Tanz an der Zelloberfläche
Signale spielen im Körper eine entscheidende Rolle: Licht wird in der Retina unseres Auges durch lichtempfindliche Rezeptoren in körpereigene Signale umgewandelt, die im Gehirn zu dem zusammengefügt werden, was wir sehen. Das Stresshormon Adrenalin signalisiert Gefahr und sorgt für erhöhte Pulsschlag- und Atemfrequenz.
Botenstoffe wie Serotonin sorgen dafür, dass Nervenzellen in bestimmten Gehirnarealen aktiviert werden und so etwa Glücksgefühle entstehen. Bei all diesen Vorgängen spielen spezielle Antennen auf der Zelloberfläche, sogenannte G Protein gekoppelte Rezeptoren (GPCR), welche die Signale empfangen, weiterleiten und damit eine bestimmte Antwort auslösen können, eine alles entscheidende Rolle.
Peter Hildebrand hat eine Professur für biophysikalische Computersimulationen an der medizinischen Fakultät der Universität Leipzig und beschäftigt sich mit der Computersimulation krankheitsrelevanter Eiweißmoleküle im Körper.
„Wir interessieren uns seit vielen Jahren dafür, was passiert, nachdem das Signal auf seinen Rezeptor an der Zelloberfläche gestoßen ist“, erzählt Peter Hildebrand, der am BIH Visiting Professor ist. „Wir wollen wissen, wie der Rezeptor das Signal in die Zelle hinein reicht und wie es dann innerhalb der Zelle weiter geht: Diese ersten Schritte entscheiden, welches Programm in der Zelle im Anschluss abläuft und welche Antwort die Zelle darauf liefert.“
Für Antworten auf genau diese Fragen hat der Strukturbiologe Brian Kobilka von der Universität Stanford im Jahr 2012 den Nobelpreis für Chemie erhalten. “Und deshalb ist es für uns auch so ein großes Glück, dass wir mit Brian Kobilka ,der am BIH als BIH Einstein Visiting Professor tätig ist, hier in Berlin zusammenarbeiten können“, freut sich Hildebrand.
„Brian Kobilka hat Schnappschüsse von Rezeptoren im Moment der Bindung des von außen kommenden Botenstoffs und ebenfalls im Moment der Bindung an die G Proteine innerhalb der Zelle aufgenommen“, erklärt Hildebrand. „Wir konnten die Bewegungen dieser Molekülen in ihrer natürlichen Umgebung simulieren.“
Der Biophysiker Hildebrand tat sich daraufhin in Berlin mit dem Strukturbiologen und Mediziner Kobilka zusammen: „Wir wollten genau verstehen, was unter der Zelloberfläche bei der Signalübertragung passiert. Die entscheidenden Bewegungen laufen dabei in sehr kurzer Zeit, also wenigen Bruchteilen von Sekunden ab“, beschreibt Hildebrand das Problem.
„Wir konnten nur zusammen herausfinden, wovon es abhängt, ob ein Signal weitergereicht wird und ob es in die eine oder in die andere Richtung weitergeleitet wird.“ Dazu haben sie die Bewegungen des Rezeptors am Computer simuliert und anschließend im Labor mit strukturbiologischen Methoden überprüft, ob die Simulation die Vorgänge korrekt widerspiegelte.
Die mikroskopisch kleinen ultraschnellen Bewegungen, die Kobilka und Hildebrand nun erstmals beobachten konnten, entscheiden zu einem wesentlichen Teil darüber, welche Wirkung ein natürliches oder körpereigenes Signal entfaltet: Auch ein Drittel der Medikamente wirkt über diese Rezeptoren, etwa Herzmedikamente, Psychopharmaka oder Schmerzmittel. „Und da kommt es auf die speziellen Bewegungen an, die das Medikament bewirkt, wenn es an den Rezeptor bindet“, erklärt Hildebrand. „Die jetzt veröffentlichten Erkenntnisse sind ein wichtiger Schritt, um in Zukunft abzuschätzen zu können, ob ein Medikament Nebenwirkungen hervorrufen wird, weil es nicht nur einen, sondern mehrere oder den falschen Signalweg in der Zelle aktiviert,“ ordnet Hildebrand die aktuelle Veröffentlichung ein.
Professor Axel Radlach Pries, Vorstandsvorsitzender des BIH (Interim) und Dekan der Charité – Universitätsmedizin Berlin sowie Gastgeber von BIH Visiting Professor Peter Hildebrand, zeigte sich erfreut über die aktuelle Publikation in der Zeitschrift Cell: „Die Forschung zur Signalübermittlung ist von höchster Bedeutung für die Medizin und für das Anliegen des BIH, Forschungsergebnisse aus dem Labor in die Klinik zu übertragen. Und es bestätigt uns darin, dass es eine gute Idee ist, exzellente Köpfe am BIH zusammen zu bringen.“
Seit 2014 ermöglicht die Stiftung Charité durch die private Exzellenzinitiative Johanna-Quandt den Aufenthalt von herausragenden Wissenschaftlern am BIH. Insgesamt kamen bereits über 30 Gastprofessoren und -professorinnen nach Berlin, vor wenigen Tagen wurden sechs neu ausgewählte Kandidaten vorgestellt. Ziel ist es, innovative Forschungsprojekte zu verfolgen, Kontakte zu herausragenden Wissenschaftler*innen und deren Heimatinstitutionen zu fördern, und damit sowohl die biomedizinische Forschung in Deutschland als auch den Wissenschaftsstandort Berlin voranzubringen.
Liu et al., Structural Insights into the Process of GPCR-G Protein Complex Formation, Cell (2019), https://doi.org/10.1016/j.cell.2019.04.021
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