Wie sich die Körperabwehr selbst in Schach hält

Mikroskopische Analyse eines 16µm dicken Schnitts durch ein Gewebe, in dem der Immunbotenstoff Interferon gamma freigesetzt wurde: Weiß sind räumlich die Bereiche im Blutgefäß zu sehen, in denen Interferon und Heparansulfat aneinander binden.
(c) AG Blankenstein / Max Delbrück Center

Immunbotenstoffe sollen nur da wirken, wo sie gebraucht werden. Ein Team um Thomas Blankenstein stellt jetzt in „Nature Immunology“ einen Mechanismus vor, über den das Bindegewebe die Moleküle wie mit einem Schwamm aufsaugt. Eine lebensbedrohliche Verbreitung im Körper wird so offenbar verhindert.

Wenn die T-Zellen des Immunsystems miteinander kommunizieren, tun sie dies mithilfe von Zytokinen. Ein wichtiger Vertreter dieser Botenstoffe ist das Interferon-gamma. Das Protein aktiviert die Körperabwehr, um insbesondere gegen Viren und Bakterien vorzugehen. Damit es dabei nicht zu überschießenden Immunreaktionen kommt, hat der Körper im Laufe der Evolution verschiedene Strategien entwickelt. Eine besonders wichtige Taktik hat jetzt ein deutsch-französisches Team um Professor Thomas Blankenstein aufgedeckt, den Leiter der Arbeitsgruppe „Molekulare Immunologie und Gentherapie“ am Berliner Max Delbrück Center.

Mit nur vier Aminosäuren

Wie die Forschenden im Fachblatt „Nature Immunology“ berichten, kann sich Interferon-gamma über vier Aminosäuren an die extrazelluläre Matrix des Bindegewebes heften, die als Geflecht zwischen den einzelnen Zellen liegt und so den Kontakt zwischen ihnen vermittelt. Dieses Anheften verhindere, dass sich der Botenstoff im gesamten Körper ausbreite und dort gefährliche Immunreaktionen hervorrufe, sagt die Erstautorin der Publikation, Dr. Josephine Kemna. Fehlen die vier Aminosäuren, komme es zu schweren Störungen der Körperabwehr. Kemna forschte zwischen 2017 und 2022 im Team von Blankenstein und wechselte im vergangenen Jahr zu dem Berliner Biotech-Unternehmen T-knife Therapeutics, einer Ausgründung aus Blankensteins Arbeitsgruppe. Unterstützt wurde die Studie, mit der Kemna promoviert hat und an der auch die Charité – Universitätsmedizin Berlin maßgeblich beteiligt war, von der Wilhelm-Sander-Stiftung.

Angestoßen hatte die Arbeit eine Beobachtung, die Blankenstein und sein Team vor einigen Jahren gemacht hatten. „Wir hatten festgestellt, dass der molekulare Aufbau des Botenstoffs Interferon-gamma bei verschiedenen Spezies recht unterschiedlich ist“, sagt Dr. Thomas Kammertöns aus der Arbeitsgruppe von Blankenstein, der gemeinsam mit ihm die Doktorarbeit von Kemna betreut hat und ebenfalls Letztautor der Studie ist. „Ein kurzer Abschnitt aus vier Aminosäuren, das KRKR-Motiv, blieb jedoch über die gesamte Evolution der Wirbeltiere, also über 450 Millionen Jahre hinweg, in allen 50 von uns untersuchten Arten nahezu unverändert“, berichtet Kammertöns, der auch am Institut für Immunologie der Charité forscht. Das Team stellte daraufhin die Hypothese auf, dass das KRKR-Motiv für die Funktion des Zytokins eine wichtige Rolle spielen müsse ¬– und beschloss, diese im Detail herauszufinden.

