Struktur und Ort von Stoffwechselprodukten gleichzeitig sichtbar machen

Mit der neuen Methode können Stoffwechselprodukte und Botenstoffe genau lokalisiert werden: Die beiden Isomere eines Metaboliten weisen unterschiedliche Verteilungen im Gewebe auf. Abbildung aus: Wäldchen et al., Journal of the American Chemical Society 2019, 141, 30, 11816-11820 ©2019 American Chemical Society

Wie sind die Atome in Stoffwechselprodukten und Botenstoffen angeordnet und in welchen Zellen werden diese Moleküle gebildet?

Antworten auf diese Fragen sind nötig, um Stoffwechselwege und Signalkaskaden innerhalb eines Organismus zu untersuchen.

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU) gelang es nun erstmals, die Verteilung von Substanzen im Gewebe wie mit einem Mikroskop abzubilden und gleichzeitig strukturelle Unterschiede der Moleküle auf zellulärer Ebene darzustellen.

Dies war mit gängigen analytischen Verfahren bislang nicht möglich. Ihre Methode haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in der renommierten Fachzeitschrift „Journal of the American Chemical Society“ veröffentlicht.

Die stoffliche Zusammensetzung von Zellen in Gewebe kann trotz gleicher Erbinformation sehr unterschiedlich sein. Dies liegt unter anderem an den unterschiedlichen Aufgaben, die verschiedene Zellen erfüllen müssen. Um ihre Aufgaben zu erfüllen, passen die Zellen ihren Stoffwechsel an.

Dabei entstehen unterschiedliche Mengen charakteristischer Substanzen mit unterschiedlichen Strukturen. Die Häufigkeit, aber auch der chemische Aufbau von diesen Botenstoffen oder Stoffwechselprodukten kann daher dazu genutzt werden, Zellen voneinander zu unterscheiden, Krankheiten zu diagnostizieren oder die Prozesse zu verstehen, die zur Bildung dieser Substanzen geführt haben.

Das in der Nachwuchsgruppe von Dr. Sven Heiles am Institut für Anorganische und Analytische Chemie der JLU entwickelte Messprinzip „Reactive MALDI“ nutzt einen fokussierten Laserstrahl, der ortsgenau sehr geringe Substanzmengen aus dem untersuchten Gewebe verdampft und gleichzeitig eine chemische Reaktion zwischen den Stoffwechselprodukten (Metaboliten) und einem Hilfsstoff („Matrix“) initiiert.

Die dabei entstehenden Ionen werden in einem Massenspektrometer detektiert, wodurch eine Vielzahl von Verbindungen unterschieden und zusätzlich strukturelle Unterschiede von sogenannten Isomeren – Moleküle mit der gleichen Anzahl und Art an Atomen, die sich nur hinsichtlich ihrer räumlichen Struktur unterscheiden – erkannt werden können.

Im Anschluss an die massenspektrometrischen Analyse liefert das Abrastern der Probenoberfläche mit Laserstrahlung mikroskopische Bilder, die Informationen über die Stoffzusammensetzung, die Mengen und die chemischen Strukturen enthalten.

Das neue Verfahren wird bereits in Projekten in der Biologie, der Medizin und der Parasitologie eingesetzt, um örtliche Verteilungen von isomeren Verbindungen in Gewebe sichtbar zu machen. „Es ist schon lange bekannt, dass der Parasit Schistosoma mansoni, der die Krankheit Bilharziose beim Menschen hervorruft, einen sehr speziellen Stoffwechsel besitzt. Nun können wir die strukturellen Unterschiede von Metaboliten auch mikroskopisch verfolgen“, sagt Prof. Dr. Christoph Grevelding.

Der renommierte JLU-Parasitologe hat zusammen mit Prof. Dr. Bernhard Spengler vom Institut für Anorganische und Analytische Chemie der JLU den Lipidstoffwechsel des Pärchenegels genauer untersucht.

Neben Parasiten haben die Gießener Forscherinnen und Forscher auch neuronale Zellen in Maushirngewebe untersucht, das häufig als Modell in neurologischen Studien zu Nervenkrankheiten verwendet wird. „Wir konnten nun erstmals die strukturellen Unterschiede von Stoffwechselprodukten auf zellulärer Ebene nachweisen“, erklärt Fabian Wäldchen, der als Doktorand an der Entwicklung der Methode beteiligt war.

„Dieses eindrucksvolle Beispiel verdeutlicht die wahre Komplexität und Spezifität von Stoffwechselprozessen“, so Prof. Dr. Bernhard Spengler. „Das neue analytisch-chemische Verfahren ist ein erster wichtiger Schritt, um auch strukturelle Details von Metaboliten räumlich verfolgen und dadurch Stoffwechselprozesse sehr viel besser verstehen zu können.“

Die 1607 gegründete Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU) ist eine traditionsreiche Forschungsuniversität, die rund 28.000 Studierende anzieht. Neben einem breiten Lehrangebot – von den klassischen Naturwissenschaften über Rechts- und Wirtschaftswissenschaften, Gesellschafts- und Erziehungswissenschaften bis hin zu Sprach- und Kulturwissen¬schaften – bietet sie ein lebenswissenschaftliches Fächerspektrum, das nicht nur in Hessen einmalig ist: Human- und Veterinärmedizin, Agrar-, Umwelt- und Ernährungswissenschaften sowie Lebensmittelchemie. Unter den großen Persönlichkeiten, die an der JLU geforscht und gelehrt haben, befindet sich eine Reihe von Nobelpreisträgern, unter anderem Wilhelm Conrad Röntgen (Nobelpreis für Physik 1901) und Wangari Maathai (Friedensnobelpreis 2004). Seit dem Jahr 2006 wird die Forschung an der JLU kontinuierlich in der Exzellenzinitiative bzw. der Exzellenzstrategie von Bund und Ländern gefördert.

Kontakt

Dr. Sven Heiles
Institut für Anorganische und Analytische Chemie
Heinrich-Buff-Ring 17, 35392 Gießen
Telefon: 0641 99-34807
E-Mail: sven.heiles@anorg.chemie.uni-giessen.de

Publikation
Fabian Wäldchen, Bernhard Spengler, Sven Heiles: Reactive Matrix-Assisted Laser Desorption/Ionization Mass Spectrometry Imaging Using an Intrinsically Photoreactive Paternò–Büchi Matrix for Double-Bond Localization in Isomeric Phospholipids.
J. Am. Chem. Soc. 2019, 141, 30, 11816-11820, DOI: 10.1021/jacs.9b05868

https://doi.org/10.1021/jacs.9b05868

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