Wer die Fresszelle antreibt
Wenn die Chemie nicht stimmt, bleibt die Wunde unversorgt: Das Enzym CK1α beeinflusst die Wanderung von Riesenfresszellen, die an der Immunabwehr des Körpers beteiligt sind. Das hat ein Team aus der Hochschulmedizin in Marburg und Münster herausgefunden, indem es bei Fruchtfliegen untersuchte, wie die molekulare Steuerung der Zellbewegung vonstattengeht. Die Forschungsgruppe um den Physiologieprofessor Dr. Sven Bogdan von der Philipps-Universität Marburg berichtet im Fachblatt „Journal of Cell Science“ über ihre Ergebnisse.
Riesenfresszellen, genannt Makrophagen, gehören zum körpereigenen Immunsystem. Sie bilden Zellfortsätze, sogenannte Lamellipodien, mit denen sie sich Fremdkörper oder Eindringlinge einverleiben. Diese Zellausbuchtungen dienen auch der Fortbewegung. „Makrophagen legen mit ihren Zellfortsätzen vergleichsweise lange Strecken zurück“, erklärt Sven Bogdan, der die Studie leitete.
Makrophagen gelten als die ältesten Bestandteile des angeborenen Immunsystems, die nicht nur beim Menschen vorkommen, sondern zum Beispiel auch bei der Fruchtfliege Drosophila melanogaster, einem beliebten Versuchsobjekt der Zellforschung. Daher suchte das Team um Bogdan bei Fruchtfliegen nach Molekülen, die an der Bildung von Lamellipodien beteiligt sind und dadurch die Bewegung der Makrophagen steuern. Die Gruppe fand heraus, dass das Enzym CK1α die Form und Beweglichkeit von Makrophagen beeinflusst, indem es Steuermoleküle chemisch verändert und dadurch reguliert.
„Verfügt die Fliege nicht über funktionsfähige CK1α-Moleküle, so nehmen die Makrophagen eine sternähnliche Form an“, berichtet Bogdans Doktorand Alexander Hirschhäuser, der Erstautor des Fachaufsatzes; „außerdem bewegen sich die Zellen anders als sonst.“
Normalerweise wandern Makrophagen gezielt zu einer Wunde. Wenn aber CK1α fehlt, können sich diese Fresszellen nicht zur Wunde bewegen, weil sich zu wenige Lamellipodien bilden. „Sowohl die Anzahl der Makrophagen an der Wunde als auch die Geschwindigkeit ihrer Fortbewegung sind deutlich herabgesetzt“, sagt die dritte Koautorin Marianne van Cann, die ihre Masterarbeit bei Bogdan angefertigt hat. Die Anzahl von Riesenfresszellen sinkt auf etwa ein Siebtel, die Geschwindigkeit der Makrophagen ist etwa um ein Viertel geringer, als wenn CK1α in den Zellen vorliegt.
„Wir zeigen erstmals an lebenden Makrophagen, dass die Steuerung ihrer Bewegung vom Enzym CK1α abhängig ist, indem dieses den Steuerungskomplex vor vorzeitigem Abbau schützt“, fasst Bogdan zusammen.
Professor Dr. Sven Bogdan lehrt Physiologie und Pathophysiologie am Fachbereich Medizin der Philipps-Universität. Der Exzellenzcluster „Cells in Motion“ an der Universität Münster und die Deutsche Forschungsgemeinschaft förderten die wissenschaftliche Arbeit finanziell.
Originalveröffentlichung: Alexander Hirschhäuser, Marianne van Cann & Sven Bogdan: CK1α protects WAVE from degradation to regulate cell shape and motility in immune response, Journal of Cell Science 2021, DOI: https://doi.org/10.1242/jcs.258891
Weitere Informationen:
Ansprechpartner: Professor Dr. Sven Bogdan,
Abteilung Molekulare Zellphysiologie
Institut für Physiologie und Pathophysiologie
Tel.: 06421 28-26 816
E-Mail: sven.bogdan@staff.uni-marburg.de
Homepage: http://www.uni-marburg.de/fb20/physiologie/ags/bogdan
Video: Makrophagen im unveränderten Naturzustand – dem sogenannten Wildtyp – wandern gezielt zur Bildmitte, um dort die Reste einer zerstörten Zelle zu fressen. Der Film wurde in einer lebenden Fliege aufgenommen.
Download: http://www.uni-marburg.de/de/aktuelles/news/2021/wer-die-fresszelle-antreibt
Media Contact
Alle Nachrichten aus der Kategorie: Biowissenschaften Chemie
Der innovations-report bietet im Bereich der "Life Sciences" Berichte und Artikel über Anwendungen und wissenschaftliche Erkenntnisse der modernen Biologie, der Chemie und der Humanmedizin.
Unter anderem finden Sie Wissenswertes aus den Teilbereichen: Bakteriologie, Biochemie, Bionik, Bioinformatik, Biophysik, Biotechnologie, Genetik, Geobotanik, Humanbiologie, Meeresbiologie, Mikrobiologie, Molekularbiologie, Zellbiologie, Zoologie, Bioanorganische Chemie, Mikrochemie und Umweltchemie.
Neueste Beiträge
Größte bisher bekannte magnetische Anisotropie eines Moleküls gemessen
An der Berliner Synchrotronstrahlungsquelle BESSY II ist es gelungen, die größte magnetische Anisotropie eines einzelnen Moleküls zu bestimmen, die jemals experimentell gemessen wurde. Je größer diese Anisotropie ist, desto besser…
Tsunami-Frühwarnsystem im Indischen Ozean
20 Jahre nach der Tsunami-Katastrophe… Dank des unter Federführung des GFZ von 2005 bis 2008 entwickelten Frühwarnsystems GITEWS ist heute nicht nur der Indische Ozean besser auf solche Naturgefahren vorbereitet….
Resistente Bakterien in der Ostsee
Greifswalder Publikation in npj Clean Water. Ein Forschungsteam des Helmholtz-Instituts für One Health (HIOH) hat die Verbreitung und Eigenschaften von antibiotikaresistenten Bakterien in der Ostsee untersucht. Die Ergebnisse ihrer Arbeit…