Im Blut schnell sehr giftig

Dazu verwendeten die Forschenden zunächst von Kammertöns entwickelte Mausmodelle, in denen sie die Konzentration des gebildeten Botenstoffs regulieren konnten. „In diesen Modellen sahen wir bereits, dass Interferon-gamma recht schnell sehr giftig wird und die Tiere bei größeren Mengen im Blut innerhalb weniger Tage erkranken“, erklärt Kammertöns. Darüber hinaus konnten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mittels biochemischer Analysen beobachten, dass sich der Botenstoff nach der Sekretion durch die T-Zellen mit den vier positiv geladenen Aminosäuren an die negativ geladene extrazelluläre Matrix – und zwar an das Molekül Heparansulfat – bindet.

„Auf diese Weise wird Interferon-gamma lokal zurückgehalten und seine Ausbreitung im Körper verhindert“, sagt Kammertöns. Da sich die Struktur des Heparansulfats allerdings je nach Gewebe, Zelltyp oder sogar Zellzustand unterscheide, könne auch die Fähigkeit des Bindegewebes, Interferon-gamma zu binden, entsprechend variieren, ergänzt Professor Hugues Lortat-Jacob von der Universität Grenoble, der an der Studie ebenfalls beteiligt war.

In einem nächsten Schritt entwickelte die Gruppe das Modell so weiter, dass sie gezielt Interferon-Moleküle ohne KRKR-Motiv herstellte. Dazu hatte ein Team um Dr. Ralf Kühn, den Leiter der Arbeitsgruppe „Genom-Editierung & Krankheitsmodelle“ am Max Delbrück Center, bei Mäusen die vier Aminosäuren mithilfe der Genschere CRISPR-Cas9 aus dem Zytokin entfernt. „Lange Zeit hatte man geglaubt, dass der Botenstoff ohne diese Bindungsstelle gar nicht mehr funktionell ist“, sagt Kammertöns. „Dass dies nicht stimmt, mussten wir also zunächst beweisen.“ Tatsächlich konnte das Team zeigen, dass sich Interferon-gamma auch ohne das KRKR-Motiv wie gewohnt an seinen Rezeptor an der Oberfläche von Zellen heftet und damit seinen üblichen Aufgaben bei der Immunantwort nachkommt.

Hochpotente Abwehrmechanismen

Gewöhnlich werden Virusinfektionen so nach einiger Zeit bekämpft und überwunden. In Mäusen, denen die vier Aminosäuren im Interferon-gamma fehlten, war dies jedoch nicht der Fall. „Immunantworten, bei denen es nur zu sehr kurzen Entzündungsreaktionen kommt, wurden vom Immunsystem der Tiere noch reguliert“, berichtet Kammertöns. Die Menge an Interferon-gamma im Blut sei zwar zunächst angestiegen, recht schnell aber auch wieder gesunken. „Wenn die Mäuse jedoch mit LCM-Viren infiziert wurden, die eine Grippe-ähnliche Erkrankung, die Lymphozytäre Choriomeningitis, hervorrufen und das Immunsystem über einen längeren Zeitraum hinweg beschäftigen, wurden die genveränderten Tiere aufgrund der hohen Interferon-Konzentrationen im Blut schnell krank.“

„Aus meiner Sicht stellt die Arbeit klar, dass unser Immunsystem hochpotente Mechanismen entwickelt hat, um die eigene Immunabwehr in Schach zu halten“, sagt die Erstautorin der Studie, Josephine Kemna. Greifen diese Mechanismen nicht, könne es sein, dass das Immunsystem dem eigenen Organismus schade, weil bestimmte Moleküle sich systemisch ausbreiten und dies toxisch wirke. „Der von uns vorgestellte Mechanismus zeigt, dass die Evolution dafür gesorgt hat, dass die toxischen Moleküle in der Regel nur dort wirken, wo sie gebraucht werden – nämlich da, wo die T-Zelle eine Virus-infizierte Zelle erkennt.“

Schutz vor tödlichen Infektionen

„Die Studie hat grundlegende Bedeutung für die Immunologie und für das Verständnis vieler entzündlicher Erkrankungen im Menschen“, ergänzt Kammertöns. Da die extrazelluläre Matrix bei Frauen und Männern unterschiedlich aufgebaut sei, könne der jetzt entdeckte Mechanismus womöglich auch erklären, warum manche Infektions- und Autoimmunerkrankungen bei Frauen und Männern so unterschiedlich verlaufen. „Zu verdanken haben wir all unsere neuen Erkenntnisse auch der hervorragenden Zusammenarbeit mit unserem französischen Kollegen Hugues Lortat-Jacob – einem weltweit führenden Experten für die extrazelluläre Matrix, der seit mehr als dreißig Jahren auf diesem Gebiet forscht“, betont Kammertöns.

