Stickstoff im frühen Ozean – unterschätzte Bakterien treten ins Rampenlicht
Bislang wurde angenommen, dass vor allem Cyanobakterien dafür verantwortlich waren, in der Frühzeit unseres Planeten Stickstoff aus der Atmosphäre zu fixieren und dadurch in die Biosphäre einzubringen. Forschende des Max-Planck-Instituts für Marine Mikrobiologie in Bremen zeigen nun, dass auch Schwefelpurpurbakterien unter Bedingungen wie im Proterozoischen Ozean substanziell zur Stickstofffixierung beigetragen haben könnten.
Stickstoff ist unverzichtbar für alle Lebensformen: Er ist Teil von Eiweißen, Nukleinsäuren und anderen Zellstrukturen. Deswegen war es auf der frühen Erde von großer Bedeutung für die Entwicklung des Lebens, Stickstoff aus der Atmosphäre nutzen zu können. Wer damals aber diese sogenannte Stickstofffixierung durchgeführt hat, und mit Hilfe welchen Enzyms, ist bisher nicht geklärt. Nun zeigen Forschende des Bremer Max-Planck-Instituts für Marine Mikrobiologie, dass unter ähnlich kargen Bedingungen wie im proterozoischen Ozean eine bislang unterschätzte Bakteriengruppe sehr effizient Stickstoff fixieren kann.
Ein „kleiner Ur-Ozean“ in den Schweizer Alpen
Da der proterozoische Ozean nun einmal nicht mehr für direkte Untersuchungen zur Verfügung steht, nutzten die Forschenden um Miriam Philippi und Katharina Kitzinger vom Bremer Max-Planck-Institut einen vergleichbaren Lebensraum: den Schweizer Alpensee Lago di Cadagno. Anders als die meis¬ten anderen Seen ist der Lago di Cadagno stabil geschichtet, die oberen und unteren Wasserschichten mischen sich also nicht. In der Übergangsregion zwischen der oberen, sauerstoffhaltigen und der unteren, sauerstofffreien und sulfidhaltigen Schicht leben Schwefelpurpurbakterien. Sie kommen ohne Sauerstoff aus, betreiben Photosynthese und oxidieren Schwefel. „Der Fund von Fossilien dieser Gruppe von Mikroorganismen weist darauf hin, dass sie schon vor mindestens 1,6 Milliarden Jahren, also im Proterozoikum, auf unserer Erde lebten“, so Erstautorin Philippi. „Wir haben es bei diesem See und mit diesen Bakterien also mit einem System zu tun, das viele Gemeinsamkeiten mit dem frühen Ozean hat.“ Deshalb eignet sich dieser auch so gut, um mehr über die Prozesse auf der frühen Erde zu erfahren.
Schwefelpurpurbakterien fixieren Stickstoff
Mit einer Kombination aus biogeochemischen und molekularen Analysen entdeckten Philippi und ihre Kolleginnen und Kollegen, dass die Schwefelpurpurbakterien sehr effizient Stickstoff fixieren. Stickstofffi¬xierung ist die Umwandlung von wenig reaktionsfreudigem Stickstoffgas aus der Atmosphäre zu Stick¬stoffverbindungen, die auch andere Organismen nutzen können, zum Beispiel Algen. „Soweit wir wissen, ist das der erste Nachweis von Stickstofffixierung durch in der Umwelt lebende Schwefelpurpurbakterien“, erklärt Mitautorin Katharina Kitzinger. „Wir stellten fest, dass sie dazu das heutzutage am weitesten verbreitete Enzym, die Molybdän-Nitrogenase, nutzen. Obwohl dieses Enzym nicht selten ist, waren wir sehr überrascht, es im Cadagno-See zu finden.“ Denn dort gibt es äußerst wenig Molybdän im Wasser – genauso wie im proterozoischen Ozean. Deswegen nahm man an, dass auf der frühen Erde Nitrogenasen ohne Molybdän vorherrschten. „Die Molybdän-Nitrogenase funktioniert also auch bei niedrigen Konzentrationen von Molybdän ganz hervorragend.“
