Wie molekulare Motoren das Spleißosom starten

Die molekularen Motoren PRP2 (braun) und Aquarius (magenta) versetzen das Spleißosom vom inaktiven (Bact) in seinen aktiven Zustand (C complex), indem sie mit dem Bereich SF3B1 (grün), wechselwirken und ihn umstrukturieren (BAQR).
(c) Jana Schmitzová/Constantin Cretu / Max-Planck-Institut für Multidisziplinäre Naturwissenschaften / Institute for Cancer Research

Das Spleißosom ist die molekulare Maschine in unseren Zellen, die die Bauanleitungen für Proteine in eine lesbare Form bringt.

Forschende am Göttinger Max-Planck-Institut (MPI) für Multidisziplinäre Naturwissenschaften und am Institute for Cancer Research (ICR) in London (Großbritannien) haben jetzt den entscheidenden Schritt aufgedeckt, der das Spleißosom anschaltet. Wie sie zeigen konnten, wird es durch zwei molekulare Motoren aktiviert. Die Erkenntnisse aus der Studie könnten neue Ansätze liefern, um potenzielle Krebsmedikamente zu verbessern, die auf den Spleiß-Prozess abzielen.

Damit eine Zelle Proteine produzieren kann, muss sie zunächst die in unseren Genen kodierten Bauanleitungen in eine lesbare Form bringen. Dafür wird das Gen in eine Rohfassung der Boten-RNA (mRNA) übersetzt. Diese prä-mRNA enthält die Bauanleitung allerdings noch nicht an einem Stück. In einem komplizierten Prozess muss das Spleißosom nicht benötigte Abschnitte herausschneiden und die informationstragenden Abschnitte, die Exons, neu zusammensetzen. Dieser Vorgang wird Spleißen genannt. Spleißen hat einen entscheidenden Vorteil: Bei Bedarf können die Exons unterschiedlich zusammengesetzt werden. Beim Menschen liefern so etwa 20.000 Gene die Bauanleitungen für mehr als 100.000 verschiedene Proteine.

„Das Spleißosom gilt als komplexeste und dynamischste molekulare Maschine in unseren Zellen. Es besteht unter anderem aus über 150 Proteinen“, erklärt Vladimir Pena, der die Forschungsarbeiten zunächst als Gruppenleiter am MPI für Multidisziplinäre Naturwissenschaften und dann als Professor am ICR leitete. „Beim Spleißen durchläuft das Spleißosom zahlreiche Schritte, in denen es seine Struktur und Zusammensetzung verändert. Diese Schritte werden durch molekulare Motoren, die Helikasen, angetrieben. Der komplizierte Aufbau des Spleißosoms macht es sehr schwierig, die Funktion der Maschine im Detail zu untersuchen und zu verstehen.“

Mitten ins Herz des Spleißosoms

Mithilfe der Kryo-Elektronenmikroskopie und biochemischer Methoden konnte das Team um Pena das Spleißosom in fast atomarer Auflösung mitten im Anschaltprozess „einfangen“. Im Fokus dieses Vorgangs steht eine Komponente des Spleißosoms, SF3B1 genannt, die für die Aktivierung der Maschine unerlässlich ist.

„Wir haben entdeckt, dass das Spleißosom in Menschen nur mithilfe von zwei Helikasen, PRP2 und Aquarius, gestartet werden kann, indem sie SF3B1 verändern“, so Pena. „Helikasen sind eine besondere Art von Proteinen. Sie wandeln die in einem ATP – ein chemisches Molekül, das in lebenden Zellen Energie bereitstellt – gespeicherte chemische Energie in mechanische Arbeit um. Sie sind also autonome Motoren, die von der ‚ATP-Batterie‘ angetrieben werden“, erläutert der Wissenschaftler.

Wie die Forschenden weiterhin zeigen konnten, wechselwirkt PRP2 mit SF3B1 auf eine Art und Weise, wie sie nie zuvor bei Helikasen beobachtet wurde. Constantin Cretu, einer der Erstautor*innen der Studie, beschreibt die Besonderheit: „Anstatt wie andere Proteine an die Außenseite des Spleißosoms zu binden, wandert PRP2 entlang des zu bearbeitenden RNA-Strangs bis zum ‚Herzen‘ des Spleißosoms. Dabei ordnet es dessen Struktur und Zusammensetzung um und versetzt die molekulare Maschine in einen aktiven Zustand.“ Die Wissenschaftler*innen gehen davon aus, dass auch andere Helikasen auf diese neue und unerwartete Weise arbeiten könnten. Im Gegensatz zu PRP2 verrichtet Aquarius seine Arbeit von der Oberfläche des Spleißosoms.

