Treibhausgas CO2 ist Baustoff für Schalen von Meeresorganismen

Seeigelschalen werden aus Kalk gebildet - ein hochkomplexer physiologischer und chemischer Prozess, bei dem auch Kohlendioxid (CO2) eine wichtige Rolle spielt. Forschende der Uni Kiel untersuchen den Prozess der Kalzifizierung anhand dieser marinen Modellorganismen.
© William Chang, Uni Kiel

Forschende der Uni Kiel entschlüsseln neuen Baustein im Mechanismus der Kohlenstoffverarbeitung in Zellen mariner Organismen.

Seeigel sind ideale Modellorganismen, um den Prozess der Kalzifizierung – die Bildung von Kalkschalen und Skeletten – zu erforschen. Viele Meeresbewohner wie Korallen, Foraminiferen, aber auch Seeigel und deren Larvenstadien nutzen dafür Kohlenstoffdioxid (CO2). Das Gas, ursprünglich ein Abfallprodukt der Zellatmung, dient ihnen als Kohlenstoffquelle für die Bildung ihrer Kalkskelette und Schalen. Wie genau dieser, im Stoffwechsel gebildete (metabolischer) Kohlenstoff verarbeitet, angereichert und dann zu Kalziumkarbonat (Kalk) umgewandelt wird, ist ein hochkomplexer physiologischer, chemischer und physikalischer Prozess und derzeit noch weitgehend unerforscht.

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) unter Leitung von Dr. Marian Hu vom Physiologischen Institut der CAU ist es nun gelungen, einen wesentlichen Baustein in diesem vielschichtigen Prozess zu entschlüsseln: Eine Gruppe von Enzymen, die Carboanhydrasen, sorgen für die Umwandlung des metabolischen CO2 zu Karbonat, das durch die Zelle aufgenommen und für die Kalzifizierung genutzt wird. Diese evolutionär sehr alten Enzyme, welche die Kieler Forschenden auch bei Seeigellarven nachweisen konnten, liegen an der Oberfläche von kalzifizierenden Zellen und sind von entscheidender Bedeutung für die Anreicherung des metabolischen Kohlenstoffs und dessen Bereitstellung für die Kalzifizierung. Die Ergebnisse sind kürzlich in der Fachzeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS) erschienen.

Studie liefert Schlüsselerkenntnisse im Mineralisierungsprozess

„Mit unserer Arbeit haben wir einen wesentlichen Schlüssel im Mineralisierungsprozess identifiziert, der erklärt wie metabolisches CO2 in kalzifizierenden Zellen konzentriert wird und für die Kalzifizierung bereitgestellt wird. Dieses Wissen ist von grundlegender Bedeutung, um zu verstehen wie marine Organismen es schaffen, ein Abfallprodukt im Zellprozess positiv für sich zu nutzen“, sagt Dr. Marian Hu, der mit seiner Emmy-Noether-Nachwuchsgruppe die zellulären Prozesse der Kalkbildung von Seeigeln und anderen marinen Organismen erforscht.

Im Rahmen ihrer Untersuchung an den mikroskopisch kleinen, nur 0,3 mm großen Organismen haben die Forschenden unterschiedliche Methoden wie die Messung der Carboanhydraseaktivität in lebenden Zellen der Seeigellarve sowie molekulare Analysen angewendet – Verfahren, die besonders an der Kieler Universität durch die langjährige enge Zusammenarbeit von Meeresforschenden und Medizinern am Institut für Physiologie entwickelt wurden. Die Seeigellarve als kleiner und transparenter, mariner Organismus ist dabei ideal für alle zellulären Untersuchungen mit molekularen Methoden, mit Hilfe derer auch komplexe genetische Prozesse erforscht werden können.

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler konnten darüber hinaus feststellen, dass auch der pH-Wert im Meerwasser für die bestmögliche Umwandlung des CO2 eine wichtige Rolle spielt. „Bei der Enzymgruppe der Carboanhydrasen gibt der pH-Wert das Gleichgewicht zwischen CO2 und Karbonat an. Der Wert ist daher der entscheidende Faktor für die erfolgreiche Konzentrierung des Kohlenstoffs“, resümiert Ann-Sophie Matt, Erstautorin der Studie und Doktorandin in der Emmy-Noether Nachwuchsgruppe. Die Studie der Kieler Forschenden trägt darüber hinaus zum besseren Verständnis der Abhängigkeit kalzifizierender Organismen vom pH-Wert im Meer bei. Die zunehmenden Veränderungen im Ozean, etwa die fortschreitende Versauerung, beeinflusst entscheidend die Kalkbildung bei marinen Organismen.

