Zellbiologie: Wie Mitochondrien Stress melden
LMU-Forschende zeigen, über welchen Weg das Protein DELE1 den Stress der Organellen erkennt: ein möglicher Ansatzpunkt auch zur Behandlung neurodegenerativer Erkrankungen.
Fehlfunktionen von Mitochondrien, kleinen Organellen im Inneren von Zellen, bringen Forschende seit längerer Zeit mit dem Alterungsprozess und altersbedingten Krankheiten in Verbindung, etwa der Alzheimer-Demenz. „Viele solcher Erkrankungen lassen sich nicht heilen, was auch daran liegt, dass wir grundlegende Mechanismen noch nicht verstanden haben“, sagt Professor Lucas Jae vom Genzentrum der LMU.
Häufig wird hierbei die Fehlfunktion der Mitochondrien durch verschiedenartige Formen von Stress ausgelöst, so viel ist bekannt. Stress kann von der Zelle kommen oder im Mitochondrium selbst entstehen, etwa durch reaktive Sauerstoffspezies, die bei der zellulären Atmung anfallen. Trotz ihres eigenen Genoms haben Mitochondrien nicht die Möglichkeit, eigenständig auf Stress zu reagieren. „Das heißt, Störungen müssen an den Rest der Zelle gemeldet werden“, erklärt Dr. Evelyn Fessler vom Genzentrum der LMU.
In Nature Communications berichten Fessler und Jae jetzt zusammen mit Luisa Krumwiede über einen Mechanismus, wie ein spezielles Protein, DELE1, im Menschen verschiedene Formen von Stress beim Import in Mitochondrien detektiert und an die Zelle meldet. Das kann zu unterschiedlichen Reaktionen führen, etwa einer Reparatur oder einem induzierten Zelltod.
Bekanntes Molekül, unbekannter Mechanismus
Bereits vor zwei Jahren ging Jaes Team der Frage nach, wie mitochondrialer Stress eigentlich an die Zelle gemeldet wird. Die Forschenden fanden einen neuen Signalweg bestehend aus den Proteinen OMA1, DELE1 und HRI, der solche Aufgaben übernimmt. „Wir wussten also, welche Faktoren mitochondrialen Stress erkennen, aber wir verstanden zentrale Aspekte nicht“, erinnert sich Jae. „Wie wandert das Signal von DELE1 aus dem Mitochondrium ins Zytoplasma der Zelle? Und wie kann DELE1 als ein einzelnes Protein die vielen unterschiedlichen Arten von Stress aufspüren?“
Jetzt fanden die Forschenden Antworten. DELE1 muss kontinuierlich in die Mitochondrien importiert und dabei durch Proteasen prozessiert werden. Tief im Inneren der Mitochondrien wird DELE1 dann rasch abgebaut. Es gibt also ständig Moleküle, welche die äußere und die innere Membran der Mitochondrien passieren, um importiert zu werden.
Bei mitochondrialem Stress scheitert dieser Import-Vorgang. Neue DELE1-Moleküle auf dem Weg in die Mitochondrien werden arretiert und ja nach Quelle der jeweiligen Störung entweder von OMA1 geschnitten oder sie bleiben ungespalten außerhalb der Organellen. In jedem Fall wird der Teil des DELE1-Proteins der die Signalwirkung innehat, im Zytosol demaskiert. „Alle unterschiedlichen Stressarten führen dazu, dass einer der Teilschritte rund um den Import und die Verarbeitung von DELE1 zum Erliegen kommt“, fasst Jae zusammen. So werde mitochondrialer Stress detektiert.
DELE1 erkennt auch Fehlfunktionen der mitochondrialen Enzyme PITRM1 und MPP. Diese sind bei neurodegenerativen Erkrankungen mutiert. „Gerade in Zusammenhang mit solchen Defekten haben wir gesehen, dass es für das zelluläre Überleben wichtig ist, dass DELE1 das Problem erkennt und der Zelle sozusagen Bescheid gibt“, kommentiert Jae.
Wie geht es weiter? „Weil wir jetzt den Mechanismus verstehen, lassen sich ganz viele Szenarien untersuchen“, berichtet Fessler. Die Forschenden wollen herausfinden, wie die Entscheidung darüber fällt, ob eine Zelle aufgrund einer Stressreaktion in eine Reparaturphase oder in den programmierten Zelltod eintritt, weil ansonsten von ihr Gefahr ausgehen würde. Sie hoffen auch, den Signalweg so modulieren zu können, dass er das zelluläre Überleben in Zeiten von mitochondrialem Stress begünstigt: ein möglicher Ansatz zur Behandlung neurodegenerativer Erkrankungen.
Evelyn Fessler, Luisa Krumwiede, Lucas T. Jae: DELE1 tracks perturbed protein import and processing in human mitochondria. Nature Communications, 2022
https://www.lmu.de/de/newsroom/newsuebersicht/news/zellbiologie-wie-mitochondrien-stress-melden.html
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