Zellen der Zukunft: Möglichkeit zur gezielten Reprogrammierung
Der dynamische Prozess des DNA-Replikations-Timing beeinflusst die Plastizität von Zellen.
Um Leben von einer Zelle auf eine neue zu übertragen, muss die genetische Information mittels eines Prozesses namens DNA-Replikation vervielfältigt werden. Das geschieht nicht nur durch das „Kopieren“ genetischer Informationen; vielmehr erfordert es eine präzise Abfolge zahlreicher molekularer Ereignisse. Forschende um Prof. Maria-Elena Torres-Padilla von Helmholtz Munich haben kürzlich einen speziellen Aspekt dieses Prozesses namens „Replication Timing“ (RT) und dessen Besonderheiten bei der Entstehung von neuem Leben aufgedeckt. Die neuen Ergebnisse sind nun in Nature veröffentlicht.
Der Prozess des „Replication Timing“ (RT) der DNA bezieht sich auf die spezifischen Zeitpunkte, zu denen verschiedene Abschnitte unseres genetischen Codes dupliziert werden. Forscher:innen des Instituts für Epigenetik und Stammzellen bei Helmholtz Munich haben eine Technik namens „Repli-seq“ implementiert, um die enge Verbindung zwischen RT und der Anpassungsfähigkeit von Zellen, der Zellplastizität, zu erforschen. Darüber hinaus konnten sie einen neuen Zusammenhang zwischen dem Replication Timing und dem Prozess, wie Gene sich innerhalb des Zellkerns zu dreidimensionalen Strukturen falten, aufdecken.
Angefangen mit der frühesten Entwicklungsstufe eines Embryos, der Zygote – dem Beginn alles Lebens – haben Wissenschaftler:innen eine RT-Karte von dieser Einzelzellenstufe bis zur Phase erstellt, in der der Embryo sich als Blastozsyte in der Gebärmutter einnistet. Im Stadium des Einzelzellembryos ist das RT wenig strukturiert, was auf eine flexible Genomduplikation in diesen frühen Zellen hindeutet. Nach dem Vierzellstadium wird jedoch das RT definierter. Diese Veränderungen im RT entsprechen den kontinuierlichen Veränderungen an der DNA durch Proteine, den sogenannten Chromatinmarkierungen, die die Aktivität der Gene und ihre Bedeutung für die Funktionen der Zelle anzeigen.
Maria-Elena Torres-Padilla, Letztautorin der Studie, erklärt: „Die Erkenntnisse sind bemerkenswert und zeigen uns, dass die frühen embryonalen Zellen ein sehr ‚flexibles‘ Programm zur Genomduplikation haben. Die frühen Zellen sind zudem totipotent, das heißt, sie können sich zu jeder einzelnen Zelle in unserem Körper entwickeln. Das, was wir herausgefunden haben, könnte der Grund dafür sein, warum diese Zellen in der Lage sind, sämtliche Zelltypen im Körper zu generieren.“ Die neuen Erkenntnisse über die DNA-Replikation eröffnen Möglichkeiten zur gezielten Reprogrammierung von Zellen in der Zukunft. Dr. Tsunetoshi Nakatani, Erstautor der Studie, fügt hinzu: „Wir wollen in Zukunft die Zellidentität ändern, indem wir ein strukturiertes Replication-Timing-Programm in ein flexibleres Umwandeln.“
Die RNA-Polymerase, das Enzym, welches den genetischen Code der DNA in RNA umschreibt, ist ein wichtiger Akteur im RT-Programm. Mit diesem Wissen wird es möglich sein, das RT in Zellen zu manipulieren. Das Forschungsteam hat entdeckt, dass die dreidimensionale Struktur des Genoms sich zuerst formt und erst danach das RT-Programm etabliert wird. Dies ist ein Hinweis darauf, dass die Art und Weise, wie unser Genom in den dreidimensionalen Raum des Zellkerns passt, einen Einfluss auf die Flexibilität des RT-Programms hat.
