Ush ist nicht gleich Ush
Ein Protein für mehr als einen Zweck
Ein Multifunktionswerkzeug zeigt seine Einsatzmöglichkeiten: Das Protein U-shaped (Ush) nimmt verschiedene Formen an, die ganz unterschiedlich auf die Entwicklung von künftigen Blutzellen einwirken. Je nachdem, in welcher Form Ush vorliegt, schaltet es bestimmte Gruppen von Genen ein, die den weiteren Werdegang der Zelle vorgeben. Das hat eine Forschungsgruppe aus der Medizin herausgefunden, indem es die Vorläufer von Blutzellen bei Fruchtfliegen untersuchte. Das Team um den Marburger Molekularbiologen Professor Dr. Alexander Brehm berichtet über die Ergebnisse in der Fachzeitschrift „PLoS Genetics“.
Alle Zellen eines Lebewesens besitzen dieselben Gene, aber trotzdem entwickeln sie sich zu unterschiedlichen Zelltypen mit ganz speziellen Funktionen – zum Beispiel aus einem teilungsfähigen Vorläufer zu Blutkörperchen einer bestimmten Sorte. Die Fachleute sprechen von Differenzierung. „In diesem Prozess bilden sich die Eigenschaften der späteren Zelle heraus“, erläutert Jonathan Lenz, der seine Doktorarbeit in Brehms Arbeitsgruppe anfertigt und als Erstautor der Studie firmiert.
Was aus einer Zelle wird, hängt davon ab, welcher Ausschnitt ihres Genbestands angeschaltet wird und welcher nicht; die aktivierten Gene richten Stoffwechsel und Teilungsfähigkeit so aus, dass die Zelle ihre Funktionen erfüllen kann. Es reicht nicht, einzelne Gene mittels spezieller Genschalter zu aktivieren – vielmehr muss ein ganzes Bündel von Schaltern betätigt werden. „Geht hier etwas schief, kann das zur ungewollten Produktion von Zellen und beispielsweise zu Krebserkrankungen führen“, sagt Lenz.
Die Forschungsgruppe untersuchte bei der Taufliege Drosophila das Protein U-shaped, kurz Ush. „Wir konnten zeigen, dass das Molekül drei verschiedene Gen-Gruppen kontrolliert“, erklärt Lenz. „Es wirkt dadurch auf drei zelluläre Prozesse ein: Ush beeinflusst den Fettstoffwechsel, begünstigt die Zellteilung und sorgt dafür, dass die Zellen ihren Charakter als Vorläufer aufrechterhalten.“
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler fanden heraus: Das Ush-Protein steuert die einzelnen Vorgänge, indem es unterschiedliche Formen annimmt, sogenannte Isoformen. Das Forschungsteam nahm eine davon genauer unter die Lupe; diese Isoform koppelt Ush an den Molekülkomplex NuRD, der dafür bekannt ist, dass er Genaktivitäten reguliert.
„Bemerkenswert ist: Im Komplex mit NuRD wirkt Ush nur auf einen der drei Prozesse ein“, legt Mitverfasser Alexander Brehm dar, der die Forschungsarbeit leitete: Zusammen mit NuRD trägt Ush demnach nur dazu bei, dass die Zellen ihren Status als Vorläufer behalten, beeinflusst aber weder die Zellteilung noch den Stoffwechsel – dafür sind wahrscheinlich andere Versionen von Ush zu-ständig.
„Dies ist ein Beispiel dafür, wie ein einzelnes Steuermolekül gleichzeitig verschiedene Aspekte der zellulären Differenzierung beeinflussen kann“, führt Brehm aus. Ush wirke nicht als klassischer Meisterregulator, der an der Spitze einer Hierarchie von Genen sitzt. „Ush scheint eher selbst zuzupacken“, schreiben die Autorinnen und Autoren, „das Molekül steuert direkt verschiedene Gentypen, die für verschiedene Prozesse während der Differenzierung entscheidend sind.“
Professor Dr. Alexander Brehm lehrt Biochemie und Molekularbiologie am Fachbereich Medizin der Philipps-Universität Marburg und leitet eine Arbeitsgruppe am dortigen Institut für Molekularbiologie und Tumorforschung. Neben seiner Arbeitsgruppe beteiligten sich zahlreiche weitere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus verschiedenen Fachbereichen der Philipps-Universität Marburg an der Veröffentlichung, außerdem das Genzentrum der Ludwig-Maximilians-Universität München sowie US-amerikanische Universitäten. Die Forschungsarbeiten wurden von dem transregionalen Sonderforschungsbereich TRR81 „Chromatinveränderungen in der Differenzierung und Malignität“ der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert, der von der Universität Marburg koordiniert wird.
Originalveröffentlichung: Jonathan Lenz & al.: Ush regulates hemocyte-specific gene expression, fatty acid metabolism and cell cycle progression and cooperates with dNuRD to orchestrate hematopoiesis, PLoS Genetics 2020, URL: https://journals.plos.org/plosgenetics/article?id=10.1371/journal.pgen.1009318
Weitere Informationen:
Ansprechpartner: Professor Dr. Alexander Brehm,
Institut für Molekularbiologie und Tumorforschung
Tel.: 06421 28- 66840
E-Mail: brehm@imt.uni-marburg.de
Jonathan Lenz
E-Mail: jonathan.lenz@imt.uni-marburg.de
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