Wie ein Elfmeterschießen im Gehirn entschieden wird
Elfmeterschießen bei der Fußballweltmeisterschaft. Alle Augen sind auf den besten Stürmer der Mannschaft gerichtet. Er soll den entscheidenden Schuss vollbringen, möglichst am Torwart vorbei. Der Stürmer muss sich entscheiden, ob er in die rechte oder linke Torecke schießt.
Im Gehirn plant er dafür bereits beide Handlungsoptionen, noch bevor er eine Entscheidung getroffen hat. Zeigt der Torwart durch seine Haltung an, dass er im entscheidenden Moment nach rechts springen wird, so wird der Stürmer bei der Bewegungsplanung im Gehirn eine vorläufige Präferenz für die linke Ecke entwickeln.
Doch wie wirkt sich diese Tendenz auf die Entscheidung aus, wenn der Torwart kurz vorm Schuss seine Haltung ändert? Wird der Stürmer trotzdem nach links schießen? Und wie wird dieser Prozess auf der Ebene der Nervenzellen gesteuert?
Neurowissenschaftler am Deutschen Primatenzentrum (DPZ) – Leibniz-Institut für Primatenforschung in Göttingen haben diese Fragen in einer Studie mit Rhesusaffen untersucht. Sie konnten zeigen, dass für den Entscheidungsprozess zwei verschiedene Nervenzelltypen im gleichen Hirnareal zuständig sind.
Eine vorläufige Tendenz für einen Handlungsplan beeinflusst dabei die schlussendliche Entscheidung und die Gewichtung beider Optionen ist schon vorher auf neuronaler Ebene sichtbar. Der Stürmer wird also wahrscheinlich auch dann nach links schießen, wenn der Torwart seine Haltung plötzlich ändert – und der Elfmeter dadurch eventuell misslingen (eLife).
Die Wissenschaftler haben zwei Rhesusaffen darauf trainiert, eine Aufgabe am Bildschirm durchzuführen. Gleichzeitig wurde die Aktivität der Nervenzellen in ihrem Gehirn gemessen. Auf dem Touchscreen erschienen kreisrunde Signale, die die Affen berühren sollten. Die Kreise zeigten sich rechts oder links, oben oder unten auf dem Bildschirm.
Der Ort, wo sie erschienen, war zufällig, die Affen erhielten aber vorher in Form von kleinen Pfeilen einen Hinweis, wo das nächste Signal erscheinen könnte. Zeigten sich zum Beispiel gleichzeitig ein großer violetter Pfeil, der nach links und ein kleiner blauer Pfeil, der nach rechts wies, so war die Wahrscheinlichkeit größer, dass das Signal auf der linken Seite erschien.
Diese Erwartung wurde aber in unregelmäßigen Abständen durchbrochen, in dem das Signal genau gegenüber von der vorher angezeigten Richtung auftauchte oder beide Signale gleichzeitig rechts und links erschienen, die dann frei angewählt werden konnten.
Die Forscher beobachteten, dass die Affen eine Tendenz entsprechend der vorher gezeigten Richtungspfeile entwickelten. Erschien das Signal auf der erwarteten Seite, lösten sie die Aufgabe richtig und schnell.
Zeigte sich das Signal wider Erwarten auf der gegenüberliegenden Seite, verlängerten sich die Reaktionszeiten und die Affen machten mehr Fehler. Hatten die Tiere die freie Wahl, zogen sie in den meisten Fällen diejenigen Signale vor, die auf der vorher angezeigten Seite erschienen, auch wenn beide Möglichkeiten objektiv betrachtet gleichwertig waren.
„Eine vorläufige Handlungstendenz beeinflusst nachfolgende Entscheidungen, auch wenn sich die Tatsachen zwischenzeitlich ändern“, sagt Lalitta Suriya-Arunroj, Erstautorin der Studie. „Auch wenn die Affen die freie Wahl hatten, entschieden sie sich für ihren vorläufig gefassten Handlungsplan. Ganz ähnlich ergeht es dem Stürmer vorm Tor. Er sieht, dass der Torwart nach rechts springen will und plant zunächst die linke Ecke. Auch wenn der Torwart im letzten Moment wieder eine neutrale Haltung einnimmt, wird er deshalb in den meisten Fällen diese Schussrichtung beibehalten und der Elfmeter wird möglicherweise abgefangen.“
Auf der Ebene der Nervenzellen konnten die Wissenschaftler zudem eine neue Entdeckung machen: Die Entscheidungsfindung und die Gewichtung zwischen mehreren Handlungsalternativen werden auf neuronaler Ebene als dualer Prozess abgebildet. Dafür zuständig sind zwei verschiedene Arten von Nervenzellen. Die erste Gruppe ist für die Kodierung des bevorzugten Ziels zuständig.
So lange keine Tendenz besteht, sind sie nicht aktiv, sie regen sich erst, wenn eine Präferenz für eine Handlungsoption entsteht. Die Zellen werden dann umso aktiver, je stärker die Tendenz für diese Option wird. Die zweite Gruppe von Nervenzellen zeigt von Beginn an alle gegebenen Alternativen an.
Entschieden wird danach, welche der Handlungsoptionen nicht in Frage kommt. Die Nervenzellen, die für die nicht präferierte Möglichkeit kodieren, werden umso stärker herunterreguliert, je weniger die Option in Betracht kommt. Nach dem Ausschlussprinzip bleibt schließlich diejenige Option übrig, die die beste Wahl darstellt.
„Dass für den Entscheidungsfindungsprozess zwei verschiedene Nervenzellen im gleichen Hirnareal zuständig sind, ist eine neue Erkenntnis dieser Studie“, sagt Alexander Gail, Leiter der Forschungsgruppe Sensomotorik am DPZ und ebenfalls Autor der Studie.
„Die Planung wird also im Gehirn durch einen dualen Vorgang gesteuert, der sowohl starke Handlungstendenzen widerspiegelt als auch alle anderen Möglichkeiten abbildet, die durch das Ausschlussprinzip nacheinander eliminiert werden können. Dadurch ermöglicht uns das Gehirn ausbalancierte und flexible Entscheidungen. Der Stürmer vorm Tor ist somit trotz seiner ersten Präferenz in der Lage, die andere Torecke als Option nicht sofort auszuschließen, kann im letzten Moment die Schussrichtung wechseln und so möglicherweise doch noch einen Treffer landen.“
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Suriya-Arunroj L, Gail A (2019): Complementary encoding of priors in monkey frontoparietal network supports a dual process of decision-making. eLife 8:e47581, doi: 10.7554/eLife.47581
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