„Berge und Täler“ der Ostsee

Auf der Fahrt der DENEB werden in der Ostsee die Gravimeterdaten zur Erdanziehungskraft gewonnen, mit denen ein Modell für Höhenunterschiede mit Zentimetergenauigkeit berechnet werden kann. Copyright: Bundesamt für Kartographie und Geodäsie

Sie sind für das bloße Auge nicht sichtbar, aber für die Schifffahrt gerade in relativ flachen Gewässern von großer Bedeutung: „Berge“ und „Täler“ auf dem Meer. Verursacht werden die Höhenunterschiede des Meeresspiegels durch das Schwerefeld der Erde. Vermessungsingenieure und Geowissenschaftler aus mehreren Institutionen in Deutschland nehmen jetzt die Ostsee ins Visier. Dort gibt es eine „Datenlücke“ und immerhin betragen die bisher bekannten Meeresspiegelunterschiede in der Ostsee bis zu 20 Meter.

An der Messkampagne mit dem Forschungsschiff DENEB sind Fachleute des Bundesamtes für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH), des Deutschen GeoForschungsZentrums (GFZ) und des Bundesamts für Kartographie und Geodäsie (BKG) beteiligt. Sie führen im Rahmen des EU-Projektes FAMOS (Finalising Surveys for the Baltic Motorways of the Sea) in der Zeit vom 24. Mai bis 2. Juli 2016 an Bord des BSH-Schiffes hochpräzise Messungen der Erdanziehungskraft durch, aus denen die „Berge und Täler“ in der Meeresoberfläche mit einer Auflösung von Zentimetern abgeleitet werden können.

Nicht nur Vermessern ist bekannt, dass die Erde kein einfach geformter geometrischer Körper wie beispielsweise eine Kugel oder ein Rotationsellipsoid ist, sondern eine Topographie mit Bergen und Tälern aufweist. Was viele nicht wissen: Das trifft auch für die Meeresoberfläche zu, die über Aufwölbungen und Dellen von bis zu 100 Metern im globalen Vergleich verfügt.

Exakte und verlässliche Modelle dieser Unregelmäßigkeiten sind aber für die heutige satellitengestützte Navigation unerlässlich, vor allem bei Höhen- und Tiefenbestimmungen. Schließlich sollen die Routen über die Untiefen der Ostsee zu sicheren „Meeresautobahnen“ für den Schiffsverkehr der Zukunft entwickelt werden. Doch diese Daten fehlen bislang an vielen Stellen der Meere – so auch in der Ostsee.

Durch die Ausfahrt des Forschungsschiffes DENEB, benannt nach dem hellsten Stern im Sternbild Schwan, werden die zum Teil mehr als 40 Jahre alten, lückenhaft vorliegenden Schweredaten nun überprüft und ersetzt. Die Messungen finden im deutschen, dänischen und schwedischen Gewässer zwischen Rostock, Gedser, Møn, Bornholm und Trelleborg statt. Sie tragen dazu bei, einen einheitlichen Höhenbezug der Seekarten zu bestimmen und die geodätische Infrastruktur zur Positionsbestimmung mit Hilfe von Satellitennavigationssystemen (GPS, GLONASS, GALILEO) im maritimen Bereich zu verbessern.

Das Bundesamt für Kartographie und Geodäsie (BKG) koordiniert die Arbeiten. Die Experten des Helmholtz-Zentrums Potsdam Deutsches GeoForschungsZentrum (GFZ) installieren und betreuen die hochpräzise Messtechnik an Bord der DENEB.

Kontakt

Dr. Gunter Liebsch
Referat G3 (Integrierter Raumbezug)
Bundesamt für Kartographie und Geodäsie – Außenstelle Leipzig
Karl-Rothe-Straße 10-14
04105 Leipzig
gunter.liebsch@bkg.bund.de
Tel.: 0172/6908871
Josef Zens
Deutsches GeoForschungsZentrum (GFZ)
Telegrafenberg
14473 Potsdam
josef.zens@gfz-potsdam.de

Tel.: 0331/288-1049

Dr. Wilfried Ellmer
Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie
Neptunallee 5
18057 Rostock
wilfried.ellmer@bsh.de
Tel.: 0381/4563-602

Hintergrund

Initiative der nationalen Institutionen für einheitliche europäische Seekarten

Die Ostsee ist eines der am stärksten befahrenen Randmeere der Welt. In Zukunft wird ihre Bedeutung als Transportweg weiter zunehmen. Selbst intensiv befahrene Gebiete der Ostsee sind zum Teil nur wenige Meter tief. Die ausreichende Kielfreiheit von Schiffen ist nicht nur eine Frage der Sicherheit und des Umweltschutzes. Auch der Treibstoffverbrauch eines Schiffes ist bei einer größeren Kielfreiheit geringer. Die für ein Schiff optimale Route mit minimalem Treibstoffverbrauch muss nicht unbedingt die nautisch kürzeste sein. Die Europäische Kommission fördert aus diesen Gründen den Ausbau der Ostsee zu einer virtuellen „Meeresautobahn“, um den Schiffsverkehr wirtschaftlicher, umweltfreundlicher und sicherer zu machen. Die Voraussetzung dafür, dass Reedereien den Tiefgang ihrer Schiffe maximal ausschöpfen und Kapitäne dabei noch sicher navigieren können, sind exakte und einheitliche Seekarten.