„Mit unseren Experimenten haben wir einen entscheidenden neuen Zwischenschritt im Zyklus des Spleißosoms sichtbar gemacht, der bisher noch nicht beschrieben wurde“, sagt Jana Schmitzová, ebenfalls Erstautorin der Publikation. „Dadurch haben wir wichtige Neuordnungen der Proteine aufgedeckt: Einige werden aussortiert und ersetzt, andere ändern ihre Position. Es ist faszinierend zu sehen, wie alle Proteinakteure auf solch orchestrierte Weise miteinander wechselwirken.“

Fehler beim Spleißen triggern Krebs

SF3B1 ist der Bestandteil des Spleißosoms, der bei einigen Krebserkrankungen wie Leukämie, Aderhautmelanom, Bauchspeicheldrüsen- und Prostatakrebs am häufigsten Mutationen aufweist. Diese Komponente des Spleißosoms ist daher ein wichtiges Ziel für Antitumormedikamente. „Wir hoffen, dass unsere Erkenntnisse neue Forschungsarbeiten anregen, die die Ursachen der Krebsentstehung weiter aufklären. Diese können dazu beitragen, Krebsmedikamente zu entwickeln, die direkt auf den Spleißvorgang abzielen“, so Pena.

Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Prof. Dr. Vladimir Pena
Leiter der Gruppe Mechanisms and Regulation of pre-mRNA Splicing
Institute for Cancer Research, London (Großbritannien)
Tel: +44 20 7153-5086
E-mail: vlad.pena@icr.ac.uk

Dr. Jana Schmitzová
Max-Planck-Institut für Multidisziplinäre Naturwissenschaften
Tel: +49 551 201-2814
E-Mail: jschmit1@mpinat.mpg.de

Originalpublikation:

Schmitzová, J., Cretu, C., Dienemann, C., Urlaub, H., & Pena, V.: Structural basis of catalytic activation in human splicing. Nature 617, 1-9 (2023).
https://doi.org/10.1038/s41586-023-06049-w

Weitere Informationen:

https://www.mpinat.mpg.de/4467566/pr_2309 – Original-Pressemitteilung
https://www.icr.ac.uk/our-research/research-divisions/division-of-structural-bio… – Webseite der Gruppe Mechanisms and Regulation of pre-mRNA Splicing, Institute for Cancer Research, London (Großbritannien)

Media Contact

Dr. Carmen Rotte Kommunikation & Medien
Max-Planck-Institut für Multidisziplinäre Naturwissenschaften

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Biowissenschaften Chemie

Der innovations-report bietet im Bereich der "Life Sciences" Berichte und Artikel über Anwendungen und wissenschaftliche Erkenntnisse der modernen Biologie, der Chemie und der Humanmedizin.

Unter anderem finden Sie Wissenswertes aus den Teilbereichen: Bakteriologie, Biochemie, Bionik, Bioinformatik, Biophysik, Biotechnologie, Genetik, Geobotanik, Humanbiologie, Meeresbiologie, Mikrobiologie, Molekularbiologie, Zellbiologie, Zoologie, Bioanorganische Chemie, Mikrochemie und Umweltchemie.

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

Größte bisher bekannte magnetische Anisotropie eines Moleküls gemessen

An der Berliner Synchrotronstrahlungsquelle BESSY II ist es gelungen, die größte magnetische Anisotropie eines einzelnen Moleküls zu bestimmen, die jemals experimentell gemessen wurde. Je größer diese Anisotropie ist, desto besser…

Tsunami-Frühwarnsystem im Indischen Ozean

20 Jahre nach der Tsunami-Katastrophe… Dank des unter Federführung des GFZ von 2005 bis 2008 entwickelten Frühwarnsystems GITEWS ist heute nicht nur der Indische Ozean besser auf solche Naturgefahren vorbereitet….

Resistente Bakterien in der Ostsee

Greifswalder Publikation in npj Clean Water. Ein Forschungsteam des Helmholtz-Instituts für One Health (HIOH) hat die Verbreitung und Eigenschaften von antibiotikaresistenten Bakterien in der Ostsee untersucht. Die Ergebnisse ihrer Arbeit…