„Wir liefern damit den ersten Hinweis, dass Schwefelpurpurbakterien für die Stickstofffixierung im frühen Ozean mitverantwortlich gewesen sein könnten“, so Philippi weiter. „Bisher wurde zumeist angenommen, dass Cyanobakterien den Großteil der Stickstofffixierung ausführten. Nun zeigen wir, dass die Rolle der Schwefelpurpurbakterien in diesem Prozess unterschätzt wurde.“
URL: https://www.mpi-bremen.de/Page5380.html
Beteiligte Institutionen
Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie, Bremen, Deutschland
Department für Umweltsystemwissenschaften, ETH-Zürich, Zürich, Schweiz
Labor für Angewandte Mikrobiologie, Departement für Umwelt, Bau und Gestaltung, Fachhochschule Südschweiz (SUPSI), Bellinzona, Schweiz
Eawag, Eidgenössisches Institut für Wasserversorgung, Abwasserreinigung und Gewässerschutz, Dübendorf und Kastanienbaum, Schweiz
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Miriam Philippi
Abteilung Biogeochemie
Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie, Bremen
Telefon: +49 421 2028-6360
E-Mail: mphilipp@mpi-bremen.de
Dr. Katharina Kitzinger
Abteilung Biogeochemie
Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie, Bremen
Telefon: +49 421 2028-6550
E-Mail: kkitzing@mpi-bremen.de
Dr. Fanni Aspetsberger
Pressesprecherin
Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie, Bremen
Telefon: +49 421 2028-9470
E-Mail: faspetsb@mpi-bremen.de
Originalpublikation:
Miriam Philippi, Katharina Kitzinger, Jasmine S. Berg, Bernhard Tschitschko, Abiel T. Kidane, Sten Littmann, Hannah K. Marchant, Nicola Storelli, Lenny H. E. Winkel, Carsten J. Schubert, Wiebke Mohr, Marcel M. M. Kuypers (2021): Purple sulfur bacteria fix N2 via molybdenum-nitrogenase in a low molybdenum Proterozoic ocean analogue. Nature Communications (published online 06. August 2021)
DOI: 10.1038/s41467-021-25000-z
Media Contact
Alle Nachrichten aus der Kategorie: Biowissenschaften Chemie
Der innovations-report bietet im Bereich der "Life Sciences" Berichte und Artikel über Anwendungen und wissenschaftliche Erkenntnisse der modernen Biologie, der Chemie und der Humanmedizin.
Unter anderem finden Sie Wissenswertes aus den Teilbereichen: Bakteriologie, Biochemie, Bionik, Bioinformatik, Biophysik, Biotechnologie, Genetik, Geobotanik, Humanbiologie, Meeresbiologie, Mikrobiologie, Molekularbiologie, Zellbiologie, Zoologie, Bioanorganische Chemie, Mikrochemie und Umweltchemie.
Neueste Beiträge
Sensoren für „Ladezustand“ biologischer Zellen
Ein Team um den Pflanzenbiotechnologen Prof. Dr. Markus Schwarzländer von der Universität Münster und den Biochemiker Prof. Dr. Bruce Morgan von der Universität des Saarlandes hat Biosensoren entwickelt, mit denen…
Organoide, Innovation und Hoffnung
Transformation der Therapie von Bauchspeicheldrüsenkrebs. Bauchspeicheldrüsenkrebs (Pankreaskarzinom) bleibt eine der schwierigsten Krebsarten, die es zu behandeln gilt, was weltweite Bemühungen zur Erforschung neuer therapeutischer Ansätze anspornt. Eine solche bahnbrechende Initiative…
Leuchtende Zellkerne geben Schlüsselgene preis
Bonner Forscher zeigen, wie Gene, die für Krankheiten relevant sind, leichter identifiziert werden können. Die Identifizierung von Genen, die an der Entstehung von Krankheiten beteiligt sind, ist eine der großen…