Ist es möglich, drohende Erdbeben vorherzusagen?

Geologen untersuchen Erdbebenzone in der Türkei

Kaum ein Land in Europa wird so häufig von Erdbeben heimgesucht wie die Türkei. Am Boden des Marmarameeres – einem Binnenmeer im Nordwesten der Türkei, das mit dem Schwarzen Meer durch den Bosporus und mit dem Ägäischen Meer durch die Dardanellen verbunden ist – gibt es eine Erdbebenzone, die Geologen von der Freien Universität Berlin wissenschaftlich untersucht haben. Bei der Analyse von entnommenen Sedimenten kamen sie zu überraschenden Ergebnissen: Sie stellten eine bis dahin nicht bekannte sprunghafte Veränderung des Methangehaltes im Sediment in einer Tiefe von vier Metern fest; diese Methansprungschicht ist über die Zeit hinweg offensichtlich gewandert. Mit Hilfe von Computer-Modellierungen konnten sie schließen, dass in einem bestimmten Störungsbereich des Marmarameeres vor 1063 Jahren ein sehr schweres Erdbeben stattgefunden haben muss: Literaturquellen bestätigen dieses Beben. Es scheint also einen Zusammenhang zwischen tektonischer Beanspruchung und Gasaufstieg zu geben. Das Forscherteam will nun prüfen, ob durch die Langzeit-Messung von Methanaustritt am Meeresboden auch eine frühzeitige Erdbebenvorhersage und damit der Schutz vieler Menschen möglich ist. Das Projekt wird durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.

Die Türkei liegt in einer Erdbebenzone. Durch Nordanatolien und das Marmarameer bis nach Griechenland erstreckt sich die nordanatolische Bruchzone mit der Ganos-Störung im Marmarameer, entlang derer es immer wieder zu Erdbeben kommt. „Das letzte große Erdbeben war das Izmit-Beben 1999; dabei starben 30.000 Menschen“, erzählt Prof. Dr. Peter Halbach, Leiter der Fachrichtung Geochemie an der Freien Universität Berlin. Er beschäftigt sich seit Jahren mit dieser Gegend.

1999 ging er mit seiner Abteilung auf Forschungsreise. Mit dem DFG-Schiff Meteor, dem zweitgrößten deutschen Forschungsschiff, durchquerten sie das Marmarameer. Die Berliner Wissenschaftler führten zusammen mit türkischen Kollegen im Rahmen des Marmara-Flux-Projektes ihre Untersuchungen durch. Sie filmten den Meeresboden in der Störungszone, entnahmen Sedimentkerne und entdeckten im Bereich der Störungszone Bakterienmatten.

Noch an Bord untersuchten sie die Sedimente hinsichtlich ihres Gasgehaltes. Und das Ergebnis war erstaunlich: Sulfat, das im Porenwasser der Sedimente gelöst enthalten ist, nahm bis in eine Tiefe von vier Metern leicht ab, dann ging seine Konzentration sprunghaft gegen Null. Gebundenes Methan ist in diesem Fall in den oberen vier Metern des Sedimentes nicht nachweisbar, dahingegen steigt sein Gehalt ab einer Tiefe von vier Metern stark an.

Die Berliner Geologen waren somit auf ein erstaunliches Phänomen gestoßen, und sie fanden eine Erklärung dafür. Es war bereits bekannt, dass der Sulfatgehalt im Sediment mit der Tiefe gleichmäßig abnimmt und dass Sulfat und Methan miteinander reagieren. Berechnungen ergaben, dass die Reaktion dieser beiden Komponenten ursprünglich in 33 Metern Tiefe begonnen hatte. Ihre Reaktionszone wanderte nach oben und befindet sich in den untersuchten Sedimentkernen heute in vier Metern Tiefe; an Stellen wo die Bakterienmatten existieren, ist sie offensichtlich unmittelbar am Meeresboden. Das System der beiden Reaktionspartner muss demnach gestört worden sein. Die Wissenschaftler meinen, dass die Wanderungsbewegung durch ein tektonisches Großereignis ausgelöst worden sei. „Dadurch entstanden Risse und Spalten, die es dem Methan ermöglichten, schnell und in größeren Mengen im Sediment nach oben zu steigen“, erklärt Peter Halbach.

Durch mehrere Computer-Modellierungen konnte Dr. Ekkehard Holzbecher, ein weiterer Mitarbeiter im Projekt, diese Prozesse rekonstruieren. Sie ergaben, dass es vor 1063 Jahren ein Erdbeben im tiefen Marmarameer gegeben hat. Durch Recherchen in der internationalen Literatur über vergangene tektonische Aktivitäten in dieser Region konnte ein starkes Erdbeben bestätigt werden. Sein Epizentrum befand sich in unmittelbarer Nähe der Entnahmestelle des Sedimentkerns.

Ein weiteres spektakuläres Ergebnis erbrachten die Bilder vom Meeresboden. Mit Hilfe einer Videokamera wurden erstmalig Gasaustrittsstellen am Boden des Marmarameeres entlang der Ganos-Störung festgestellt. Sie belegen, dass an diesen Stellen die Reaktionszone von Methan und Sulfat schon bis zum Meeresboden aufgestiegen ist. An den Austrittsstellen haben sich schwefeloxidierende Bakterien angesiedelt. Durch das auch entstehende Eisensulfid bilden sich dunkle Stellen am Meeresboden, die mit der Kamera festgehalten werden konnten.

Doch was haben Eisensulfid am Meeresboden und Erdbeben miteinander zu tun? Sehr viel sogar, meint Peter Halbach: „Während des Erdbebens 1999 waren Fischer auf dem Meer. Sie erzählten, dass das Meer scheinbar gekocht hat.“ Dieses „Kochen“ führt er auf den Gasaustritt am Grund des Marmarameeres zurück: „Am Meeresboden wurde das Methan herausgepresst und stieg schnell in der Wassersäule nach oben. So entstand der Eindruck, dass das Meer sprudelte.“

Die Berliner Geologen wollen nun untersuchen, ob sich diese Erkenntnis auch zur Vorhersage von Erdbeben nutzen lässt. Sie glauben, dass der Gasaustritt schon vor dem eigentlichen Erdbeben beginnt. Sie planen, zusammen mit französischen und türkischen Wissenschaftlern Gassensoren und Kameras am Meeresboden zu installieren. Wenn sich dann ein Erdbeben aufbaut, würde sich mit Hilfe der Kameras der Zeitpunkt des Gasaustritts feststellen lassen. Beginnt der Gasaustritt tatsächlich schon vor dem eigentlichen Erdbeben, könnte dieser Befund in der Zukunft zur Erdbebenwarnung dienen. Zwar können Geologen Erdbeben nicht verhindern, aber ihre Vorhersage kann vielen Menschen das Leben retten.

von Grit Beck

Weitere Informationen erteilen Ihnen gerne:
– Prof. Dr. Peter E. Halbach, Fachbereich Geowissenschaften der Freien Universität Berlin, Fachrichtung Geochemie, Hydrologie, Mineralogie, Malteserstr. 74-100, Haus B, 12249 Berlin, Tel.: 030 / 838-70738, E-Mail: hbrumgeo@zedat.fu-berlin.de
– Dipl.-Geog. Thomas Reichel, Tel.: 030 / 838-70186 oder 0179 / 1138633, E-Mail: thomasr@zedat.fu-berlin.de

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