Zucker gegen Atemnot
Für einen Wirkstoff gegen Asthma gibt es einen neuen, vielversprechenden Kandidaten: Ein einfaches synthetisches Molekül auf Basis eines Zuckers hemmt wirkungsvoll die Entzündung der Bronchien, die bei der Atemwegserkrankung auftritt – und zwar in einem früheren Stadium als derzeit gebräuchliche Asthma-Medikamente.
Das hat ein internationales Team festgestellt, an dem Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Kolloid- und Grenzflächenforschung und der Freien Universität Berlin maßgeblich beteiligt waren. Wie die Studie an Mäusen zeigt, unterbindet die disulfatierte Iduronsäure die Prozesse, die zur Schleimproduktion, zur Verengung der Atemwege und letztlich zur Atemnot führen. Für den Einsatz am Menschen muss die Substanz noch weiterentwickelt werden und ihre Wirksamkeit in klinischen Studien erweisen.
Asthma nimmt immer mehr Menschen den Atem. Vor allem in entwickelten Staaten und in Schwellenländern stieg die Zahl der Erkrankten in den vergangenen 30 Jahren stetig an. Alleine in Deutschland leiden drei Millionen Menschen unter der chronischen Krankheit, bei der meist eine allergische Reaktion zu einem Engegefühl in der Brust, Atemnot und Husten führt.
Entzündungsprozesse in den Bronchien, bei denen sich die Luftröhre zusammenschnürt und Schleim abgesondert wird, spielen dabei eine entscheidende Rolle. Und genau hier setzt die Substanz an, die das internationale Team um Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Kolloid- und Grenzflächenforschung in Potsdam, der Freien Universität Berlin und des Sanford-Burnham Medical Research Institute im kalifornischen La Jolla gegen die Krankheit in Position bringt.
„Unser mit Sulfatgruppen geladener Einfachzucker, der so in der Natur nicht vorkommt, hemmt das Signal, das bei einem Asthma-Anfall T-Zellen rekrutiert und in die Lunge dirigiert“, sagt Peter Seeberger, einer der leitenden Wissenschaftler der Studie. Als Direktor am Potsdamer Max-Planck-Institut und Professor an der Freien Universität Berlin erforscht Peter Seeberger die vielfältigen Aufgaben von Zuckern im Organismus. Oft geht es dabei um die Funktion von Zuckern im Immunsystem, zu dessen Protagonisten die T-Lymphozyten zählen.
Diese Zellen gehören zu den weißen Blutkörperchen oder Leukozyten und spielen bei Entzündungsprozessen eine entscheidende Rolle. Bei einer Asthma-Erkrankung werden sie in einer Überreaktion des Immunsystems alarmiert, wenn die Betroffenen in Kontakt mit Substanzen kommen, auf die sie allergisch reagieren.
Der aktuellen Studie zufolge werden die meisten T-Leukozyten bei einem Asthma-Anfall verständigt, indem das Signalmolekül CCL20 an den molekularen Alarmknopf CCR6 andockt. Damit die weißen Blutkörperchen den Notruf empfangen können, muss das Molekül CCL20 sich jedoch zunächst mit einem Molekül namens Heparan oder Heparinsulfat zusammenschließen.
Heparan ist ein Kettenmolekül; seine Glieder ähneln dem Molekül, mit dem die internationale Forschergruppe den Fehlalarm des Immunsystems verhindern kann. Wie die Forscher nun feststellten, heftet sich statt des Heparans nämlich die sulfatierte Iduronsäure an das chemische Alarmsignal CCL20, das dann nicht mehr von der Empfangsstation CCR6 erkannt wird.