Zusammenfassend ist das RT-Programm der DNA ein faszinierendes Puzzleteil im Zyklus des Lebens. Der präzise Prozess der genetischen Replikation ist eng mit der Fähigkeit der Zellen des frühen Embryos verbunden, alle Zelltypen in unserem Körper zu erzeugen. Mit fortschreitender Forschung erlangen wir eine weitreichende Erkenntnis über die essenzielle Weitergabe von Leben, von Zelle zu Zelle, von Organismus zu Organismus, sowie über die Fähigkeit einer Zelle, einen neuen Körper zu erschaffen.
Über Helmholtz Munich
Helmholtz Munich ist ein biomedizinisches Spitzenforschungszentrum. Seine Mission ist, bahnbrechende Lösungen für eine gesündere Gesellschaft in einer sich schnell verändernden Welt zu entwickeln. Interdisziplinäre Forschungsteams fokussieren umweltbedingte Krankheiten, insbesondere die Therapie und die Prävention von Diabetes, Adipositas, Allergien und chronischen Lungenerkrankungen. Mittels künstlicher Intelligenz und Bioengineering transferieren die Forschenden ihre Erkenntnisse schneller zu den Patient:innen. Helmholtz Munich zählt mehr als 2.500 Mitarbeitende und hat seinen Sitz in München/Neuherberg. Es ist Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft, mit mehr als 43.000 Mitarbeitenden und 18 Forschungszentren die größte Wissenschaftsorganisation in Deutschland. Mehr über Helmholtz Munich (Helmholtz Zentrum München Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt GmbH): www.helmholtz-munich.de
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Prof. Dr. Maria-Elena Torres-Padilla, Direktorin des Stem Cell Centers und des Instituts für Epigenetik und Stammzellen bei Helmholtz Munich und Lehrstuhlinhaberin für Stammzellbiologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU)
Kontakt: torres-padilla@helmholtz-munich.de
Dr. Tsunetoshi Nakatani, Postdoktorand am Institut für Epigenetik und Stammzellen bei Helmholtz Munich
Originalpublikation:
Nakatani et al. (2023): The establishment of a replication timing program after fertilization
reveals organizing principles of the mammalian genome. Nature. DOI: 10.1038/s41586-023-06872-1
Alle Nachrichten aus der Kategorie: Biowissenschaften Chemie
Der innovations-report bietet im Bereich der "Life Sciences" Berichte und Artikel über Anwendungen und wissenschaftliche Erkenntnisse der modernen Biologie, der Chemie und der Humanmedizin.
Unter anderem finden Sie Wissenswertes aus den Teilbereichen: Bakteriologie, Biochemie, Bionik, Bioinformatik, Biophysik, Biotechnologie, Genetik, Geobotanik, Humanbiologie, Meeresbiologie, Mikrobiologie, Molekularbiologie, Zellbiologie, Zoologie, Bioanorganische Chemie, Mikrochemie und Umweltchemie.
Neueste Beiträge
Sensoren für „Ladezustand“ biologischer Zellen
Ein Team um den Pflanzenbiotechnologen Prof. Dr. Markus Schwarzländer von der Universität Münster und den Biochemiker Prof. Dr. Bruce Morgan von der Universität des Saarlandes hat Biosensoren entwickelt, mit denen…
Organoide, Innovation und Hoffnung
Transformation der Therapie von Bauchspeicheldrüsenkrebs. Bauchspeicheldrüsenkrebs (Pankreaskarzinom) bleibt eine der schwierigsten Krebsarten, die es zu behandeln gilt, was weltweite Bemühungen zur Erforschung neuer therapeutischer Ansätze anspornt. Eine solche bahnbrechende Initiative…
Leuchtende Zellkerne geben Schlüsselgene preis
Bonner Forscher zeigen, wie Gene, die für Krankheiten relevant sind, leichter identifiziert werden können. Die Identifizierung von Genen, die an der Entstehung von Krankheiten beteiligt sind, ist eine der großen…