Tübinger Forschungsteam entwickelt neue Strategie gegen Sepsis

Acetat versetzt weiße Blutkörperchen (neutrophile Granulozyten) über Rezeptor GPR43 in Alarmbereitschaft.
Michael Pelzer / Universität Tübingen

Acetat regt körpereigene Immunabwehr an – Schwere bakterielle Infektionen bei Mäusen gemildert.

Manche Blutvergiftungen verlaufen mild, viele haben jedoch einen tödlichen Ausgang – die Gründe für diese Unterschiede sind trotz jahrzehntelanger Forschung im Dunklen geblieben. Forscherinnen und Forscher der Universität Tübingen haben nun eine mögliche Ursache entdeckt und auf dieser Grundlage eine neue experimentelle Strategie zur Bekämpfung der bakteriellen Sepsis entwickelt.

Der neue Therapieansatz gegen die lebensbedrohliche Blutvergiftung kommt ohne den Einsatz von Antibiotika aus und setzt stattdessen auf die Anregung der körpereigenen Immunabwehr durch Gabe des Wirkstoffs Acetat. An der Studie, die im Fachmagazin Communications Biology veröffentlicht wurde, waren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Exzellenzclusters „Kontrolle von Mikroorganismen zur Bekämpfung von Infektionen“ (CMFI), des Interfakultären Instituts für Mikrobiologie und Infektionsforschung an der Universität Tübingen (IMIT) sowie des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung (DZIF) beteiligt.

Als Folge einer lokalen Infektion kann es zum Eindringen von Bakterien in die Blutbahn kommen, was zu einer lebensbedrohlichen Sepsis (umgangssprachlich Blutvergiftung) und einem septischen Schock mit Organversagen führen kann. Zu den häufigsten Verursachern einer solchen Sepsis gehören Methicillin-resistente Staphylococcus aureus Bakterien (MRSA), welche gegen viele der gängigen Antibiotika Resistenzen gebildet haben.

Das Forschungsteam unter der Leitung von Professor Andreas Peschel und Dr. Dorothee Kretschmer konnte nun zeigen, dass die körpereigene Immunabwehr gegenüber Staphylokokken durch Gabe des Essigsäuresalzes Natrium-Acetat gestärkt wird, sodass der Körper besser mit der schweren Infektion fertig werden kann. In Experimenten mit Mäusen, die über das Trinkwasser oder eine Injektion Acetat erhielten, wurde der Verlauf einer bakteriellen Sepsis deutlich verbessert.

Eine bakterielle Infektion wird von unserem Körper durch weiße Blutkörperchen bekämpft. Die häufigsten weißen Blutkörperchen im Blutkreislauf sind sogenannte neutrophile Granulozyten, die Krankheitserreger erkennen, aufnehmen und zerstören können.

Neutrophile besitzen auf ihrer Oberfläche verschiedene Mustererkennungsmoleküle, Rezeptoren, an die bakterienspezifische Komponenten binden und so die Anwesenheit von Bakterien signalisieren. Eine solche Komponente ist Acetat, das von vielen Bakterien gebildet wird, vor allem von Infektionserregern wie Staphylococcus aureus und von Darmbakterien beim Verdauen der Nahrung. Acetat wird vom Rezeptor GPR43 auf den Neutrophilen erkannt.

Acetat als Aktivator

„Wir konnten in unserer Studie zum ersten Mal eingehend untersuchen, welche Auswirkungen die Bindung des Acetats an Neutrophile hat. Es scheint ein Verstärker zu sein, der die Granulozyten sozusagen aufweckt und in Alarmbereitschaft versetzt“, berichtet Dorothee Kretschmer. „Acetat wirkt über die Aktivierung des GPR43-Rezeptors regulatorisch, sodass eine adäquate und zielgerichtete körpereigene Immunantwort auf mehreren Ebenen stattfinden kann.“ Werden Granulozyten bereits vor einer Infektion in Alarmbereitschaft versetzt, können sie effektiver auf die eindringenden Krankheitserreger reagieren. Sie wandern dann schneller aus dem Blut zum Infektionsort, nehmen mehr Bakterien auf und produzieren sogenannte Sauerstoffradikale, die die Bakterien abtöten. Dies führte dazu, dass sich die Bakterien bei einer anschließenden Sepsis durch das Bakterium Staphylococcus aureus weniger gut vermehren und in den Organen verteilen konnten.

