Ursache vieler Lymphome geklärt – Grundlage für revolutionäre Therapie geschaffen
Es handelt sich um den ersten Therapieansatz in der Geschichte der Krebstherapie, mit dem ausschließlich die bösartigen Zellen und nicht die anderen Zellen des Patienten angegriffen werden. Die Wirksamkeit dieses neuen Ansatzes wurde im Reagenzglas und am Tiermodell bestätigt.
Schon lange stand die Hypothese im Raum, dass bösartige Erkrankungen der B-Lymphozyten (hierzu gehören viele Lymphome, Plasmozytome und die chronischen lymphatischen Leukämien) dadurch entstehen, dass bestimmte Substanzen vom Immunsystem erkannt werden, also als Antigene eine Immunantwort stimulieren.
Dies geschieht dadurch, dass die Antigene an den Antigenrezeptor (ein Antikörpermolekül) auf der Oberfläche der spezifischen B-Zellen (einer Unterform der weißen Blutkörperchen) binden und danach zusammen ins Innere der B-Zelle transportiert werden. Durch diese chronische Antigenstimulation kommt es zu einer vermehrten Proliferation und Zellteilung der B-Zellen, und da mit jeder Zellteilung die Entstehung eines bösartigen Zellklons steigt, kommt es nach Jahren der Stimulation durch ein Antigen letztendlich zur Entstehung eines Lymphoms.
Das Problem der „Hypothese der chronischen Antigenstimulation“ lag jedoch darin, dass die hierfür verantwortlichen Substanzen nicht bekannt waren. Der Arbeitsgruppe von Prof. Pfreundschuh ist es jetzt gelungen, die verantwortlichen Substanzen, also die jeweiligen Antigene für viele unterschiedliche Lymphomarten zu identifizieren. Überraschend dabei war, dass bei fast allen Lymphomerkrankungen ein Antigen vorherrscht.
In den meisten Fällen handelt es sich dabei um eine veränderte körpereigene Substanz, also ein Auto (Selbst)-Antigen, in einem Teil der Fälle wird die veränderte körpereigene Substanz vererbt, und gesunde Träger dieser veränderten körpereigenen Substanzen haben ein erhöhtes Risiko, an einem Lymphom zu erkranken, da sie seit Geburt diese veränderte körpereigene Substanz haben, die dann chronisch das Immunsystem dieser Personen stimuliert.
Das Vorherrschen eines oder zweier Autoantigene bei jeder einzelnen Untergruppe von Lymphomen hat sich die Arbeitsgruppe von Prof. Pfreundschuh nun zunutze gemacht und einen revolutionären Therapie-Ansatz entwickelt, das sogenannte „reverse Targeting“. „Reverse Targeting“ heißt dieser Ansatz, weil im Gegensatz zur Therapie mit Antikörpern, die einen immer wichtigeren Platz bei der Krebstherapie einnimmt, hier nicht der Antikörper zum Antigen auf einer Krebszelle geht und dort gebunden wird, sondern dass beim „reverse targeting“ das Antigen zum Antikörper, also dem Antigenrezeptor auf der Oberfläche der Lymphomzelle geht.
Wenn man an das Antigen ein Zellgift koppelt, wird dieses Zellgift mit dem Antigen nach der Bindung an den Antigenrezeptor auf der Oberfläche der Lymphomzelle in das Innere der Lymphomzelle transportiert und kann dort seine tödliche Wirkung entfalten. Da sehr viele Antigenrezeptoren auf der Oberfläche von Lymphomzellen vorhanden sind, sollte das „reverse targeting“ sehr effektiv sein, was nun im Reagenzglas und in Mäusen, denen ein menschliches Lymphom transplantiert worden war, bestätigt werden konnte.
Diese Forschungsergebnisse wurden jetzt im Juni erstmals auf dem Europäischen Hämatologie-Kongress vorgestellt und von den Teilnehmern als „sensationell“ oder gar „revolutionär“ bezeichnet. Mit den B-Zell-Rezeptor-Antigenen für das „reverse targeting“ (den sogenannten „BARs“) steht nun nicht nur ein völlig neuer Therapieansatz für Lymphome zur Verfügung; dieser Therapieansatz sollte auch besonders gut verträglich sein, denn „Reverse Targeting“ mit den Homburgern „BARs“ ist der erste Therapieansatz in der Geschichte der Krebstherapie, mit dem ausschließlich die bösartigen Lymphomzellen und nicht die anderen Zellen des Patienten angegriffen werden. „Reverse targeting“ ist also die am meisten personalisierte Therapie, die man sich vorstellen kann, oder anders ausgedrückt „precision medicine at the limits“.
Nachdem die Wirksamkeit der „BARs“ im Reagenzglas und im Mausmodell bewiesen ist, geht es jetzt darum, dieses Verfahren möglichst umgehend in die Klinik zu bringen. Dafür sucht die Universität des Saarlandes als Inhaber des Patents für das „reverse targeting“ nun einen kompetenten industriellen Partner.
Foto: Professor Dr. Michael Pfreundschuh
Kontakt für Journalisten:
Prof. Dr. Michael Pfreundschuh
Klinik für Innere Medizin I – Onkologie, Hämatologie,
Klinische Immunologie und Rheumatologie
Universitätsklinikum des Saarlandes und
Medizinische Fakultät der Universität des Saarlandes
Tel.: 0 68 41 / 16 – 2 30 02
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