Wie eine Schmetterlingsinvasion die genetische Vielfalt minimiert
Der Karstweissling war bis vor einigen Jahren nördlich der Alpen kaum anzutreffen. Dann trat er eine europaweite Invasion an. Dabei hat sich das Insekt nicht nur massenhaft ausgebreitet – gleichzeitig ist die genetische Vielfalt innerhalb der Art rapide zurückgegangen.
Bis der Zoologe Daniel Berner bemerkte, dass eine eigentlich ortsfremde Schmetterlingsart in seinem Garten heimisch ist, dauerte es eine Weile. Aber plötzlich sah er ihn überall: Pieris mannii, auch bekannt als Karstweissling. Etwa vier Zentimeter Flügelspannweite, weisse Flügel mit grossen schwarzen Flecken.
Eigentlich gab es in der Schweiz bis vor wenigen Jahren nur einige kleine lokale Populationen dieser hauptsächlich mediterranen Art im Wallis und im Tessin. Doch irgendwann um das Jahr 2005 begann der Schmetterling seine Reise nach Norden und Osten. Mittlerweile wurde das Tier an der Nordsee und in Tschechien nachgewiesen.
Vergleich mit Museumsobjekten
Mit seiner Ausbreitung ging allerdings ein grosser genetischer Verlust einher. «Wir konnten nachweisen, dass der Karstweissling auf seinem Invasionszug lokale Populationen seiner eigenen Art genetisch vereinheitlicht hat», erzählt PD Dr. Daniel Berner von der Universität Basel. Gemeinsam mit Forschenden der Universität Greifswald und dem Senckenberg Deutschen Entomologischen Institut Müncheberg hat er im Fachjournal «Current Biology» eine Studie veröffentlicht, die untersucht, wie sich die Ausbreitung des Schmetterlings auf die innerartliche Vielfalt ausgewirkt hat.
Dabei verglichen die Forschenden das Erbgut frisch eingefangener Tiere mit jenem von Museumsobjekten, die deutlich älter sind, also vor Beginn der Invasion eingefangen und konserviert wurden. So konnten sie nachweisen, dass die genetische Zusammensetzung der untersuchten lokalen Populationen sich stark verändert hat: ein grosser Teil des ursprünglichen Erbguts ist jetzt ersetzt durch dasjenige der Population, die sich ausgebreitet hat.
«Ohne den Vergleich mit den Museumsobjekten wäre uns diese genetische Veränderung nicht aufgefallen», so Berner. Die Forschenden konnten für ihre Untersuchungen Tiere aus der Sammlung des Naturhistorischen Museums Bern sequenzieren und so die Schmetterlinge genetisch charakterisieren. Ein grosses Glück war, dass der Schmetterlingskundler Heiner Ziegler ausgerechnet vom Karstweissling über Jahrzehnte eine umfangreiche Belegsammlung zusammengetragen hatte, die hier genutzt werden konnte.
Lieblingspflanzen in Gärten
Bei seiner schnellen Ausbreitung kommt dem Schmetterling die Urbanisierung entgegen. Eigentlich fliegt der Karstweissling nicht gern weite Wege. Stattdessen flattert er während der rund drei Wochen seines Lebens in bescheidenem Radius in seinem Geburtsort umher, in dem auch die Nahrungspflanzen der Raupen gedeihen – Rucola und vor allem die Schleifenblume. Gerade letzterer ist in Gärten im Siedlungsgebiet weit verbreitet. Die fortschreitende Ausdehnung des Siedlungsraumes schuf somit für den Karstweissling die Gelegenheit, sich weit auszubreiten.
Hinzu kommt, dass sich der Karstweissling nicht nur in einer, sondern in fünf bis sechs Generation pro Jahr fortpflanzt. «So schafft es diese Art, im neu besiedelten Gebiet rasch individuenreiche Populationen aufzubauen, was die Besiedlung von Neuland über grosse Strecken begünstigt», erklärt Daniel Berner. Es sei sehr wahrscheinlich, dass dieser Schmetterling sich noch weiter ausbreitet, sofern seine Nahrungspflanzen verfügbar sind. «Die Schmetterlingsforscher in England warten jedenfalls nur darauf, den ersten zu sichten.».
Ausbreitung und genetische Vermischung – Verlust oder Gewinn?
Aus der Sicht des Naturschutzes ist die Ausbreitung des Karstweisslings zwiespältig. Da die Art im neu besiedelten Raum weitgehend vom Menschen gestaltete Lebensräume nutzt, ist Konkurrenz mit einheimischen Schmetterlingen nicht zu erwarten. Ausserdem ist diese Schmetterlingsart aktuell dank der Ausbreitung insgesamt viel individuenreicher, was generell ihr Aussterbe-Risiko vermindert. Diesen positiven Aspekten steht allerdings das Verschwinden von über Jahrtausende entstandener genetischer Vielfalt gegenüber: «Es gehört zwar zum Schicksal von Lebewesen, dass lokale Gruppen aussterben können. Besonders an der Situation des Karstweisslings ist aber, dass der Verlust an ursprünglicher Populationsvielfalt mit der Ausweitung des Siedlungsraumes einhergeht, und somit menschgemacht ist.»
Weshalb gerade der Karstweissling zu einer grossen Expansion aufgebrochen ist und wo sie genau begann, wissen die Forschenden noch nicht. «Auf der Seite des Schmetterlings ist vermutlich nichts fundamentales Neues passiert: Wir finden soweit keine Anzeichen grosser genetischer Veränderung in der expansiven Population. Und der Klimawandel scheint in diesem Fall auch keine Schlüsselrolle zu spielen», so Berner. Diesen Fragen wollen die Forschenden weiter nachgehen. Eine Vermutung für den Ausgangsort haben sie allerdings schon: Die Invasion könnte im Osten Frankreichs begonnen haben.
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Daniel Berner daniel.berner@unibas.ch
Originalpublikation:
Media Contact
Alle Nachrichten aus der Kategorie: Biowissenschaften Chemie
Der innovations-report bietet im Bereich der "Life Sciences" Berichte und Artikel über Anwendungen und wissenschaftliche Erkenntnisse der modernen Biologie, der Chemie und der Humanmedizin.
Unter anderem finden Sie Wissenswertes aus den Teilbereichen: Bakteriologie, Biochemie, Bionik, Bioinformatik, Biophysik, Biotechnologie, Genetik, Geobotanik, Humanbiologie, Meeresbiologie, Mikrobiologie, Molekularbiologie, Zellbiologie, Zoologie, Bioanorganische Chemie, Mikrochemie und Umweltchemie.
Neueste Beiträge
Größte bisher bekannte magnetische Anisotropie eines Moleküls gemessen
An der Berliner Synchrotronstrahlungsquelle BESSY II ist es gelungen, die größte magnetische Anisotropie eines einzelnen Moleküls zu bestimmen, die jemals experimentell gemessen wurde. Je größer diese Anisotropie ist, desto besser…
Tsunami-Frühwarnsystem im Indischen Ozean
20 Jahre nach der Tsunami-Katastrophe… Dank des unter Federführung des GFZ von 2005 bis 2008 entwickelten Frühwarnsystems GITEWS ist heute nicht nur der Indische Ozean besser auf solche Naturgefahren vorbereitet….
Resistente Bakterien in der Ostsee
Greifswalder Publikation in npj Clean Water. Ein Forschungsteam des Helmholtz-Instituts für One Health (HIOH) hat die Verbreitung und Eigenschaften von antibiotikaresistenten Bakterien in der Ostsee untersucht. Die Ergebnisse ihrer Arbeit…