 – E-Mail: marcus.conrad@helmholtz-muenchen.de

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