Fraunhofer ISI hält Atomausstieg und Klimaschutzziele für vereinbar
Große Potenziale liegen brach / Anreize schaffen, Energie wirtschaftlicher zu nutzen
Mit dem von der Bundesregierung und den großen Energieversorgern vereinbarten Ausstieg aus der Nutzung der Kernenergie steht die Energiewirtschaft in Deutschland vor Zielen, die unvereinbar scheinen: Beim Verzicht auf die Kernenergie wird eine CO2-neutrale Energiequelle aufgegeben. Demgegenüber stehen die Verpflichtungen aus dem Kyoto-Protokoll und den Vereinbarungen innerhalb der EU, nach denen Deutschland seine Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2010 um gut ein Fünftel gegenüber dem Niveau von 1990 vermindern soll.
Nach Einschätzung des Fraunhofer-Instituts für Systemtechnik und Innovationsforschung ISI, Karlsruhe, sind diese Ziele miteinander vereinbar. Gerade bei der Energieumwandlung und -nutzung liegen nach Meinung der Experten große Potenziale brach. Würden diese erschlossen, wären die Klimaschutzziele für 2010 erreichbar. Selbst eine Reduktion der CO2-Emission um 80 Prozent bis zum Jahr 2050 erscheint dem Fraunhofer ISI trotz Ausstieg aus der Kernenergie technisch und volkswirtschaftlich möglich. Dazu müssen jedoch jetzt die erforderlichen Schritte eingeleitet werden, wie Studien des ISI ergeben.
Als Beispiel nennen die Wissenschaftler die enormen Verluste beim Stand-by-Betrieb elektrischer Geräte. Sie machen rund 4 Prozent des derzeitigen Stromverbrauchs oder 20 Milliarden Kilowattstunden aus. Das entspricht der Produktion zweier Kernkraftwerke. „Bedeutende Einsparpotenziale bringt ferner die Verwendung energieeffizienter Haushalts- und Bürogeräte – wie zum Beispiel Flüssigkristallbildschirme für Computer und Fernsehgeräte“, erläutert Dr. Harald Bradke, Leiter der Abteilung ENERGIETECHNIK UND ENERGIEPOLITIK im Fraunhofer ISI. Enorme Effizienzsteigerungen sind nach Untersuchungen seiner Abteilung auch bei Elektroantrieben möglich, die ca. 75 Prozent des Stromverbrauchs in der Industrie verursachen.
Schließlich können Verbesserungen außerhalb der Stromnutzung zur Verringerung der CO2-Emissionen beitragen. Eine jährliche Verminderung des Raumwärmebedarfs nur um ein Prozent in den nächsten zehn Jahren würde ausreichen, um die CO2-Emissionen zu kompensieren, die aus dem Ersatz der acht ältesten Kernreaktoren durch fossil betriebene Kraftwerke entstünden. Deutliche Energieeinsparpotenziale bestehen überdies beim Verkehr.
Die bis 2010 notwendigen CO2-Emissionsminderungen sind jedoch nur mit einem wohl überlegten Maßnahmenbündel zu verwirklichen. Hier spielen insbesondere staatliche Anreize eine wichtige Rolle. Darüber hinaus ist unternehmerische Initiative gefragt. „Häufig ist die rationelle Nutzung von Energie nur ein Abfallprodukt geplanter Innovationen“, weiß Bradke," doch sind die Energieeffizienzpotenziale nur selten Thema gezielter Forschung.“ Langfristig eröffnen neue Technologien wie Niedrigenergiehäuser, Brennstoffzellen und neue industrielle Prozesse erhebliche Chancen.
Deutschland trägt zwar nur zu etwa 4 Prozent zu den weltweiten CO2-Emissionen bei. Als eine der führenden Industrie- und Exportnationen sollte es aber Vorreiter bei energieeffizienten Techniken sein. Zudem wächst dieser Markt überproportional.
Weltweit trägt die Kernenergie nur zu etwa 10 Prozent zur Deckung des Primärenergiebedarfs bei. Neueste Prognosen des amerikanischen Energieministeriums gehen zwar davon aus, dass die weltweit installierte Kernkraftwerkkapazität zwar bis zum Jahr 2010 um rund 5 Prozent steigt. Danach fällt sie aber sogar unter den heutigen Wert. Allein in den USA wird demnach im Jahr 2020 gut 40 Prozent weniger Kernenergie produziert als jetzt.
Das Fraunhofer-Institut für Systemtechnik und Innovationsforschung ISI erweitert das naturwissenschaftlich-technisch orientierte Fachspektrum der Fraunhofer-Gesellschaft um wirtschafts- und gesellschaftspolitische Aspekte. Dazu analysiert es technische Entwicklungen sowie deren Marktpotenziale und Auswirkungen auf Wirtschaft, Staat und Gesellschaft. Die interdisziplinär zusammengesetzten Teams des Instituts konzentrieren sich insbesondere auf die Bereiche Energie, Umwelt, Produktion, Kommunikation und Biotechnologie sowie auf die Regionalforschung und Innovationsspolitik.
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