Geophysiker der Universität Münster untersuchen Klimaveränderungen in der Antarktis
Polarforschung vom heimischen Schreibtisch aus
Die Polarforscher vom Institut für Geophysik der Universität Münster brauchen kein kostspieliges Forschungsschiff, keine große Forschungscrew, ja noch nicht einmal einen Eskimopelz. Zusammen mit Vermessungskundlern der Technischen Universität Dresden entwickeln sie derzeit ein Verfahren, das ihnen Erkenntnisse über die polaren Eisschilde direkt auf den Schreibtisch liefert.
Im Zentrum des Projektes steht der antarktische Weddellmeer-Sektor. Während am Nordpol nur Eismassen auf dem Ozean schwimmen, liegt der Eispanzer des Südpols auf einer Festlandsmasse. Am Rand dieser Eismasse sitzt das so genannte Schelfeis. Es wird von Meerwasser unterspült und bildet den Übergang vom Inlandeis zum Meer. Enorme Eismassen brechen hier ins Meer ab und treiben als Eisberge nach Norden. „Das Schelfeis liefert den Schlüssel zum Verständnis der globalen Klimaveränderungen“, betont Prof. Dr. Manfred Lange, Leiter des Forschungsprojektes und Direktor des Instituts für Geophysik. Wie jedes Eis sei auch das antarktische nicht statisch, es bewege sich im Laufe der Jahre in Richtung der Schelfeise, um ins Meer zurück zu fließen. „Die Schelfeise stellen eine Art Ausflussbecken dar“, meint Lange. Durch den Eisverlust würden sie den antarktischen Schneefall wieder ausgleichen und somit eine entscheidende Rolle für die Regulation des antarktischen Massenhaushaltes spielen.
Die Bewegungen des Eises lassen sich anhand von Satellitenaufnahmen nachvollziehen. Sie ähneln stark dem Laufe eines Flusses. Wie ein Flussdelta mündet das Eis schließlich in die Schelfeise. „Nur sehr viel langsamer“, so Lange. Das Eis fließe im Inland nur rund einen Meter pro Jahr, an den Schelfeisen immerhin mit bis zu 1000 Meter pro Jahr. Insgesamt verlagere sich dabei der Massenhaushalt – also das Gleichgewicht zwischen Massengewinn durch Schneefall und Massenverlust durch die Schelfeistafeln – mit steigender Erderwärmung immer mehr in Richtung eines Massengewinns. „Das Schmelzen der Polkappen ist ein weit verbreiteter Irrtum“, so Lange. Bei einer zunehmenden Erwärmung der Erdatmosphäre enthalte die vom Äquator zu den Polen strömende Luft mehr Feuchtigkeit, so dass der Schneefall an den Polen zunehme und sich die Masse des antarktischen Eises vergrößere. Erst mit einer zunehmenden Erwärmung der Ozeane selbst sei ein Abschmelzen der Polkappen zu befürchten: „Dann droht sich der gesamte West-Antarktische Eisschild von der Inlandeismasse zu lösen.“
Umso deutlicher wird die Wichtigkeit der Schelfeise als Regulatoren des antarktischen Massenhaushaltes. Wie viel Eis tatsächlich vom Inland zu den Schelfeisen fließt, will das Forschungsteam nun klären. Aufschluss über den so genannten Massendurchsatz sollen zum einen die Fließgeschwindigkeit und zum anderen die Mächtigkeitsverteilung des Eises an der Grenze zwischen Inlandeis und Schelfeis geben. Diese Zone wird als Aufsetzzone bezeichnet, da hier das Schelfeis an der Festlandeismasse aufsitzt. „Im Verlaufe dieser Zone macht die Bewegungsart des Eises einen grundlegenden Wandel durch“, betont Lange. Das Inlandeis sitze auf einer felsigen Festlandsmasse auf, welche den Fluss der tiefer liegenden Eisschichten enorm verlangsame. Im Schelfeis dagegen sei die Fließgeschwindigkeit entlang der gesamten Tiefe des 100 bis 1000 Meter dicken Eises konstant.
Die Aufsetzzone erstreckt sich über einige hundert Meter bis mehrere Kilometer. Ihr genauer Verlauf lässt sich anhand von Satellitenmessungen bestimmen, da sich die Schelfeise mit den Gezeiten auf und ab bewegen. Der Massendurchsatz im Bereich der Aufsetzzone – also die Fließgeschwindigkeit und die Mächtigkeitsverteilung des Eises – soll für etwa 60 Längengrade im Weddellmeer-Sektor bestimmt werden. Dazu nutzen die Forscher die so genannte Radar-Interferometrie, bei der elektromagnetische Strahlen von Satelliten auf die Oberfläche des Eises gesandt und deren reflektiertes Signal wieder vom Satelliten erfasst wird. Dies erlaubt die Bestimmung der Fließgeschwindigkeit des Eises. In einem weiteren Verarbeitungsschritt gehen diese Daten wiederum in nummerische Modellierungsverfahren ein. Spezielle in Münster entwickelte Computerprogramme können von der Fließgeschwindigkeit auf die Mächtigkeitsverteilung und damit auf den Massendurchsatz des Eises schließen. Dabei berücksichtigen sie auch den Wandel der Fließgeschwindigkeit des Eises.
„Die Methode ermöglicht mit vergleichsweise wenig Aufwand eine kontinuierliche und flächendeckende Erfassung des Massenhaushaltes“, betont Lange. Konventionelle Verfahren wie zum Beispiel Radar- oder GPS-Messungen seien zwar sehr hilfreich, aber stets an aufwändige und kostspielige Expeditionen gebunden. Das Projekt DYMEKA – Dynamik und Massenhaushalt des Eises im Küstenbereich der Antarktis – läuft seit Beginn des vergangenen Jahres. „Die Programme sind fertig. Wir geben jetzt die ersten Daten ein“, so Lange. Erste Ergebnisse erhoffen sich die Forscher in rund einem halben Jahr. Gefördert wird das Projekt vom BMBF und der DFG bis Ende 2005. Bis dahin möchten die Forscher allerdings doch einmal die heimischen Büros verlassen, um vor Ort die Leistungsfähigkeit des entwickelten Verfahrens mittels konventioneller Verfahren zu bewerten.
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