Winzige lichtgesteuerte Maschinen ziehen an Zellen
In ihrer natürlichen Umgebung sind menschliche Zellen nie allein. Ob Blut- Haut- oder Nervenzellen, sie leben in Kolonien zusammen, ziehen aneinander und rempeln sich an. Diese mechanischen Impulse bleiben nicht ohne Folge, sondern stoßen bestimmte biochemische Prozesse an.
Welche Möglichkeiten gibt es, von außen gesteuert Kraft auf lebende Zellen auszuüben? Wie kann diese Kraft gezielt zur Steuerung der Zellfunktion genutzt werden? Und wie lässt sich die Kraft, die auf die Zellen einwirkt, messen? Um diesen Fragen auf den Grund zu gehen, bündelten Forscherteams des INM – Leibniz-Institut für Neue Materialien, der Universität des Saarlandes, der Universität Straßburg in Frankreich und des Georgia Institute of Technology im US-amerikanischen Atlanta ihre Expertise.
Mechanotransduktion nennen Experten den Prozess, wenn externe mechanische Impulse von Zellen wahrgenommen und in biochemische Signale umgewandelt werden, die dann wiederum bestimmte Eigenschaften der Zellen regulieren. Dieser Prozess hat Einfluss auf wichtige Zellfunktionen wie Vermehrung, Bewegung oder programmierten Zelltod und ist entscheidend für Gewebebildung und -reparatur. Durch eine Fehlfunktion können Krankheiten entstehen, etwa Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems, Muskelschwund oder Krebs.
In ihrer natürlichen Umgebung erzeugen Zellen Kräfte mittels zelleigener Proteinketten und durch die Wirkung zellinterner „Motoren“. Inspiriert von diesen natürlichen Motoren nutzte die internationale Projektgruppe einen künstlichen, rein synthetischen Motor und entwickelte für ihr Vorhaben ein spezielles, lichtgesteuertes Material. Dieses Material enthält eine Vielzahl von winzigen Rotoren, die über Polymerketten zwischen einer Oberfläche und den Zell-Rezeptoren eingebunden sind und über UV-Licht aktiviert werden. Die so erzeugte Kraft kann in Abhängigkeit von Wellenlänge und Dauer der Bestrahlung reguliert werden und reicht aus, um über die Zellrezeptoren eine biochemische Reaktion zu erzeugen. So konnte in Zusammenarbeit mit dem Center for Integrative Physiology and Molecular Medicine an der Universitätsklinik in Homburg unter anderem gezeigt werden, dass es möglich ist, spezielle Immunzellen, die sogenannten T-Zellen, durch die lichtgesteuerten Motoren gezielt zu aktivieren.
Professorin Aránzazu del Campo, Wissenschaftliche Geschäftsführerin des INM und Leiterin des Programmbereichs Dynamische Biomaterialien am INM erläutert: „Mit dem neuen lichtgesteuerten Material ist es möglich, eine kontrollierte Kraft auf Zellen auszuüben – ohne den Einsatz von komplizierten Geräten. Durch das flexible Materialdesign können Zellen in Zukunft in ihrer natürlichen Umgebung untersucht werden, um kraftgesteuerte biochemische Prozesse in Zellen besser zu verstehen und aktive Biomaterialien zu entwickeln.“
Um die Kraft messen zu können, die diese Motoren auf die Zellen ausüben, wurde im Programmbereich „Interaktive Oberflächen“ des INM eine neue Methode entwickelt, mit deren Hilfe Kraftmessungen mit hoher Durchsatzrate möglich sind. Die Motoren wurden dazu nicht an Zellen, sondern zwischen Mikropartikel und eine Oberfläche in einem winzigen Flusskanal gebunden. Durch die Veränderung der Kanalströmung konnte die maximale Kraft ermittelt werden, gegen die die ferngesteuerten Motoren die Mikropartikel noch ziehen können. So konnte erstmals eine Messung an hunderten von lichtsensitiven molekularen Motoren gleichzeitig durchgeführt werden.
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Prof. Dr. Aránzazu del Campo
Wissenschaftliche Geschäftsführerin des INM
Leiterin der Programmbereichs Dynamische Biomaterialien
Tel.: ++49 (0)681 9300 510
E-Mail: aranzazu.delcampo@leibniz-inm.de
Originalpublikation:
Zheng, Y., Han, M.K.L., Zhao, R. et al. Optoregulated force application to cellular receptors using molecular motors. Nat Commun 12, 3580 (2021).
https://doi.org/10.1038/s41467-021-23815-4
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