In Experimenten belegte das Forschungsteam, dass eine Acetatinjektion oder die Gabe von Acetathaltigem Trinkwasser bei Mäusen zu einer verbesserten Immunantwort führt. „Bei einer anschließenden Sepsis durch Infektion mit Staphylokokken konnten die Bakterien schneller und effizienter abgetötet, und so ein tödlicher Verlauf verhindert werden“, sagt Kretschmer. Die Mäuse seien schneller genesen, was unter anderem an einer rascheren Gewichtszunahme zu erkennen gewesen sei.

„Interessanterweise konnten wir denselben Effekt beobachten, wenn wir das Acetat erst nach Beginn der Sepsis verabreichten“, berichtet die Erstautorin der Studie Katja Schlatterer vom CMFI. „Dies führte in gleicher Weise zu einer verbesserten Immunantwort und Infektionsabwehr.“ Das Forschungsteam hält es für denkbar, dass Acetat beim Menschen sowohl vorbeugend als auch zur Behandlung einer Sepsis zum Einsatz kommen könnte. Acetat fände bereits Anwendung im klinischen Bereich, zum Beispiel als Säure-Basen-Regulator in Infusionen, die bei Flüssigkeitsverlust gelegt werden. Die Verträglichkeit beim Menschen sei somit bereits erwiesen.

Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Prof. Dr. Andreas Peschel
Universität Tübingen
Interfakultäres Institut für Mikrobiologie und Infektionsmedizin
Exzellenzcluster „Kontrolle von Mikroorganismen zur Bekämpfung von Infektionen“ (CMFI)
Deutsches Zentrum für Infektionsforschung
Telefon +49 7071 29-74636
andreas.peschel[at]uni-tuebingen.de

Originalpublikation:

Katja Schlatterer, Christian Beck, Ulrich Schoppmeier, Andreas Peschel, Dorothee Kretschmer: Acetate sensing by GPR43 alarms neutrophils and protects from severe sepsis. Communications Biology 4:928, https://doi.org/10.1038/s42003-021-02427-0.

https://uni-tuebingen.de

Media Contact

Antje Karbe Hochschulkommunikation
Eberhard Karls Universität Tübingen

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Biowissenschaften Chemie

Der innovations-report bietet im Bereich der "Life Sciences" Berichte und Artikel über Anwendungen und wissenschaftliche Erkenntnisse der modernen Biologie, der Chemie und der Humanmedizin.

Unter anderem finden Sie Wissenswertes aus den Teilbereichen: Bakteriologie, Biochemie, Bionik, Bioinformatik, Biophysik, Biotechnologie, Genetik, Geobotanik, Humanbiologie, Meeresbiologie, Mikrobiologie, Molekularbiologie, Zellbiologie, Zoologie, Bioanorganische Chemie, Mikrochemie und Umweltchemie.

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

Überlebenskünstler im extremen Klima der Atacama-Wüste

Welche Mikroorganismen es schaffen, in den extrem trockenen Böden der Atacama-Wüste zu überleben, und welche wichtigen Funktionen sie in diesem extremen Ökosystem übernehmen – zum Beispiel bei der Bodenbildung –,…

Hoffnung für Behandlung von Menschen mit schweren Verbrennungen

MHH-Forschende entwickeln innovatives Medikament, um die Abstoßung von Spenderhaut-Transplantaten zu verhindern. Wenn Menschen schwere Verbrennungen erleiden, besteht nicht nur die Gefahr, dass sich die Wunde infiziert. Der hohe Flüssigkeitsverlust kann…

Neue Erkenntnisse zur Blütezeit-Regulation

Einfluss von Kohlenstoff- und Stickstoff-Signalwegen auf Blütenrepressoren bei Arabidopsis. In einer aktuellen Publikation in der Fachzeitschrift Plant Physiology hat ein internationales Forschungsteam, dem unter anderem Dr. Justyna Olas als eine…