Die chemische Sonnenfinsternis im Fenster
Bisher schirmten Jalousien, Gardinen und Vorhänge zu intensives Tageslicht von Innenräumen ab. Gaschrome Fenster hingegen verdunkeln ohne mechanische Einrichtungen und auf Knopfdruck. Eine Beschichtung im Inneren der Doppelverglasung reduziert die Lichtdurchlässigkeit auf ein Viertel, wenn sie mit Wasserstoff in Kontakt kommt. Für Architekten und Fahrzeughersteller ergeben sich damit ganz neue Möglichkeiten.
Ein Sturm hat die Jalousie vor dem Bürofenster zerfetzt und grelles Sonnenlicht macht die Arbeit am Bildschirm fast unmöglich. Spätestens jetzt wünscht sich wohl Jeder ein gaschromes Fenster. Knopfdruck genügt und innerhalb weniger Minuten verdunkelt es sich gleichmäßig und lautlos. Stufenlos regulierbar fällt die Lichtdurchlässigkeit bis auf ein Viertel ab und taucht das Büro in ein angenehm kühles Blau. Das Glas wirkt zudem als Wärmeschutz, denn mit einer zusätzlichen Schicht absorbiert es auch stark im infraroten Bereich.
Solche Isoliergläser, die am Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE entwickelt wurden, produziert die Firma Interpane in Lauenförde jetzt in einer Pilotanlage. »In einer Rekordzeit von nur eineinhalb Jahren haben wir die Technik der gaschromen Fenster bis zur Fertigungsreife entwickelt«, freut sich ISE-Projektleiter Wolfgang Graf. »Dies war nur möglich, weil wir im Institut alles aus einer Hand bieten können: Grundlagenforschung, Systemtechnik, Marketing und den direkten Kontakt zum Architekten als zukünftigem Nutzer.« Wenn sich das Projekt weiterhin so entwickelt, wird das Produkt in rund drei Jahren im Fachhandel erhältlich sein.
Die Glaselemente der Pilotproduktion sind derzeit für Demonstrationen an großflächigen Fassaden bestimmt. Neben technischen Detailfragen interessiert die Forscher dabei besonders die Rückmeldung der Nutzer. Bereits jetzt ist klar: Architekten können die Außenhülle von Gebäuden freier gestalten und müssen weniger als bisher auf den Wärmeeintrag achten. Sie brauchen keine aufwendigen Sonnenschutzanlagen mehr, die oft weniger attraktiv und wartungsintensiv sind. Auch an Fahrzeugverglasungen denken die Wissenschaftler. Schon jetzt gestattet der Prototyp eines modernen Reisebusses mit seitlichen Oberlichtern den Fahrgästen vollen Blick auf die Sehenswürdigkeiten. Hinter gaschromen Gläsern müssen sie dabei nicht in der prallen Sonne schwitzen.
»Chromos« – das griechische Wort für Farbe – mag noch einleuchten. Aber wieso »Gas«? Letztlich ist Wasserstoff für die stufenlos variierbare Lichtdurchlässigkeit der Fenster verantwortlich. Die Innenseite der Doppelverglasung ist mit der Verbindung Wolframoxid (WO3) transparent beschichtet. Kommt sie in Kontakt mit geringsten Mengen des Gases, ändert sich die chemische Zusammensetzung der zuvor unsichtbaren Schicht. Sie färbt sich dunkelblau und streut zusätzlich das Licht. Mit Sauerstoff wird sie wieder transparent. Der einfache Schichtaufbau prädestiniert gaschrome Scheiben für große Flächen. Demgegenüber eignen sich technisch aufwendigere elektrochrome Gläser besser für kleine Anwendungen wie etwa Autospiegel.
Doch woher kommen die Gase? Im unteren Bereich des Fensters verbirgt sich ein kleiner Elektrolyseur. Er zersetzt Wasser in Sauerstoff und Wasserstoff. Eine kleine Pumpe fördert die gewünschte Gasmischung durch das Fenster. Der Gaskreislauf ist geschlossen und je nach Schaltzustand bildet sich das Wasser katalytisch zurück. Ein solches Fenster ist wartungsfrei und funktioniert bei praxisnaher Schalthäufigkeit rund zwanzig Jahre. »Der Nutzer merkt von der ausgefeilten Technik nichts«, kann Graf auch über Sicherheitsaspekte berichten. »Wolframoxid ist in dieser Anwendung unschädlich und die Konzentration von Wasserstoff ist sehr gering. Daher besteht keine Gefahr – selbst wenn das Fenster durch Schlag oder im Sturm zerbricht.«
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