Auf Zeitreise in die Vergangenheit von Randmeeren: IOW-Expedition erkundet kanadische Küstengewässer

Die MARIA S. MERIAN erkundet kanadische Küstengewässer, unter anderem um herauszufinden, ob der „Klimamotor“ Nordatlantik die dortigen Umweltbedingungen in den letzten Jahrtausenden beeinflusst hat. IOW

Mit an Bord sind insgesamt 25 WissenschaftlerInnen, darunter 15 vom IOW und 10 weitere kanadische und U.S.-amerikanische Forschungspartner. Koordiniert wird die gut vierwöchige Expedition von Detlef Schulz-Bull, Leiter der Sektion Meereschemie des IOW.

„Wir wollen mehr über die Faktoren erfahren, die Veränderungsprozesse von küstennahen Ökosystemen antreiben: Ist es das Klima mit seinen Schwankungen, sind es die Strömungsdynamiken vor Ort oder  sind es bestimmte, für Randmeere typisch biogeochemische Prozesse? Und welche Rolle spielen enschliche Einflüsse wie beispielsweise Eutrophierung und Belastung durch Umweltgifte?“, so Schulz-Bull zum grundsätzlichen Ziel der Forschungsfahrt.

„Um menschliche von natürlichen Einflüssen besser unterscheiden zu können, haben wir haben unser Forschungsprogramm als ‚Zeitreise‘ konzipiert. Zum einen wollen wir den aktuellen Zustand unseres Untersuchungsgebietes charakterisieren, zum anderen aber auch einen Blick auf dessen – aus geologischer Sicht – jüngere Vergangenheit der letzten 500 bis 1000 Jahre werfen, die in tieferen Schichten des Meeresbodens ihre Spuren hinterlassen haben. Die östlichen kanadischen Küstengewässer, die wir jetzt erstmals untersuchen, sind für uns in diesem Kontext besonders interessant, da sie in Teilen mit einem Randmeer wie der von uns intensiv erforschten Ostsee vergleichbar sind, in Teilen jedoch eher vom offenen Ozean geprägt sind“, führt der Sektionsleiter aus.

Geplant ist ein umfangreiches Probennahmeprogramm an insgesamt 28 Stationen, mikrobiologische Experimente direkt an Bord und Computersimulationen nach Probenauswertung, mit deren Hilfe die punktuell für die Stationen gewonnenen Ergebnisse auf den gesamten Golf von Sankt-Lorenz extrapoliert werden sollen. „Wie die Ostsee hat auch der Sankt-Lorenz-Golf nur eine schmale Verbindung zum offenen, salzreichen Nordatlantik.

Deswegen gibt es dort auch die für Randmeere charakteristischen Gradienten in der Salzkonzentration – zum einen horizontal vom inneren ‚süßen‘ Sankt-Lorenz-Strom über Brackwasser im unteren Ästuarbereich bis zu höheren Salzgehalten im äußeren Sankt-Lorenz-Golf, zum anderen vertikal vom salzarmen und daher leichteren Oberflächenwasser zum schweren, salzigen Tiefenwasser, das selten durchmischt wird und daher auch häufig wenig Sauerstoff enthält“, so Detlef Schulz-Bull.

„Wasserproben und Sondenmessungen werden uns helfen, die Eigenschaften und Strukturen des Wasserkörpers an allen Stationen detailliert zu charakterisieren und so zu erkennen wie die Gradienten im Untersuchungsgebiet verlaufen. Uns interessiert, ob und wie sich verschiedene Organismen an diese variablen Salz- und Sauerstoffverhältnisse angepasst haben und ob sich dies beispielsweise auf die Artenvielfalt auswirkt“ so Schulz-Bull weiter.

Dazu würden diverse Experimente mit vor Ort isolierten mikrobiellen Lebensgemeinschaften durchgeführt und außerdem die am Meeresgrund lebenden Tiere, das sogenannte Makrozoobenthos, untersucht. Anhand von Nährstoffmessungen, der Analyse von partikulärem Material aus Sedimentfallen und der Auswertung von Satellitenbildern wolle man sich außerdem einen Eindruck von zeitlichen und räumlichen Unterschieden in der Primärproduktion und der organischen Kohlenstoffkreisläufe machen, so Schulz-Bull.

„Diese Untersuchungen ermöglichen eine Momentaufnahme, die einen Eindruck davon vermittelt, wie der Sankt-Lorenz-Golf aktuell als Gewässer ‚tickt‘. Um seine Vergangenheit besser zu verstehen, werden wir dem Meeresboden zusätzlich an geeigneten Stellen Sedimentkerne entnehmen. Die chronologisch geschichteten Ablagerungen sind wie ein Archiv, das uns über charakteristische Markersubstanzen die Rekonstruktion früherer Umweltbedingungen ermöglicht“, erläutert Meereschemiker Schulz-Bull.

So lasse sich beispielsweise die Geschichte der von Menschen versursachten Schadstoffbelastungen durch Pestizide, organische Chlorverbindungen oder Quecksilber durch entsprechende Spuren in den Oberflächenschichten nachvollziehen, erläutert der Projektkoordinator.

„Mit bis zu 18 Meter langen Sedimentkernen werden wir aber auch bis zu 1000 Jahre zurückliegende Phänomene, wie Klima- und Ozeanzirkulationsänderungen, nachvollziehen können. Aufschluss hierüber geben unter anderem die Rückstände verschiedener Kleinstlebewesen, die in den unterschiedlichen Schichten der Sedimentkerne analysiert und datiert werden.“

Aus vergleichbaren Untersuchungen in der Ostsee wisse man, dass der „Klimamotor“ Nordatlantik die dortigen Umweltbedingungen in den letzten Jahrtausenden entscheidend beeinflusst und sich diese mehrfacht drastisch verändert hätten. „Die MERIAN-Fahrt soll nun Aufschluss geben, ob dies auch für die kanadischen Randmeere zutrifft“, so Detlef Schulz-Bull abschließend zum wissenschaftlichen Programm der Expedition.

Ihren Abschluss findet die Forschungsfahrt der FS MARIA S. MERIAN am 25. September 2015 in St. John auf Neufundland, wo die wissenschaftliche Crew das Schiff verlässt.

*Fragen zur MARIA S. MERIAN-Expedition beantwortet:
Prof. Dr. Detlef Schulz-Bull | Leiter der IOW-Sektion Meereschemie
Tel.: 0381 – 5197 310 | detlef.schulz-bull@io-warnemuende.de

*Kontakt IOW-Presse- und Öffentlichkeitsarbeit:
Dr. Kristin Beck | Tel.: 0381 – 5197 135 | kristin.beck@io-warnemuende.de
Dr. Barbara Hentzsch | Tel.: 0381 – 5197 102 | barbara.hentzsch@io-warnemuende.de

Das IOW ist Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft, zu der zurzeit 89 Forschungsinstitute und wissenschaftliche Infrastruktureinrichtungen für die Forschung gehören. Die Ausrichtung der Leibniz-Institute reicht von den Natur-, Ingenieur- und Umweltwissenschaften über die Wirtschafts-, Sozial- und Raumwissenschaften bis hin zu den Geisteswissenschaften. Bund und Länder fördern die Institute gemeinsam. Insgesamt beschäftigen die Leibniz-Institute etwa 18.100 MitarbeiterInnen, davon sind ca. 9.200 WissenschaftlerInnen. Der Gesamtetat der Institute liegt bei mehr als 1,64 Mrd. Euro. (http://www.leibniz-gemeinschaft.de)

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