„Dass ausgerechnet die sehr einfache Iduronsäure den Signalweg blockiert, war eine Zufallsentdeckung“, sagt Peter Seeberger. Die Forscher waren zunächst davon ausgegangen, dass gerade dieses Molekül unwirksam sei und hatten es als Kontrolle eingesetzt, um für die Wirksamkeit der anderen Kandidaten einen Vergleich zu haben. Diese anderen Testmoleküle ähnelten viel offensichtlicher dem Heparinsulfat, das gemeinsam mit CCL20 natürlicherweise den Alarmknopf CCR6 der weißen Blutkörperchen drückt: Es handelte sich wie beim Heparan um Kettenmoleküle, die deutlich schwieriger herzustellen sind als die sulfatierte Iduronsäue.
„Als möglicher pharmazeutischer Wirkstoff empfiehlt sich die Iduronsäure nicht zuletzt deshalb, weil sie einfach zu synthetisieren ist“, sagt Peter Seeberger. Ehe der Zuckerabkömmling Patienten Linderung verschaffen kann, muss er allerdings weiterentwickelt werden und zahlreiche weitere Tests bestehen.
„Wir müssen die Substanz noch so verändern, dass sie ausschließlich an CCL20 bindet“, erklärt Peter Seeberger. Die sulfatierte Iduronsäure heftet sich auch an andere Akteure des Immunsystems und blockiert deren Arbeit. Das könnte zu unerwünschten Nebenwirkungen führen, was die Forscher bei den Mäusen allerdings nicht beobachtet haben. Und vor allem muss sich in klinischen Studien am Menschen erweisen, ob der Kandidat, den das Team nun ausfindig gemacht hat, hält, was er in den Untersuchungen an Mäusen verspricht. Um das herauszufinden, hat Peter Seeberger bereits Kontakt zu Medizinern aufgenommen – und ist auf reges Interesse gestoßen.
Ansprechpartner
Telefon: +49 331 567-9301
Fax: +49 331 567-9102
Katja Schulze
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung, Potsdam-Golm
Telefon: +49 331 567-9203
Fax: +49 331 567-9202
Media Contact
Weitere Informationen:
http://www.mpg.de/8267658/asthma_zucker_wirkstoffAlle Nachrichten aus der Kategorie: Biowissenschaften Chemie
Der innovations-report bietet im Bereich der "Life Sciences" Berichte und Artikel über Anwendungen und wissenschaftliche Erkenntnisse der modernen Biologie, der Chemie und der Humanmedizin.
Unter anderem finden Sie Wissenswertes aus den Teilbereichen: Bakteriologie, Biochemie, Bionik, Bioinformatik, Biophysik, Biotechnologie, Genetik, Geobotanik, Humanbiologie, Meeresbiologie, Mikrobiologie, Molekularbiologie, Zellbiologie, Zoologie, Bioanorganische Chemie, Mikrochemie und Umweltchemie.
Neueste Beiträge
Parallele Pfade: Das Verständnis von Malariaresistenz bei Schimpansen und Menschen
Die nächsten Verwandten des Menschen passen sich genetisch an Lebensräume und Infektionen an Überleben des am besten Angepassten: Genetische Anpassungen bei Schimpansen aufgedeckt Görlitz, 10.01.2025. Schimpansen verfügen über genetische Anpassungen,…
Du bist, was du isst – Stanford-Studie verbindet Ballaststoffe mit Modulation von Anti-Krebs-Genen
Die Ballaststofflücke: Ein wachsendes Problem in der amerikanischen Ernährung Ballaststoffe sind bekanntlich ein wichtiger Bestandteil einer gesunden Ernährung, doch weniger als 10 % der Amerikaner konsumieren die empfohlene Mindestmenge. Eine…
Vertrauen Sie Ihrem Bauchgefühl – RNA-Protein-Entdeckung für eine bessere Immunität
HIRI-Forscher entschlüsseln Kontrollmechanismen der Polysaccharidverwertung in Bacteroides thetaiotaomicron. Forschende des Helmholtz-Instituts für RNA-basierte Infektionsforschung (HIRI) und der Julius-Maximilians-Universität (JMU) Würzburg haben ein Protein sowie eine Gruppe kleiner Ribonukleinsäuren (sRNAs) in…