Als nächstes plant der Wissenschaftler, gemeinsam mit seinem Gruppenleiter Blankenstein und Forschenden des Universitätsklinikums Freiburg, die erzielten Ergebnisse in einem weiteren Modell zu überprüfen. „Wir wollen mit Wildlingen arbeiten, also mit Mäusen, die bereits mehrere Infektionen durchgemacht haben und deren Immunsystem daher mehr der normalen menschlichen Körperabwehr ähnelt“, sagt Kammertöns.

„Im Laufe der Evolution hat das Immunsystem in einem Aufrüstungskampf gegen Pathogene immer stärkere Waffen entwickelt“, resümiert Blankenstein. „Unsere Arbeit zeigt einen neuen Mechanismus auf, der dieser Aufrüstung entgegenwirkt, ohne die Effizienz der Immunantwort zu vermindern: Nur vier Aminosäuren im Interferon-gamma stellen sicher, dass nicht viel mehr Menschen an Infektionen sterben.“ Somit sei es wünschenswert, die genauen Details der Interaktion zwischen Interferon-gamma und der extrazellulären Matrix künftig noch besser zu verstehen.

Das Max Delbrück Center

Das Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (Max Delbrück Center) gehört zu den international führenden biomedizinischen Forschungszentren. Nobelpreisträger Max Delbrück, geboren in Berlin, war ein Begründer der Molekularbiologie. An den Standorten in Berlin-Buch und Mitte analysieren Forscher*innen aus rund 70 Ländern das System Mensch – die Grundlagen des Lebens von seinen kleinsten Bausteinen bis zu organ-übergreifenden Mechanismen. Wenn man versteht, was das dynamische Gleichgewicht in der Zelle, einem Organ oder im ganzen Körper steuert oder stört, kann man Krankheiten vorbeugen, sie früh diagnostizieren und mit passgenauen Therapien stoppen. Die Erkenntnisse der Grundlagenforschung sollen rasch Patient*innen zugutekommen. Das Max Delbrück Center fördert daher Ausgründungen und kooperiert in Netzwerken. Besonders eng sind die Partnerschaften mit der Charité – Universitätsmedizin Berlin im gemeinsamen Experimental and Clinical Research Center (ECRC) und dem Berlin Institute of Health (BIH) in der Charité sowie dem Deutschen Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK). Am Max Delbrück Center arbeiten 1800 Menschen. Finanziert wird das 1992 gegründete Max Delbrück Center zu 90 Prozent vom Bund und zu 10 Prozent vom Land Berlin.

Gemeinsame Pressemitteilung von Max Delbrück Center und Charité – Universitätsmedizin Berlin

Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Prof. Dr. Thomas Blankenstein
Leiter der Arbeitsgruppe „Molekulare Immunologie und Gentherapie“
Max Delbrück Center
+49 30 9406-2816
tblanke@mdc-berlin.de

Dr. Thomas Kammertöns
Wissenschaftler in der Arbeitsgruppe „Molekulare Immunologie und Gentherapie“ und am Institut für Immunologie der Charité
Charité – Universitätsmedizin Berlin und Max Delbrück Center
+49 30 9406-1244
tkamm@mdc-berlin.de

Originalpublikation:

Josephine Kemna et al.( 2023): „IFNγ binding to extracellular matrix prevents fatal systemic toxicity“. Nature Immunology. DOI: 10.1038/s41590-023-01420-5

Weitere Informationen:

https://www.nature.com/articles/s41590-023-01420-5 – Studie
https://www.mdc-berlin.de/de/blankenstein – AG Blankenstein

http://www.mdc-berlin.de/

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