Verbindung zwischen Darmflora und Multipler Sklerose entdeckt
Die Multiple Sklerose (MS) ist eine Autoimmunerkrankung, bei der sich das körpereigene Abwehrsystem gegen die Hüllen von Nervenzellen richtet und sie zusehends zersetzt. Weil diese Hüllen aus so genanntem Myelin – einer biologischen Membran aus Fetten und Eiweissen – bestehen, konzentrierte sich die Wissenschaft auf ihrer Suche nach den Zielantigenen der Krankheit bis anhin auf Myelinkomponenten.
Doch nun legen neue Resultate der Forschungsgruppe um Mireia Sospedra und Roland Martin vom Klinischen Forschungsschwerpunkt Multiple Sklerose der Universität Zürich nahe, dass es sich lohnt, den beschränkten Blickwinkel zu erweitern, um ein besseres Verständnis des Krankheitsgeschehens zu gewinnen.
Entzündungskaskade
Wie die Forschenden in der Zeitschrift Science Translational Medicine berichten, reagieren die so genannten T-Helfer-Zellen – die für die pathologischen Prozesse verantwortlichen Immunzellen – auf ein Eiweiss namens GDP-L-Fucose-Synthase. Dieses Enzym wird sowohl von menschlichen Zellen wie auch von Bakterien gebildet, die in der Darmflora von MS-Patientinnen und -Patienten gehäuft zu finden sind.
«Wir denken, dass die Immunzellen im Darm aktiviert werden, dann ins Hirn wandern und dort eine Entzündungskaskade anstossen, wenn sie der menschlichen Variante ihres Zielantigens begegnen», sagt Mireia Sospedra.
Für die genetisch definierte Untergruppe von MS-Patienten, die sie untersucht hätten, zeigten ihre Ergebnisse, dass bakterielle Darmbewohner eine viel grössere Rolle bei der Entstehung der Krankheit spielen könnten als bisher angenommen, fährt Sospedra fort. Sie hofft, die Erkenntnisse auch schon bald therapeutisch nutzen zu können – und plant, die immunaktiven Bestandteile der GDP-L-Fucose-Synthase in einem Ansatz zu testen, den die Forschenden schon seit mehreren Jahren verfolgen.
Das Immunsystem umerziehen
«Unser klinischer Ansatz richtet sich spezifisch gegen die pathologischen autoreaktiven Immunzellen», sagt Sospedra. Damit unterscheidet er sich radikal von den aktuell verfügbaren Behandlungen, die das gesamte Immunsystem drosseln.
Mit ihnen gelingt es zwar oft, die Entwicklung der Krankheit aufzuhalten, doch die Behandlungen führen gleichzeitig zu einer Schwächung des Abwehrsystems – und können deshalb mitunter schwerwiegende Nebenwirkungen hervorrufen.
In dem klinischen Versuch der Gruppe entnehmen die Forschenden den MS-Patienten Blut. Im Labor kleben sie die immunaktiven Eiweissfragmente auf die Oberfläche der roten Blutkörperchen.
Wenn sie danach das Blut wieder in den Körper einleiten, helfen die Fragmente, das Immunsystem der Kranken gewissermassen umzuerziehen und gegenüber ihrem eigenen Hirngewebe tolerant zu machen. Diese Therapie zielt auf eine effektive gerichtete Behandlung ohne schwerwiegende Nebenwirkungen.
Dr. Mireia Sospedra Ramos
Klinischer Forschungsschwerpunkt Multiple Sklerose, Universität Zürich
Tel. +41 44 255 39 05
Mireia.SospedraRamos@usz.ch
Originalpublikation:
Raquel Planas, Radleigh Santos, Paula Tomas-Ojer, Carolina Cruciani, Andreas Lutterotti, Wolfgang Faigle, Nicole Schaeren-Wiemers, Carmen Espejo, Herena Eixarch, Clemencia Pinilla, Roland Martin, Mireia Sospedra. GDP-L-Fucose Synthase As A Novel CD4+ T Cell-Specific Autoantigen in DRB3*02:02 Multiple Sclerosis Patients. Science Translational Medicine. 10 Oct 2018. DOI: 10.1126/scitranslmed.aat4301
https://www.media.uzh.ch/de/medienmitteilungen/2018/MS_Darmflora.html
Media Contact
Alle Nachrichten aus der Kategorie: Biowissenschaften Chemie
Der innovations-report bietet im Bereich der "Life Sciences" Berichte und Artikel über Anwendungen und wissenschaftliche Erkenntnisse der modernen Biologie, der Chemie und der Humanmedizin.
Unter anderem finden Sie Wissenswertes aus den Teilbereichen: Bakteriologie, Biochemie, Bionik, Bioinformatik, Biophysik, Biotechnologie, Genetik, Geobotanik, Humanbiologie, Meeresbiologie, Mikrobiologie, Molekularbiologie, Zellbiologie, Zoologie, Bioanorganische Chemie, Mikrochemie und Umweltchemie.
Neueste Beiträge
Spitzenforschung in der Bioprozesstechnik
Das IMC Krems University of Applied Sciences (IMC Krems) hat sich im Bereich Bioprocess Engineering (Bioprozess- oder Prozesstechnik) als Institution mit herausragender Expertise im Bereich Fermentationstechnologie etabliert. Unter der Leitung…
Datensammler am Meeresgrund
Neuer Messknoten vor Boknis Eck wurde heute installiert. In der Eckernförder Bucht, knapp zwei Kilometer vor der Küste, befindet sich eine der ältesten marinen Zeitserienstationen weltweit: Boknis Eck. Seit 1957…
Rotorblätter für Mega-Windkraftanlagen optimiert
Ein internationales Forschungsteam an der Fachhochschule (FH) Kiel hat die aerodynamischen Profile von Rotorblättern von Mega-Windkraftanlagen optimiert. Hierfür analysierte das Team den Übergangsbereich von Rotorblättern direkt an der Rotornabe, der…