Präzise Seekarten brauchen einen präzisen Höhenbezug Die Tiefenangaben in den bisherigen Seekarten der Ostseeanrainerstaaten sind zum Teil veraltet und schließen an unterschiedliche Meerespegel an. Durch den Bezug der Angaben auf das an den Pegeln ausgerichtete mittlere Meeresniveau bestehen insbesondere in den skandinavischen Ländern Probleme, einen einheitlichen Höhenbezug für alle Seekarten zu gewährleisten. Grund hierfür sind nacheiszeitliche Landhebungen, die in den nördlichen Teilen der Ostsee bis zu einem Zentimeter pro Jahr betragen, und die inhomogene Dichte des Meerwassers, die zu unterschiedlichen Höhen des mittleren Meeresspiegels führen. Den Seekarten der neuen Generation soll deshalb ein einheitlicher Standard zugrunde gelegt werden, der sich an dem für die Landbereiche verwendeten Höhensystem „European Vertical Reference System“ orientiert. Die Tiefeninformation liefern die hydrographischen Dienste durch großflächige Neuvermessung mit modernen Echoloten. In deutschen Hoheitsgewässern werden diese Arbeiten vom zuständigen Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) durchgeführt.

Das alles geschieht vor dem Hintergrund moderner satellitengestützter Navigationsverfahren. Dank GNSS (GPS, GLONASS und – zukünftig – Galileo) können Kapitäne die geometrische Position und Höhe ihres Schiffes auch bei schlechter Sicht jederzeit exakt, d. h. auf wenige Zentimeter genau, bestimmen. Damit moderne elektronische Seekarten und GNSS-Navigation (Global Navigation Satellite System) kompatibel sind, müssen beide einen einheitlichen und langzeitstabilen Höhenbezug aufweisen. Die mit GNSS-Empfängern bestimmten Höhen unterscheiden sich grundsätzlich von den üblichen meeresspiegelbezogenen Höhen- bzw. Tiefenangaben. GNSS-Höhenangaben beziehen sich auf eine idealisierte geometrische Form der Erde – das Erdellipsoid. Der Meeresspiegel unterliegt dagegen dem Schwerefeld der Erde und weist aufgrund der unregelmäßigen Massenverteilung kleinere „Berge und Täler“ im Vergleich zum Erdellipsoid auf. Höhenangaben über dem Erdellipsoid und dem Meeresspiegel unterscheiden sich im Untersuchungsgebiet um 34 bis 39 Meter.

Auf der Fahrt der DENEB vom 24. Mai bis 2. Juni 2016 werden in deutschen, dänischen und schwedischen Gewässern die notwendigen Daten gewonnen, mit denen ein Modell dieser Höhenunterschiede mit Zentimetergenauigkeit berechnet werden kann. Vergleichbare Arbeiten finden in diesem sowie in den folgenden Jahren in verschiedenen Teilen der Ostsee statt. Zukünftig können mithilfe dieses Modells alle bathymetrischen Tiefenangaben in der Ostsee auf eine einheitliche Höhenbezugsfläche bezogen werden, die üblicherweise als Seekartennull bezeichnet wird.

Das FAMOS-Projekt: Beitrag zur einheitlichen geodätischen Infrastruktur in Europa und Grundlage für präzise und sichere Schiffsnavigation

Eine zentimetergenaue Kartierung dieser Höhenbezugsfläche – des Seekartennulls – ist daher neben den bathymetrischen Vermessungsarbeiten ein Kernbestandteil des von der Europäischen Kommission im Rahmen des „Connecting Europe Facility“ Programms geförderten Projektes FAMOS (Finalising Surveys for the Baltic Motorways of the Sea). Für die Durchführung der notwendigen grenzüberschreitenden Vermessungsarbeiten bieten international angelegte Projekte wie FAMOS eine ideale Voraussetzung für die Zusammenarbeit der nationalen Institutionen und Behörden, die für die Realisierung eines einheitlichen geodätischen Raumbezuges in Europa verantwortlich sind. In Deutschland wird diese Aufgabe vom Bundesamt für Kartographie und Geodäsie (BKG) wahrgenommen. Neben Mitarbeitern des BKG werden auf den entsprechenden Fahrtabschnitten auch Geodäten aus Dänemark und Schweden an Bord der DENEB die Messungen begleiten. Der Verlauf des Seekartennulls lässt sich nicht direkt messen. Er kann aber aus hochpräzisen Messungen der Erdanziehungskraft (Schwerebeschleunigung) abgeleitet werden. Dazu müssen die Messungen allerdings mit höchstmöglicher Genauigkeit durchgeführt werden. Die in unserer Breite mittlere Schwerbeschleunigung von 9.81 m/s2 wird mit Hilfe eines Messgerätes – dem Gravimeter – bis auf die sechste Nachkommastelle genau vermessen. Das Präzisionsmessgerät wird von Experten des Helmholtz-Zentrums Potsdam Deutsches GeoForschungsZentrum (GFZ) für diese Fahrt an Bord der DENEB installiert und betrieben. Mit Hilfe der Messungen des Gravimeters können die bisher verfügbaren z. T. mehr als 40 Jahre alten, lückenhaft vorliegenden Schweredaten überprüft bzw. ersetzt werden. Die in Zusammenarbeit von BKG, BSH und GFZ gewonnenen Daten stehen den europäischen Partnern innerhalb des FAMOS-Projekts zur Verfügung und leisten damit einen Beitrag zur Schaffung einer einheitlichen geodätischen Infrastruktur in Europa, die dem Nutzer eine präzise Positionierung mit GNSS-Verfahren auch in der Höhenkomponente ermöglicht.

Media Contact

Josef Zens Helmholtz-Zentrum Potsdam - Deutsches GeoForschungsZentrum GFZ

Weitere Informationen:

http://www.gfz-potsdam.de/

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