Was zusammengehört, klebt zusammen
Wie sich eine einzelne Zelle zu einem komplexen Organismus entwickelt, das entschlüsselt die Entwicklungsbiologie. Doch eine verzwickte Frage bleibt: Wie entstehen stabile Muster im Körper? Jetzt wurde eine Antwort für das Neuralrohr des Zebrafischs gefunden. In diesem erzeugt die unterschiedliche Klebrigkeit der Zellen, gemeinsam mit Signalmolekülen, stabile Muster. Dies ist das Ergebnis einer im Fachjournal Science veröffentlichten Studie, die gemeinsam vom Labor von Carl-Philipp Heisenberg am Institute of Science and Technology Austria (IST Austria) und dem Labor von Sean Megason an der Harvard Medical School durchgeführt wurde.
Haftung, das fehlende Puzzlestück
Von der ventralen zur dorsalen Seite betrachtet ist das Neuralrohr, der Vorläufer des zentralen Nervensystems, in mehrere Bereiche organisiert, in denen Zellen unterschiedliche Identitäten und Schicksale habe. Eine Hypothese dafür, wie dieses Muster entsteht, ist das so genannte French-Flag-Modell. Gemäß dieser Hypothese bildet ein Signalmolekül einen Gradienten über ein Feld von Zellen.
Anhand der Menge des Signalmoleküls, die eine Zelle erhält, „kennt“ die Zelle ihre Position innerhalb des Feldes und folglich ihre Identität. Aber während der Entwicklung bewegen sich die Zellen und stören so die strikte Aufteilung in Domänen. Um die Domänen aufrechtzuerhalten, ist also ein zusätzlicher Mechanismus erforderlich.
Durch eine Reihe von genetischen, entwicklungsbiologischen und biophysikalischen Experimenten konnten die Gruppen von Carl-Philipp Heisenberg und Sean Megason, wobei Erstautor Tony Tsai in beiden Labors Experimente durchführte, das Rätsel lösen: Adhäsion oder die „Klebrigkeit“ von Zellen ist der Faktor, der Zellen derselben Domäne zusammen und Zellen verschiedener Domänen auseinander hält.
Unterschiede in der Bindung sortieren die Zellen
Die Heisenberg Gruppe am IST Austria hat mehrere biophysikalische Werkzeuge entwickelt, mit denen die Forscher testen können, wie stark Zellen aneinander haften – zum Beispiel indem sie messen, wie viel Kraft nötig ist, um Zellen auseinander zu ziehen. Als sie diese Werkzeuge bei Zellen aus dem Neuralrohr anwendeten, stellten die Forscher fest, dass Zellen, die zur selben Domäne gehören, fest aneinanderhaften. Zellen aus verschiedenen Domänen können dagegen leichter voneinander getrennt werden. „Dieser Unterschied in der Bindungskraft kann Sortierprozesse auslösen“, erklärt Heisenberg.
Dieser Unterschied in der „Klebrigkeit“ korrespondiert mit einer unterschiedlichen Expression von Adhäsionsproteinen in den Domänen, fanden die Forscher weiter heraus. Die verschiedenen Zelltypen exprimieren unterschiedliche Klassen von Cadherinen: N-Cadherin, Cadherin 11 und Protocadherin 19. Wenn die Forscher in diese Expression eingreifen und die Zellen dazu bringen, mehr oder weniger von einem bestimmten Cadherin zu exprimieren, gehen die bevorzugte Adhäsion und die korrekte Zellsortierung verloren.
„Unsere Experimente zeigen, dass ein auf Adhäsion basierendes Sortierverfahren zusammen mit einem Gradienten des Signalmoleküls Sonic Hedgehog zu einer präzisen Sortierung der Zellen in Domänen nach ihrem Zelltyp führt“, schließt Heisenberg. „Durch die Kombination von Experimenten aus Biophysik, Genetik und Entwicklungsbiologie konnten wir diese bisher offene Frage erfolgreich beantworten.“
Originalpublikation:
2020. Tony Y-C. Tsai, Mateusz Sikora, Peng Xia, Tugba Colak-Champollion, Holger Knaut, Carl-Philipp Heisenberg, Sean G. Megason. An adhesion code ensures robust pattern formation during tissue morphogenesis. Science. DOI: 10.1126/science.aba6637
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