Originalpublikation:
Ann-Sophie Matt, William W. Chang, Marian Y. Hu (2022). Extracellular carbonic anhydrase activity promotes a carbon concentration mechanism in metazoan calcifying cells. Proceedings of the National Academy of Sciences, 119 (40) e2203904119. DOI: https://doi.org/10.1073/pnas.2203904119

Fotos stehen zum Download bereit:
https://www.uni-kiel.de/de/pressemitteilungen/2022/153-gruppenbild.jpg
Die Emmy-Noether-Forschungsgruppe an der CAU unter der Leitung von Dr. Marian Hu beschäftigt sich unter anderem mit dem Prozess der Skelettbildung bei Seeigeln und Seeigellarven in einem zunehmend sauren Meerwasser. Die Forschenden von links nach rechts: Dr. William W. Chang, Femke Thoben, Ann-Sophie Matt, Dr. Marian Y. Hu und Inga Petersen.
© Catarina Quintanova, Uni Kiel

https://www.uni-kiel.de/de/pressemitteilungen/2022/153-seeigel.jpg
Seeigelschalen werden aus Kalk gebildet – ein hochkomplexer physiologischer und chemischer Prozess, bei dem auch Kohlendioxid (CO2) eine wichtige Rolle spielt. Forschende der Uni Kiel untersuchen den Prozess der Kalzifizierung anhand dieser marinen Modellorganismen.
© William Chang, Uni Kiel

Weiterführende Links:
Emmy-Noether-Nachwuchsgruppe von Dr. Marian Hu, https://marianhu.com/
Forschungsschwerpunkt Kiel Marine Science an der CAU, https://www.uni-kiel.de/de/forschung/forschungsschwerpunkte/kiel-marine-science

Wissenschaftlicher Kontakt:
Dr. Marian Y. Hu
Emmy-Noether Nachwuchsgruppenleiter
Physiologisches Institut
Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU)
E-Mail: m.hu@physiologie.uni-kiel.de
Telefon: 0431/880-3202

Pressekontakt:
Friederike Balzereit
Öffentlichkeitsarbeit / Wissenschaftskommunikation Kiel Marine Science (KMS)
Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU)
E-Mail: fbalzereit@uv.uni-kiel.de
Telefon: 0431/880-3032

Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
Presse, Kommunikation und Marketing, Eva Sittig, Text/Redaktion: Friederike Balzereit
Postanschrift: D-24098 Kiel, Telefon: (0431) 880-2104, Telefax: (0431) 880-1355
E-Mail: presse@uv.uni-kiel.de Internet: https://www.uni-kiel.de Twitter: https://www.twitter.com/kieluni Facebook: https://www.facebook.com/kieluni Instagram: https://www.instagram.com/kieluni

Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Dr. Marian Y. Hu
Emmy-Noether Nachwuchsgruppenleiter
Physiologisches Institut
Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU)
E-Mail: m.hu@physiologie.uni-kiel.de
Telefon: 0431/880-3202

Originalpublikation:

Ann-Sophie Matt, William W. Chang, Marian Y. Hu (2022). Extracellular carbonic anhydrase activity promotes a carbon concentration mechanism in metazoan calcifying cells. Proceedings of the National Academy of Sciences, 119 (40) e2203904119. DOI: https://doi.org/10.1073/pnas.2203904119

Weitere Informationen:

https://www.uni-kiel.de/de/detailansicht/news/153-seeigel-neuer-baustein

Media Contact

Eva Sittig Presse, Kommunikation und Marketing
Christian-Albrechts-Universität zu Kiel

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Biowissenschaften Chemie

Der innovations-report bietet im Bereich der "Life Sciences" Berichte und Artikel über Anwendungen und wissenschaftliche Erkenntnisse der modernen Biologie, der Chemie und der Humanmedizin.

Unter anderem finden Sie Wissenswertes aus den Teilbereichen: Bakteriologie, Biochemie, Bionik, Bioinformatik, Biophysik, Biotechnologie, Genetik, Geobotanik, Humanbiologie, Meeresbiologie, Mikrobiologie, Molekularbiologie, Zellbiologie, Zoologie, Bioanorganische Chemie, Mikrochemie und Umweltchemie.

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

Lange angestrebte Messung des exotischen Betazerfalls in Thallium

… hilft bei Zeitskalenbestimmung der Sonnenentstehung. Wie lange hat eigentlich die Bildung unserer Sonne in ihrer stellaren Kinderstube gedauert? Eine internationale Kollaboration von Wissenschaftler*innen ist einer Antwort nun nähergekommen. Ihnen…

Soft Robotics: Keramik mit Feingefühl

Roboter, die Berührungen spüren und Temperaturunterschiede wahrnehmen? Ein unerwartetes Material macht das möglich. Im Empa-Labor für Hochleistungskeramik entwickeln Forschende weiche und intelligente Sensormaterialien auf der Basis von Keramik-Partikeln. Beim Wort…

Klimawandel bedroht wichtige Planktongruppen im Meer

Erwärmung und Versauerung der Ozeane stören die marinen Ökosysteme. Planktische Foraminiferen sind winzige Meeresorganismen und von zentraler Bedeutung für den Kohlenstoffkreislauf der Ozeane. Eine aktuelle Studie des Forschungszentrums CEREGE in…