Ausgrabung einer europaweit einmaligen Fossillagerstätte

Im Rahmen eines Gemeinschaftsprojektes der Kreisarchäologie Göppingen und dem Institut für Geowissenschaften der Universität Tübingen wurden seit Juli 2002 entlang der neuen Trasse der B 10 bei Eislingen (Landkreis Göppingen) umfassende Ausgrabungen vorgenommen.

Dabei konnten bislang die Reste von insgesamt neun Ichthyosauriern freigelegt und geborgen werden. Die Funde lassen sich den Gattungen Temnodontosaurus („Schnittzahnsaurier“), Stenopterygius („Schmalflosser“), sowie einer möglicherweise noch unbekannten Gattung zuordnen. Von herausragender Bedeutung aus der Grabungskampagne 2002 ist das zu etwa 60 Prozent vollständige Skelett eines Temnodontosaurus. Hierbei handelt es sich um ein nicht ausgewachsenes Tier von 6 Metern Länge – erwachsene Tiere erreichten Längen von über 10 Metern, möglicherweise bis zu 15 Metern. Darüber hinaus gelang es, Skeletteile von vier Exemplaren der Gattung Stenopterygius und Reste eines zweiten Temnodontosaurus aufzudecken und zu sichern.

Im Verlauf der diesjährigen Grabungskampagne (Juni-Juli 2003) wurde das nahezu vollständige Skelett eines Stenopterygius geborgen. Im Rahmen von Sondierungen, die im Vorfeld der Ausweitung der Grabungsfläche durchgeführt wurden, stießen die Wissenschaftler auf ein weiteres Skelett. Aufgrund der noch andauernden Präparationsmaßnahmen ist eine sichere Bestimmung derzeit nicht möglich. Die bisher vorliegenden Skelett-Teile lassen es möglich erscheinen, dass eine neue, noch unbekannte Art eines Fischsauriers vorliegt. Die Gesteinsschicht, aus der all diese Funde stammen, hat sich am Grund des Jurameeres vor etwa 180 Millionen Jahren gebildet. Sie zeichnet sich durch die Ablagerung tausender Belemnitenrostren (Teile des Innenskeletts ausgestorbener Verwandter der heutigen Kalmare) aus. Derartige Anreicherungen werden als „Belemnitenschlachtfeld“ bezeichnet. Die Befundsituation macht deutlich, dass die Anreicherung von Ichthyosaurierresten in besagter Schicht viel weiträumiger ist als bisher angenommen: Es wird derzeit davon ausgegangen, dass der Eislinger Ichthyosaurierfriedhof eine Fläche von mindestens 10.000 Quadratmetern umfasst.

Von besonderer Bedeutung ist, dass die Eislinger Fischsaurier jünger sind als ihre berühmten Artgenossen aus dem Posidonienschiefer von Holzmaden. Im Gegensatz zu diesen zumeist stark verformten Exemplaren liegen die Eislinger Individuen in sehr guter, dreidimensionaler Erhaltung vor, was sie für die Wissenschaft besonders wertvoll werden lässt. Parallel zu der Göppinger/Tübinger Grabung wurde vom Staatlichen Museum für Naturkunde, Stuttgart, unter der Leitung von Dr. Rainer Schoch ein Teilskelett eines Temnodontosaurus geborgen, das allerdings aus geologisch älteren Schichten des Posidonienschiefers stammt, ebenso wie ein bereits im letzten Jahr von Tübinger Seite geborgener, unvollständiger Schädel dieses Riesenichthyosauriers. Diese ergänzenden Funde unterstreichen die Bedeutung der Eislinger Fundstelle für die Wirbeltierpaläontologie. Der Eislinger Ichthyosaurierfriedhof gewährt einen ungeahnt tiefen Einblick in das Ökosystem des Jurameeres vor 180 Millionen Jahren: Die Nahrungskette lässt sich angefangen von einzelligen Mikroorganismen (so genannten Dinoflagellaten) über Muscheln, Ammoniten und Belemniten, bis hin zu Fischen und letztlich den großen Räubern wie Haien, Krokodilen und Ichthyosauriern rekonstruieren. Von den nächstliegenden Landmassen wurden bis zu sieben Meter lange Baumstämme eingeschwemmt.

Beide Grabungskampagnen wurden von Dr. Reinhard Rademacher (Kreisarchäologie Göppingen) und Philipe Havlik (Institut für Geowissenschaften, Tübingen) geleitet. Die Zusammenarbeit zwischen Ärchäologie und Paläontologie/Geologie führte zu ungewöhnlich genauen Grabungsmethoden, die sehr detaillierte Rückschlüsse auf die Ablagerungsbedingungen erlauben. Hierbei kamen modernste Vermessungs- und Dokumentationstechniken, wie GPS, digitale Fotografie sowie präzise archäologische Arbeitsmethoden zum Einsatz. Im Rahmen der Ausgrabung wurde von dem Tübinger Geowissenschaftler Dr. Michael Montenari ein feinstratigraphisches Profil aufgenommen, welches zur exakten Datierung der Funde durch rasterelektronenmikroskopische Analysen und zu einer paläoökologischen Rekonstruktion für die Schicht, in der die Saurier enthalten waren, führen wird. Die Präparationen begannen bereits im September 2002 und werden am Tübinger Institut von Henrik Stöhr und Philipe Havlik durchgeführt. Die wissenschaftliche Auswertung des Skelettmaterials leitet der Ichthyosaurierexperte Dr. Michael Maisch (Tübingen). An der Ausgrabung waren neben dem ehrenamtlichen Mitarbeiter der Kreisarchäologie, Herrn Winfried Poldrack, auch Stundenten und Mitarbeiter der Universität Tübingen beteiligt. Ein reibungsloser Ablauf der Grabungen war nur durch die logistische Unterstützung des Straßenbauamts Kirchheim u. Teck, der Baufirma Leonhard Weiss, der Gemeinde Eislingen und der Firma Stahlbau Nägele möglich. Nach Abschluss der Bearbeitung sind sowohl eine Sonderausstellung zur Grabung als auch eine Dauerpräsentation des 2002 geborgenen, urzeitlichen Räubers Temnodontosaurus als Skelettmontage durch die Kreisarchäologie Göppingen und das Institut für Geowissenschaften der Universität Tübingen in der neuen Stadthalle von Eislingen geplant.

Rückfragen an:

Dr. Reinhard Rademacher
Kreisarchäologe für den Landkreis Göppingen
Tel. 07161 – 50318-17
E-Mail: r.rademacher@landkreis-goeppingen.de

Dr.Michael Maisch
wissenschaftlicher Mitarbeiter
am Institut für Geowissenschaften der
Eberhard-Karls-Universität Tübingen
Tel. 07071 – 29-77561 oder 29-72495

Dr. Michael Montenari
wissenschaftlicher Mitarbeiter
am Institut für Geowissenschaften der
Eberhard-Karls-Universität Tübingen
Tel. 07071 – 29-73066

Prof. Dr. Hans-Ulrich Pfretzschner
Professor für Wirbeltierpaläontologie am
Institut für Geowissenschaften der Uni Tübingen
Tel. 07071 – 29-76984
E-Mail: hans-ulrich.pfretzschner@uni-tuebingen.de

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